Stefan Embacher und Hans-Georg Maaßen: Nach Graz – Entschlossen handeln, um unsere Kinder zu schützen
Es ist ein Tag, der alles verändert hat. Ein Tag, der das Undenkbare zur Realität gemacht hat: Ein bewaffneter junger Mann betritt seine ehemalige Schule in Graz und reißt mit wenigen Schüssen Leben auseinander, Familien in Trauer – und ein Land in Schockstarre.
Was bisher vor allem in internationalen Schlagzeilen geschah, ist nun mitten unter uns. Österreich erlebt den blutigsten Amoklauf seiner Geschichte. Und mit ihm die Erkenntnis: Auch wir sind nicht immun gegen den zerstörerischen Mix aus Hass, Isolation und bewaffneter Entschlossenheit. Jetzt ist nicht die Zeit für routinierte Betroffenheit. Jetzt ist die Zeit für Konsequenz, Klarheit und kollektive Verantwortung.
Viele von uns – egal, ob Verantwortungsträger oder Bürger – stellen sich in den Tagen nach derartigen Tragödien die Frage, wie man diese hätte verhindern können. Darauf gibt es aber keine einfache Antwort. Die harte Realität ist, dass eine Gesellschaft, die persönliche Freiheiten hochhält, derartige Vorfälle nie völlig verhindern wird können, ohne dabei ihre Werte auf dem Altar der absoluten Kontrolle und Überwachung zu opfern. Es gibt aber durchaus internationale Beispiele, von denen wir lernen können.
Früh eingreifen: Warnsignale ernst nehmen, Konflikte lösen
Prävention an Schulen ist zentral. Der Täter fühlte sich Berichten zufolge gemobbt – eine Entschuldigung für nichts. Doch es zeigt, dass wir Warnsignale ernst nehmen müssen. Bedrohungsbewertungsteams, wie sie in den USA nach Columbine eingeführt wurden, haben sich bewährt. Sie analysieren Risiken durch auffällige Schüler systematisch, ohne falsche Rücksichtnahme. Lehrer und Schüler sollten in Deeskalationstechniken geschult werden, wie es Israel erfolgreich praktiziert, um Konflikte früh zu entschärfen. Schulpsychologen sind wichtig, aber sie dürfen nicht zur Ausrede werden, um Verantwortung auf andere abzuwälzen.
Sicherheit lehren, Leben retten
Im Ernstfall zählt schnelles Handeln. Die Polizei in Graz reagierte vorbildlich, doch Schulen müssen besser vorbereitet sein. „Run, Hide, Fight“-Trainings, wie sie in den USA Standard sind, lehren Schülern und Lehrern, wie sie in Extremsituationen überleben: weglaufen, sich verstecken oder, wenn es keine Alternative gibt, den Angreifer konfrontieren. Solche Programme retten Leben, wie der Fall Parkland zeigte. Technische Maßnahmen wie abschließbare Klassenzimmer oder Panikknöpfe, wie in Südkorea üblich, ergänzen dies, ohne Schulen in Bunker zu verwandeln. Ergänzend sollte moderne, intelligente Videoüberwachung an Schulzugängen eingesetzt werden – nicht zur Massenkontrolle, sondern zur gezielten Gefahrenabwehr. Systeme mit automatisierter Verhaltensanalyse können auffällige Bewegungsmuster oder das Mitführen von Waffen frühzeitig erkennen und Alarm schlagen, bevor der Täterzuschlagen kann. So entsteht ein Sicherheitsnetz, das nicht abschreckt, sondern schützt.
Nachahmung verhindern: Jetzt bewusst auf die Bremse treten
Jede öffentliche Gewalttat birgt die Gefahr, Nachahmungstäter zu motivieren. Besonders dann, wenn Täter medial omnipräsent werden und sich durch ihre Tat als vermeintlich „sichtbar“ erleben. Studien zeigen, dass Schulamokläufe in Wellen auftreten können, wenn die gesellschaftliche Erschütterung noch frisch ist. Gerade in den Wochen nach einem solchen Ereignis ist das Risiko erhöhter Gewaltbereitschaft unter instabilen oder vereinsamten Jugendlichen real. Deshalb sollte die Politik jetzt den Mut haben, einen unpopulären, aber wirksamen Schritt zu setzen: Schulen in ganz Österreich sollten bis zum 28. Juni – also bis zum Beginn der Sommerferien – geschlossen bleiben. Nicht aus Panik, sondern als verantwortungsvolle Pause: um potenziellen Nachahmern die Bühne zu entziehen, um Raum für Aufarbeitung, psychologische Stabilisierung und gezielte Prävention zu schaffen. Während der Corona-Pandemie war es ebenfalls möglich, Unterricht kurzfristig auf digitale Kanäle zu verlagern. Es spricht nichts dagegen, diese erprobte Struktur jetzt noch einmal zu nutzen. Nicht aus gesundheitlicher, sondern aus sicherheitspolitischer Verantwortung. Wer Kindern Schutz verspricht, muss auch bereit sein, entschlossen zu handeln, wenn es darauf ankommt.
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