Manfred Maurer: Und sag nur kein Wort – Der Papst schwieg in der Türkei zur christlichen Tragödie
Nur ja nicht Erdogan verärgern, sonst müssen es die Christen büßen! Das mag ein hehres Motiv für das Schweigen von Papst Leo XIV. zum Schicksal der türkischen Christen gewesen sein. Ob denen das aber hilft?
Mit einem leidenschaftlichen Friedensappell für den gesamten Nahen Osten beendete Papst Leo XIV. gestern im Libanon seine erste Auslandsreise. Davor hatte er schon in der Türkei gesagt, was von einem Papst halt so erwartet wird.
Es ging um Frieden im Allgemeinen und das friedliche Miteinander der Religionen im Besonderen. Immer wieder fiel der auch hierzulande gern strapazierte Begriff „interreligiöser Dialog”, der längst zum Synonym für „Selbstverleugung” verkommen ist, seit dieser Dialog meist in abgehobenen akademischen Zirkeln fernab der Öffentlichkeit unter Ausblenden des realexistierenden Islamismus im Friede-Freude-Eierkuchen-Modus stattfindet.
Small is beautiful?
Ganz um ein paar Andeutungen zur tristen Lage der Christen in der Türkei kam Leo XIV. dann doch nicht herum. Diese beschränkten sich aber auf das Ergebnis einer tragischen Geschichte, welches der Papst im nächsten Atemzug zum Segen erklärte: Die Kirche in der Türkei sei eine kleine Gemeinschaft, die „als Samenkorn und Sauerteig des Reiches Gottes fruchtbar bleibt”. Die kleiner gewordenen Kirchen in der Region sollten entdecken, dass Gott den „Weg der Niedrigkeit” gewählt habe. Man kennt derartige Floskeln. Genauso redet sich die Kirche auch ihren Verzwergungsprozess in Europa schön. Small ist ja so was von beautiful…
Weggeschrumpft
Das sieht der Islam grundsätzlich etwas anders. Schrumpfung und Rückzug war dort von Anfang an keine Option. Die jüngere türkische Geschichte ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, sagen aber noch nichts aus über die Ursachen: In der Türkei leben laut Angaben des Vatikans 33.000 Katholiken, weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung. Viel zu schrumpfen gibt es da nicht mehr bis zum endgültigen Verschwinden.
Wer weiß heute noch, dass die Christen Ende des 19. Jahrhunderts mehr als ein Viertel der Bevölkerung auf dem Gebiet der heutigen Türkei ausgemacht hatten? Wer weiß noch, dass Istanbul zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrheitlich nicht-islamisch war?
„Ungünstige Politik"
Leo XIV. hat kein Wort über die Ursachen dieser Beinahe-Auslöschung des türkischen Christentums verloren. Klar, denn dann hätte er das Wort aussprechen müssen, das Erdogan zwar selbst täglich verwendet, aber nur in Bezug auf Israel: Völkermord. Der während des Ersten Weltkrieges an den Armeniern verübte Genozid war auch einer an Christen. Nicht nur der Papst wollte seinem Gastgeber Recep Tayyip Erdogan aber derartigen Klartext ersparen, auch katholische Medien meiden den Begriff in ihrer Berichterstattung. Die heimische Kathpress etwa erwähnte nur ein „Armenier-Massaker” und trieb den Euphemismus in der Ursachenbeschreibung für die heutige Lage der Christen mit dieser Formulierung auf die Spitze: „Eine für Christen über Jahrzehnte ungünstige Religionspolitik”.
Und wenn der Papst sich in der Türkei ganz allgemein gegen eine Vereinnahmung der Religion durch die Politik ausspricht, dann greift Vatican News sofort kalmierend ein: Bei diesem Appell „braucht man nicht unbedingt an den Islam zu denken”, doziert die päpstliche Agentur. Auch unter Christen gebe es dieses Phänomen, schreibt Vatican News mit Verweis auf die Rechtfertigung des russischen Angriffkrieges in der Ukraine durch die russisch-orthodoxe Kirche.
