Ralph Schöllhammer: Covid als überfällige Kollision mit der Realität
Kaum eine Schlagzeile kommt momentan in Österreich öfter vor als jene, welche die Wissenschaftsskepsis der Bevölkerung beklagt. Ich sehe das auch als Problem, aber es bereitet einem schon fast ein zynisches Vergnügen zu beobachten wie das Wehklagen gerade von jenen kommt, die einen Großteil der Verantwortung für diese Skepsis tragen.
Seit den 1960ern haben die heimischen Medien jeden Katastrophen-Hype mitgetragen, egal wie dünn die wissenschaftliche Faktenlage war. Peak-Oil, Ozonloch, Waldsterben, Überbevölkerung und mein persönlicher Favorit, die neue Eiszeit. Vor dieser warnte Der Spiegel 1974 und Time Magazine gab noch drei Jahre später 51 Ratschläge, wie permanente globale Temperaturen unter null zu überleben seien.
Der „Club of Rome“ behauptete 1972 in seiner Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ eine „präzise Prognose über die langfristige Entwicklung weltweiter Probleme abzugeben.“ Der Angekündigten Präzision zum Trotz sind die Untergangsszenarien des Clubs nie eingetreten, und weder Rohstoffmangel noch Überbevölkerung haben zu erwarteten Kriegen und Hungersnöten mit Milliarden Toten geführt, wie damals noch befürchtet wurde. Die Lust am drohenden Untergang ist in der westlichen Kultur und Mentalität fest verankert, wofür der Historiker Tom Holland die im Christentum zentrale Endzeitidee als Voraussetzung für die Wiederkehr von Christus verantwortlich macht. Die religiösen Wurzeln der Klimabewegung sind mittlerweile zulänglich bekannt, und prinzipiell steht es jeder Gesellschaft zu, sich ihre Heiligen und Ideologien selbst auszusuchen.
Thesen, die nicht belegt sind, werden über Medien verbreitet
Aber diese Freiheit hat ihren Preis, und dieser wird nicht nur von der seriösen Wissenschaft sondern auch in realen Menschenleben bezahlt. Es war nur so, dass bis zur Corona Krise diese Leben vor allem außerhalb Europas bezahlt werden mussten. Ein gutes Beispiel dafür ist das Pflanzenschutzmittel DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), welches 1963 verboten wurde. Die amerikanische Biologin Rachel Carson veröffentlichte 1962 ein Buch mit dem Titel „Silent Spring“ („Stummer Frühling“) und warnte vor der „Zerstörung der Welt“ durch DDT. Carson fand in den damaligen Medien bereitwillige Multiplikatoren ihrer Thesen, welche bis heute nicht wissenschaftlich belegt sind, und selbst das angebliche Krebsrisiko durch DDT basiert mehr auf Befürchtungen als auf Evidenz. Also hat man es verboten – Vorsicht ist ja besser als Nachsicht – ohne sich um die möglichen Konsequenzen zu kümmern. Noch dankbarer als die Medien war wahrscheinlich die Anophelesmücke, die Hauptüberträgerin des Malariaerregers, welche durch das Sprühmittel fast ausgerottet wurde. Sri Lanka beispielsweise hatte dank DDT die Anzahl der Malariaerkrankungen von 2,8 Millionen 1946 auf 17 Erkranken 1963 reduziert – um nach dem Verbot wieder auf über 2 Millionen innerhalb von fünf Jahren zu explodieren. Seit 2012 gilt Sri Lanka wieder als Malaria frei, weil schließlich sowohl die WHO also auch die Weltbank 2006 den Einsatz von DDT zur Malariabekämpfung empfahlen. Über 50% der Malariaopfer sind Kinder unter fünf Jahren und ist in Afrika für viele der Jüngsten die häufigste Todesursache. Wie der ehemalige Präsident der Max Planck Gesellschaft Hubert Markl feststellte, haben „die Nebenwirkungen des DDT-Verbotes mit Sicherheit mehr Menschen das Leben gekostet als die Nebenwirkungen des DDT.“
Ideologisierung wissenschaftlicher Fragen
Die Länder des sogenannten globalen Südens sind schon länger Opfer westlicher Endzeit-Phantasien. So verweigert man Afrika und Südamerika den Zugang zu moderner Agrikultur und billiger Energie, um damit die Klimaziele der Industrienationen schneller zu erreichen. Dass damit die Armut, Hunger und Massensterben in den betroffenen Ländern verlängert werden und übrigens auch langfristig die Umweltschäden dort zunehmen wird einfach ignoriert. Moderne Agrikultur könnte die Produktion von Reis, Weizen und Mais in Entwicklungsländern verfünffachen, und selbst die „Food und Agriculture Organization“ der Vereinten Nationen gibt zu, dass mit verbesserter Irrigation, Landwirtschaftsmaschinen und Düngemitteln das doppelte an Nahrungsmitteln in Afrika produziert werden könnte. Und diese Effizienzsteigerung würde eine geringere Bodennutzung und damit langfristig auch eine Verringerung des Co2 Ausstoßes bedeuten. Die größte Bedrohung für Afrika ist nicht der Klimawandel sondern ein de-facto vom Westen auferlegtes Modernisierungsverbot, welches übrigens auch Grund für die wachsenden Migrationsströme aus diesem Teil der Welt ist.
