Seit einigen Jahren steht die Hogwarts-Schöpferin J.K. Rowling im Fokus der Kritik linker Aktivisten. Weil sie sich für den Schutz von Frauenrechten einsetzt, unterstellt man ihr von linker Seite regelmäßig Transphobie. Nachdem das in den vergangenen Jahren schon zu heftigen Kontroversen geführt hat, geht es nun auch ihrer Harry-Potter-Serie sinnbildlich an den Kragen. Erstmals seit seinem Erscheinen 1997 wurde der erste Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“ mit einer Triggerwarnung versehen. Laut der Universität Glasgow sei das Buch nämlich „potenziell belastend“, da es möglicherweise „problematische Sprache oder veraltete Haltungen“ enthalten könnte. Damit reiht sich das Werk in die Reihe anderer Literaturklassiker ein, die bereits der seit Jahren um sich greifenden Moralisierungswut der „Cancel Culture“ zum Opfer gefallen sind. Egal, ob es sich um Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ oder Karl Mays „Winnetou“ handelt – sie alle waren schon Gegenstand derartiger Debatten.

Zielscheibe von selbsternannten Moralaposteln

Im Fall Harry Potters stören sich Kritiker konkret an stereotypen Darstellungen, strengen Rollenbildern und sprachlichen Formulierungen, die der Universität besonders sauer aufstoßen. Daneben würden auch Szenen, in denen es um Mobbing geht, kritisiert werden, da sie zu einer möglicherweise erhöhten psychischen Belastung führen könnten. Es zeigt sich im Falle Harry Potters erneut eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, die schon seit Jahren fortschreitet. Bücher, Filme, Musik und Kunst generell werden immer mehr zur Zielscheibe einer Gruppe selbsternannter „Moralapostel“, die eigenmächtig darüber urteilen wollen, was dem Rezipienten zumutbar ist. Und nicht nur das – sie wollen vielmehr auch allein darüber entscheiden können, welches Weltbild und welchen Spiegel unserer Gesellschaft man in derartigen Werken wiederfinden darf. Die Kriterien werden dabei immer zahlreicher und zunehmend unscharf. Man fürchtet sich vor „stereotypen“ Darstellungen, vor veralteten Rollenbildern von Mann und Frau, vor angeblich rassistischen Tendenzen, vor kultureller Aneignung und vor nahezu jeder kritischen Auseinandersetzung mit einem unangenehmen Thema.

Eine Gesellschaft muss das aushalten

Natürlich macht es hin und wieder auch Sinn, ältere oder historische Artefakte zu kontextualisieren und vor dem Hintergrund der Zeit, in der sie entstanden sind, zu betrachten. Doch oft – auch im aktuellen Fall von Harry Potter – geht es offenbar nur noch darum, einer übertrieben empfindlichen Gruppe von Menschen gerecht zu werden. Führt man diese Logik so fort und versieht jedes Buch mit einer Triggerwarnung, das möglicherweise politisch unkorrekte Inhalte oder gar verletzende Szenen enthält, führt man das freie Erzählen von Geschichten völlig ad absurdum und ruiniert damit auch Teile unserer Gegenwartskultur. Ob es für manche besonders empfindlich Besaitete nun politisch korrekt oder unkorrekt ist, an ein klassisches Familienbild zu glauben, von „Indianern“ zu sprechen oder die Welt durch die Augen von Pippi Langstrumpf zu betrachten – unsere Gesellschaft muss das aushalten. Genauso wie unsere Gesellschaft auch kontroverse Ansichten, unterschiedliche Standpunkte und hitzige Debatten verkraften muss. Wer Kinder- und Jugendbücher derart einschränken und glattbügeln möchte, erzieht Kinder und Jugendliche zu dünnhäutigen und unreflektierten Persönlichkeiten, die niemals verstehen werden, was eine pluralistische Gesellschaft ausmacht. Vermutlich liegt der Erfolg von Klassikern wie Harry Potter nämlich auch genau darin – dass man darin eben nicht jene politisch korrekte und weichgespülte Realität ohne Ecken und Kanten findet, die sich manche zeitgenössische Moralapostel so dringend wünschen.