Aktuelle Islamisierung
Auch wenn diesem Befund nicht zu widersprechen ist: Beim Griff zur Asche sind die christlichen Kirchen schnell. Der Vatikan streut es ohne Scheu auf das Haupt der russischen Orthodoxie. Umso mehr aber fällt die Zurückhaltung gegenüber dem Islam auf. Diese erscheint umso fragwürdiger, als es ja nicht um Bewertungen von Vorgängen in grauen Vorzeiten geht, sondern um das Hier und Jetzt. Das überkonfessionelle christliche Hilfswerk Open Doors schreibt in seinem jüngsten Jahresbericht: „Nationalismus und Islam sind in der Türkei untrennbar miteinander verbunden. Wer kein Muslim ist oder sich sogar vom Islam abgewandt hat, wird nicht als loyaler Türke betrachtet.” Die Regierung habe begonnen, ausländische (westliche) Christen ins Visier zu nehmen und sie – auch wenn sie türkische Ehepartner und Kinder haben – des Landes zu verweisen. Christen hätten nur begrenzten Zugang zu Arbeitsstellen im öffentlichen Sektor und würden in der Privatwirtschaft diskriminiert, wenn die Arbeitgeber Verbindungen zur Regierung unterhalten. Da die Religionszugehörigkeit immer noch in den Personalausweisen vermerkt wird, sei es ein Leichtes, Christen im Bewerbungsprozess zu benachteiligen.
Lohn der Diplomatie?
Ein Papst, der vor diesem Hintergrund noch vom Segen des Schrumpfens spricht, hat entweder nichts begriffen oder ein gutes Motiv. Ein solches sollte Leo XIV. nicht abgesprochen werden. Natürlich ist er auch Diplomat, der jedes seiner Worte einer Risikoabschätzung zu unterziehen hat. Hätte er Erdogan das V-Wort ins Gesicht geschleudert, ein muslimsiches Mea Culpa eingefordert und seine türkischen Glaubensbrüder- und schwestern zu Opfern des national-islamistischen Kurses des Staatschef erklärt, hätten die Christen davon auch nichts gehabt. Sie müssten vielmehr die Rache des Präsidenten fürchten. Ist aber umgekehrt zu erwarten, dass die päpstliche Zurückhaltung belohnt und es den türkischen Christen ab nun besser gehen wird? Wohl kaum.
Fatale Schwäche
Auch hier zeigt die jüngere Geschichte, dass Zurückhaltung im Islam gern als Schwäche interpretiert und entsprechend gehandelt wird. Schon vor knapp 20 Jahren hatte ein anderer Papst in der Türkei Frieden und interreligösen Dialog beschworen – und in Istanbul die einst bedeutendste Kirche der Christenheit, die 1453 nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels in eine Moschee umgewandele Hagia Sophia besucht. Damals betrat er ein von Atatürk religiös neutralisiertes Museum. 14 Jahre später konnte Papst Franziskus nur seinen „großen Schmerz” zum Ausdruck bringen, nachdem Erdogan das Museum wieder zur Moschee und Ali Erbas, der damalige Chef der Reliliongsbehörde DIYANET, das erste Freitagsgebet mit dem Schwert in der Hand gehalten hatte. Papst Leo XIV. verzichtete auf einen Besuch der Hagia Sophia, aber auch auf jede Äußerung von Schmerz.
Erdogan und seine auch hierzulande unter den fest zugekniffenen Augen von Politik und Behörden agitierende Islamistentruppe werden den Papstbesuch in ihrem Sinn zu deuten wissen: Er symbolisiert ein schwaches Christentum, welches nicht begreift dass der „Weg der Niedrigkeit” einer in die Bedeutungslosigkeit ist. Und er wird sie ermutigen, sich niemals auf den „Weg der Niedrigkeit” zu machen.
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