Würde man das Gerede vom „strukturellem Rassismus“ wirklich ernst nehmen, müsste die Klimapolitik des Westens hier ganz vorne stehen. Doch wie so oft war die Ideologisierung einer wissenschaftlichen Frage wichtiger als deren Lösung. Und dieses Problem ist mit Corona nun auch in den westlichen Industrienationen angekommen.
Übergewicht und Fettleibigkeit verdreifachen das Risiko mit einer Covid Erkrankung auf der Intensivstation zu landen, und fast 80% aller Corona Hospitalisierungen betreffen Menschen mit einem Body Mass Index über 25. Eigentlich sollte dies keine große Überraschung darstellen, da Fettleibigkeit und gesundheitliche Probleme schon immer Hand in Hand gingen: Erhöhter Blutdruck, Diabetes, Herzbeschwerden und ein durcheinandergebrachter Hormonhaushalt sind nur ein paar der seit Jahrzehnten bekannten negativen Konsequenzen von Übergewicht.
Übergewicht wird durch Ideologisierung verharmlost
Doch statt das Problem zu benennen und zu bekämpfen, hat man es ideologisiert und pseudo-akademisiert: Fat-Studies und die Body Positivity Bewegung erklärten medizinisch bedenkliches Übergewicht zu einer Identitätsfrage, und so wie sich Menschen durch Hautfarbe oder Geschlecht unterscheiden, gibt es eben auch dünnere und dickere Personen. Der Hinweis auf negative gesundheitliche Konsequenzen wurde mit dem Begriff Fat-Shaming oder Body-Shaming in die Nähe des Rassismus gerückt und war damit über jede Kritik erhaben. Magersucht – welche ebenfalls massive negative Konsequenzen mit sich bringt – sei genauso schlimm und der beste Weg den Körperwahn zu bekämpfen sei plus-Size zu zelebrieren, weshalb Tess Holliday 2018 die Titelseite des Mode Magazins Cosmopolitan zieren durfte. Mit einem BMI von 40 fällt sie zwar in die Kategorie der morbiden Adipositas, doch was zählen medizinische Fakten schon im Zeitalter der Identitätspolitik?
Derselbe Standard, der sich über Wissenschaftsfeindlichkeit beklagt, lamentierte noch 2015, dass Körperfett nicht „neutral“, sondern mit „medizinischen und ästhetischen Maßstäben“ betrachtet würde. Zu dumm, dass das Covid-Virus in seinen Varianten ebenfalls nicht neutral ist, sondern mit steigendem BMI zu einer immer größeren Gefahr wird.
Den physiologischen Schaden, den die Verharmlosung von Übergewicht angerichtet hat, schafft der Social-Media Wahn im psychologischen Bereich. Wie der Sozialpsychologe Jonathan Haidt festgestellt hat, findet im Westen eine Epidemie der Suizide und Selbstverletzungen unter jungen Mädchen statt. Grund dafür sind die unterschiedlichen Effekte die soziale Medien auf Jungen und Mädchen haben. Selbstmorde bei 10-14 jährigen Mädchen haben in den USA um 151% zugenommen, bei 15-19 jährigen Mädchen um 70%. Während Buben hauptsächlich online Videospiele nutzen, sind bei Mädchen visuelle Plattformen wie Instagram oder TikTok dominant, wo weniger das Spiel und mehr die Performance innerhalb sozialer Gruppe im Vordergrund steht. Wie man von anderen (visuell) wahrgenommen wird erzeugt enormen psychologischen Druck bis hin zu Neurosen und Depressionen, welche vor allem bei weiblichen Teenagern durch die Decke gehen. All das bestätigt, was schon lange bekannt ist – Männer und Frauen sind unterschiedlich und diese Unterschiede sind nicht nur sozial konstruiert sondern haben auch eine biologische Verankerung. Aber wie die Schicksale der Autorin von Harry Potter, J. K. Rowling oder der britischen Philosophin Kathleen Stock gezeigt haben stellt man sich mit dieser Feststellung bereits ins gesellschaftliche Abseits.
