Manfred Maurer: ORF-Doku über Antisemitismus „vergisst" Linke und Islam
Dieser ORF-Beitrag „Wider das Vergessen” offenbart nur eine Vergesslichkeit: die der Küniglberger beim Versuch, Antisemitismus ohne jeglichen Bezug zur Linken und zum Islam zu erklären. Oder wurde darauf gar nicht vergessen?
Wirklich schade, dass die Programmplaner diese Folge von „Menschen & Mächte” auf die letzte Sonntagsstunde verräumt haben. Sonst hätten mehr Menschen mitgekriegt, wie offensichtlich der ORF auf seinen Bildungsauftrag pfeift. Unter dem Titel „Alter Hass, neuer Wahn – Antisemitismus nach 1945″ sollte am Jahrestag der Novemberpogrome 1938 das Fortwirken des Judenhasses bis ins Heute dokumentiert werden. Geboten wurde eine billig zusammengeschusterte Collage mit Sequenzen aus dem ORF-Archiv. Eine Dokumentation der (zu) spät, anderswo freilich nie begonnenen Aufarbeitung der dunklen Flecken auf der weißen Opferweste hat durchaus ihre Berechtigung. Die Geschichte der Zweiten Repubik ist eben auch die Geschichte eines mühsamen, bisweilen peinlich berührenden, aus heutiger Perspektive zum Fremdschämen animierenden Selbstfindungsprozesses. Unbestritten hat Österreich sich jahrzehntelang in der kollektiven Opferrolle gesuhlt und die Mittäterschaft eines beträchtlichen Teils der „Opfer” kleingeredet, wenn nicht gar ausgeblendet. Die Priorisierung des Wiederaufbaues, für die man auch alte Nazis brauchte, die konsumberauschte Wirkung des Wirtschaftswunders, oder einfach die menschliche Neigung zum Ziehen von Schlussstrichen unter horrible Phasen der Geschichte mögen plausible Erklärungen für die temporäre Aufarbeitsverweigerung sein, gehen aber heute nicht mehr als Entschuldiugung durch.
Linkes Zerrbild
An dieser längst überwundenen Epoche hat sich die Antisemitismus-Doku engagiert abgearbeitet und den Österreichern wieder einmal wie so oft schon einen Spiegel vorgehalten. Zu sehen bekamen sie jedoch nur ein Zerrbild der Zweiten Republik, das den Antisemitismus ausschließlich dort vorortet, wo ihn die Linke verorten will: bei Neonazis, Rechtsextremen und bei der FPÖ bzw. ÖVP. Da wurde im ORF-Archiv aus dem Vollen geschöpft, Material über Gottfried Küssel, Norbert Burger, Gerd Honsik – allesamt nach dem Verbotsgesetz Verurteilte – mit jahrzehntealten unsäglichen Zitaten aus Straßenbefragungen durchmischt und auch nicht vergessen auf antisemitisch konnotierbare Episoden bei der Volkspartei zu verweisen.Es wurde natürlich nicht vergessen auf Josef Klaus, der 1970 gegen den Juden Bruno Kreisky mit dem Slogan „Ein echter Österreicher” in den Wahlkampf gezogen war. Und natürlich auch nicht auf Kurt Waldheims durchaus nicht frei von antisemitisch interpretierbaren Codes gewesene „Jetzt erst recht”-Kampagne als Reaktion auf die (falschen) Nazi-Vorwürfe.
Ausblendungen
„Vergessen” haben die Doku-Macher jedoch auf linke Nazis und linke Versuche, das antisemitische Grundrauschen zu instrumentalisieren. Das bis 1981 honorige SPÖ-Miglied Heinrich Gross, welcher als junger Arzt in leitender Funktion an der Wiener „Euthanasieklinik” Am Spiegelgrund an Kindermorden beteiligt war, hätte sich in dieser Dokumentation durchaus eine entsprechende Würdigung verdient, samt kurzem Hinweis darauf, wie überlange die Genossen dem Akademikerbündler die Stange gehalten hatten.
Und Kreisky kam zwar als Opfer antisemitischer Untaten vor, nicht aber in den posthumen Genuss einer differenzierten Würdigung seiner Rolle in der Wiesenthal-Affäre 1975. Nachdem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal den damaligen FPÖ-Chef Friedrich Peter als Mitglied einer an der Ostfront zehntausende Juden ermordet habende SS-Brigade enttarnt hatte, stellte sich Kreisky nicht nur einfach schützend vor den Mann, der seine Minderheitsregierung im Abtausch für eine die FPÖ begünstigende Wahlrechtsreform duldete, sondern warf sich proaktiv in die Verteidigungsschlacht und beschuldigte den ehemaligen KZ-Häftling Wiesenthal unter Einsatz gefälschter Geheimdienstdokumente der Kollaboration mit den Nazis. Es hätte sich angeboten, in dieser Doku einen lebenden Zeitzeugen zu befragen: Heinz Fischer, der vor 50 Jahren als Kreiskys williger Vollstrecker einen Untersuchungsausschuss gegen Wiesenthal verlangt hatte. Die ORF-Dokumentaristen blendeten all das aus, obwohl es unverzichtbarer Teil des antisemitischen Nachkriegsmosaiks zu sein hätte.
Hamas, wer?
