Kolumne Rudolf Öller: Die Welt von morgen
Es war eine Zufallsentdeckung in den Siebzigerjahren. Der Schweizer Biologe Prof. Werner Arber wollte wissen, warum Bakteriophagen – das sind spezielle Viren – einigen Bakterienstämmen keinen Schaden zufügen können. Meist gehen Bakterienstämme nach dem Befall durch Phagen zugrunde. Arber entdeckte, dass manche Bakterien Enzyme produzieren, die Gene an ganz bestimmten Stellen schneiden können. Das war die Geburtsstunde der Gentechnik.
Molekularbiologen und Genetiker erkannten sogleich, dass ihnen ein mächtiges Werkzeug in die Hände gefallen war. Einige Biologen unter der Führung des Nobelpreisträgers Paul Berg mahnten zum Nachdenken. Zuerst müsse diskutiert werden, wie es weitergehen soll. 1975 fand die erste Konferenz zu Risiken der Gentechnik in Asilomar (Kalifornien) statt. Die beschlossenen Sicherheitsrichtlinien wurden in vielen Staaten später zur Grundlage von gesetzlichen Regelungen. Über Einschränkungen der neuen Technik oder gar ein Verbot wurde nicht diskutiert, weil alle wussten, dass niemand wissenschaftliche Forschung verhindern kann. Das Interesse der Politik war enden wollend. Senator Edward Kennedy war der einzige prominente Politiker, der an der Konferenz teilnahm.
Jackpot
Die Entstehung einer neuen Wissenschaft hautnah miterleben zu können, ist der Jackpot eines jeden interessierten Studenten. Ich hatte dieses unwahrscheinliche Glück und lernte Techniken kennen, die damals neu waren und heute Routine sind. Es war für mich Rock’n Roll, es passte zu meiner Begeisterung für die Rolling Stones und für Motorräder. Österreich war zu Beginn der Achtzigerjahre im Bereich der modernen Biologie gegenüber Deutschland und den angelsächsischen Ländern rückständig. Nachdem ich nach Österreich zurückgekehrt war, schrieb ich eine Zusammenfassung über die Möglichkeiten der (damals) neuen und weitgehend unbekannten Gentechnik und schickte Kopien an mehrere Politiker. Der Einzige, der damals Interesse zeigte, war Erhard Busek. Sonst gab es keine Reaktionen. Busek gab meinen Text an den bekannten Journalisten Alfred Worm weiter, mit dem ich kurz darauf ein längeres Telefongespräch führte.
Es dauerte einige Jahre, bis mir klar wurde, dass ein Teil des allgemeinen Desinteresses an Naturwissenschaften Folge der üppig geförderten Gesellschaftswissenschaften war. Über Kolonialismus, Kapitalismus und Rassismus zu plaudern galt damals wie heute als “fortschrittlich”. Genderismus, Sexismus und Wokismus sind inzwischen dazu gestoßen. Diese Ideologien bewegen sich seit drei Generationen wie eine Tanzmaus im Kreis. Naturwissenschaften waren damals nur im Zusammenhang mit Fragen der Kernenergie von Interesse. Biochemie und Gentechnik blieben weit unter dem Radar der Politik.
Postmoderne
Die Gesellschafts”wissenschaften” produzierten bereits in den Neunzigerjahren peinliche Schnitzer in Serie, als sich postmoderne Philosophen in die Naturwissenschaften einmischten und nichts als Unsinn verkündeten. Das brachte den New Yorker Physiker Alan Sokal auf die Idee, die Schwätzer öffentlich vorzuführen. Im Jahr 1996 publizierte er einen Aufsatz, in dem er behauptete, dass die Naturwissenschaften nur unbeweisbare Dinge verbreiten, sodass es nötig sei, Biologie, Physik und Chemie stärker durch die Gesellschaft kontrollieren zu lassen. Sokal schrieb in seinem legendären Artikel Dinge, die noch dümmer waren als die Behauptung, die Erde sei flach wie ein Bierdeckel. Berufsdiskutierer reagierten verzückt. Sokals Artikel, insbesondere die Forderung nach “gesellschaftlicher” Kontrolle der Naturwissenschaften, wurde sogar in angesehenen Zeitungen und Zeitschriften ernsthaft diskutiert. Nachdem Sokal bekanntgegeben hatte, sein Artikel sei eine Parodie auf postmoderne Schwadroneure gewesen, verschwand der Spuk.
Bürokratie
Nur etwa ein Fünftel aller Menschen leben laut Academic Freedom Index (AFI) in Ländern, in denen freie Wissenschaft möglich ist. Auch die Grünen befolgen Sokals Worte, als sie bestimmte Techniken beseitigen oder verbieten wollen, wie etwa die Kernenergie. Andere werden durch eine übermäßig aufgepumpte Bürokratie eingebremst. Alle diese Einschränkungen sind wirkungslos, denn erfolgreiche und begehrte Technikformen setzen sich immer irgendwo durch. Was schlecht funktioniert oder zu teuer ist, verschwindet ohne jede politische Einmischung, wie die Dampflokomotive oder das Space Shuttle. Auch links- und rechtsextreme Ideologien verschwinden. Manchmal kosten sie Millionen Tote, aber eines Tages vergehen sie und leben nur im Gedächtnis von Verrückten weiter.
Zeilinger
Der österreichische Nobelpreisträger Anton Zeilinger kritisiert die Wissenschaftsfeindlichkeit unserer Zeit, weil viele Zeitgenossen wenig vom Wissenschaftsbetrieb wissen und die Beschäftigung mit Ideologien leichter fällt. Man braucht dazu nur eine woke Gesinnung und ein geöltes Mundwerk. Sorge bereitet Zeilinger eine Entwicklung, die heute die jüngere Generation erfasst hat: “Die Schnelligkeit der Antworten, die ihnen heute das Internet gibt, zwingt sie nicht, darüber ernsthaft nachzudenken. Das halte ich für ein riesiges Problem der Zukunft und unserer Gesellschaft.” Für wichtiger als neue Computer für den Schulunterricht hält Zeilinger humanistische Gymnasien, in denen sich Lehrer und Schüler mit schwierigen Fragen beschäftigen.
Ignoranz
Mein letztes Buch “Typhon District” ist das dunkelste in meiner Sammlung. Es liegt sehr nahe an der Realität. Das Thema zeigt, was passieren kann, wenn sich eine oberflächliche Gesellschaft mit Ideologien und anderem Larifari statt mit echten Wissenschaften beschäftigt. Es geht dabei nicht um eine Empfehlung für das Verbieten neuer Techniken oder das Vertuschen von Erkenntnissen. Das können weder Könige noch Diktatoren noch Minister, und sie werden es auch nie können. Es geht darum, sich mit relevanten Erkenntnissen frühzeitig und ernsthaft auseinanderzusetzen, denn Naturwissenschaftler waren und sind freie Radikale, die niemanden um Erlaubnis für irgendetwas fragen.
Ignorante und saturierte Gesellschaften bringen Gesellschaftsklempner hervor, die mit Demokratiefördergesetzen und anderem Unsinn das Volk knebeln wollen. Gleichzeitig arbeiten Wissenschaftler an der Welt von morgen. Nur ihre Erfindungen und Entwicklungen bestimmen die Zukunft, und wir sollten uns mehr darum kümmern als Provinzmarxisten und selbsternannte Demokratieretter als Leitbilder zu sehen.
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