Die Idee, dass die individuelle Geschlechtszugehörigkeit nach Belieben geändert werden könnte hat medizinische Konsequenzen, insbesondere wenn Kinder vor der Pubertät ihr Bedürfnis äußern, durch Hormonblocker oder andere Behandlungen ihr biologisches Geschlecht zu ändern. Unabhängig davon, ob man dies befürwortet oder nicht, sollte man zumindest mit Vorsicht vorgehen wenn man Personen die zu jung sind um den Führerschein zu machen die Möglichkeit einräumt, über schwerwiegende medizinische Eingriffe zu entscheiden. Doch selbst diese Diskussion wird in einer ideologisierten Atmosphäre unmöglich gemacht. Wie die Autorin Abigail Shrier festellen musste, reicht es schon unangenehme Fragen zu stellen um ein Buch vom Verkauf auf Amazon gebannt zu bekommen. In Deutschland haben die beiden Koalitionspartner Grüne und FDP ein Gesetz vorbereitet, dass jeder Person ohne medizinisches Gutachten erlaubt, sein Geschlecht selbst festzulegen und in Österreich sind ähnliche Gesetze in Planung.
Moralische Angstkampagnen statt Aufklärung
All das mag gut gemeint sein, aber wissenschaftlich ist es nicht. Es ist nicht schwer zu verstehen warum in einer Gesellschaft, die ohne zu zögern das biologische Geschlecht abschafft, auch Granderwasser und Wunderheiler ihren Platz haben. Wenn die Geschlechtszugehörigkeit eine rein persönliche Entscheidung ist, trifft das dann nicht auch bei einer Impfung zu? Die Wiederentdeckung der Verantwortung beziehungsweise der Pflichten des Individuums in der Gesellschaft finde ich prinzipiell begrüßenswert, aber ich kann auch den Widerstand nachvollziehen nachdem jahrzehntelang die körperliche Autonomie von der Abtreibung bis zum Geschlecht zum Maß aller Dinge gemacht wurde. Auch nur ansatzweise kollektivistisches Denken wurde als konservativ und anachronistisch abgetan, und jetzt wundert man sich, dass sich diese Werte nicht auf Knopfdruck reaktivieren lassen. Wir reden plötzlich wieder von „Volksgesundheit“ und „Gemeinsinn“ – Worte, die jemanden vor drei Jahren wahrscheinlich noch in die Nähe quasi-faschistischer Ideologie gerückt hätten (im Dritten Reich wurde der Ausdruck „Gemeinnutz vor Eigennutz“ sogar auf Münzen geprägt).
Ich bin einer großer Befürworter der individuellen Freiheit und des Rechts auf Selbstbestimmung, aber ich glaube nicht, dass diese Werte im Widerspruch zu einer objektiv existierenden Realität stehen. Wir haben als Gesellschaft gelernt allerlei wissenschaftlich widerlegten Unsinn als Teil des Rechts auf Selbstverwirklichung zu akzeptieren, weil man davon ausging, dass die Konsequenzen vernachlässigbar seien. Corona lässt uns jetzt die Folgen dieser Fahrlässigkeit spüren. Aber was bei Corona gilt, trifft auch in anderen Bereichen zutreffen: Die Abschaffung der Kernenergie oder das Dämonisieren der Genforschung sind nur zwei weitere Felder, wo die Ideologie über die Wissenschaft triumphiert hat. Man hat den Menschen in Österreich und Deutschland nie wissenschaftlich reinen Wein eingeschenkt, sondern moralische Angstkampagnen geführt deren Konsequenzen einfach ignoriert werden.
Jetzt wo neben der massenhaften Verweigerung von mRNA Impfstoffen auch die Energieknappheit droht, sollte man vielleicht umdenken.
Ralph Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien. Auf Twitter unter @Raphfel sowie auf seinem Podcast “The Global Wire” kommentiert er regelmäßig das globale wirtschaftliche und politische Geschehen.
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