Gut, das mag brauner Schnee von gestern sein, der als geschmolzen betrachtet werden kann. Dennoch ist Antisemitismus in Österreich heute präsenter denn je. Mit dieser realen Bedrohung haben sich Politik und Medien prioritär zu beschäftigen. Die Doku-Macher tun es nicht beziehungsweise stecken den Kopf in den Sand, was beim Recherchieren erfahrungsgemäß kontraproduktiv sein kann. Erst in den letzten der 52 Sendeminuten kommt der haarsträubend neutrale Einstieg ins brandaktuelle Thema: „2023 flammt der Nahost-Konflikt wieder auf.” Was war denn da wieder passiert? War da nicht am 7. Oktober irgendein Vorfall mit der Hamas? Der Zuseher wird sich möglicherweise an das schrecklichste Massaker an Juden seit dem Holocaust erinnern, weshalb die Doku-Macher das möglicherweise für nicht zwingend erwähnenswert hielten. Und ungeachtet des mit Bildern von Demos, auf denen mit dem Hamas-Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free” Israel das Existenzrecht abgesprochen wird, biegt die Doku ohne Umweg sofort ab zum autochthonen Antisemitismus. Zwei Vertreter des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes (DÖW) erklären dem Pubikum, was da abgeht: „Natürlich dient der Israel-bezogene Antisemitismus gerade auch in Österreich der Abwehr von historischer Schuld, indem Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird”, sagt die DÖW-Historikerin Isolde Vogel. DÖW-Antisemitismusforscher Andreas Peham spricht immerhin über den „globalen Antisemitismus” und die Rolle der sozialen Medien, „die den Antisemitimus enorm befeuern”.
Recherche war gestern...
Spätetens an dieser Stelle erwartet selbst der mit dem politischen Geschehen mäßig vertraute Zuseher einen Hinweis auf den muslimischen Aspekt dieses „importierten Antisemitismus”. Doch er wird darüber im Unklaren gelassen, obwohl sich so manche Fakten aufgedrängt hätten. Dabei führt der ORF sogar eindrucksvoll vor, wie wichtig hartnäckige Recherche sein kann. So zeigt eine Archivsequenz einen ORF-Reporter vor einer Wiener Buchhandlung nach dem Kauf des 1988 erschienenen Elaborats „Freispruch für Hitler? – 37 ungehörte Zeugen wider die Gaskammer”, für das der Autor Gerd Honsik 1992 wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt wurde.
Wo aber war der ORF-Reporter, die ORF-Reporterin, der/die in der Wiener Milli-Görüs-Buchhandlung das Buch „Fatwas über Palästina” gekauft hätte, in dem der inzwischen verstorbene Muslimbruder-Chefideologe Yusuf al-Qaradawi diesen auch von der Hamas als ideologischen Unterbau verwendeten Hadith (= dem Propheten Mohammed zugeschriebene Aussage) für aktuell und verbindlich erklärt: „Solange ihr nicht mit den Juden Krieg führt, wird der Tag der Auferstehung nicht anbrechen. Sogar der Stein und Baum, hinter dem sich die Juden verstecken, werden sagen ‘Oh Muslim, der Jude ist hinter mir, komm‘ töte ihn!‘“ In dieser Buchhandlung am Sechshauser Gürtel hätte der/die ORFler/in auch die krassesten Antisemitismus verbreitende türkische Tageszeitung „Milli Gazette” (= zu deutsch: Nationalzeitung) gefunden. So aber konnte in der Doku nur die deutsche Nationalzeitung gezeigt werden, die es schon lange nicht mehr gibt.
Islam & Nazis
Angesichts des stark gestiegenen muslimischen Bevölkerungsanteils und angesichts von Schulklassen mit muslimischen Mehrheiten hätte ein seinen Bildungsauftrag ernst nehmender ORF in einer Antisemitismus-Doku auch islamische Nazi-Kollaborateure wie den Jerusalemer Großmufti und SS-Gruppenführer Amin al-Husseini oder den bosnischen SS-Sturmbannführer Husein Dozo erwähnen können, nein: müssen. Al-Husseini, Gründer der SS-Division „Handschar”, hatte erfolgreich gegen Adolf Eichmanns Plan zur Aussiedlung Tausender Juden gegen Kopfgeld nach Palästina lobbyiert und damit deren Tod in Auschwitz besiegelt. Dozo, Erster Imam der „Handschar”-Division leitete ein Nazi-Institut zur Ausbildung von Militärimamen. Beide werden bis heute in der islamischen Welt verehrt. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas nannte ihn „unseren Vorkämpfer”. Nach Dozo ist heute in Sarajewo eine Straße benannt, in dessen Geburtsort Gorazde eine Schule.
Themenverfehlung
Diese und viele andere noch lebende Protagonisten des muslimischen Antisemitismus sollten für eine einschlägige Dokumentation mindestens so relevant sein, wie autochthone Ewiggestrige. Dies umso mehr, als laut dem jüngsten Antisemitismusbericht in Österreich Muslimen und Linken jeweils mehr antisemitische Schandtaten zuzuordnen sind, als Rechtsextremisten. Dies umso mehr, als in der Doku-Ankündigung großspurig das Aufzeigen gezielter Maßnahmen gegen Antisemitismus versprochen wird. Wer 10 Jahre nach dem Migrationskollaps glaubt, das Thema Antisemitismus ohne jeglichen Islamismus-Bezug abhandeln zu können, hat eine fahrlässige Themenverfehung durch Unterlassung verbrochen. Das ist keine Doku „Wider das vergessen”, sondern nur eine zum vergessen. Wird es dafür am Küniglberg Konquenzen geben? Wohl kaum.
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