Als das EU-Parlament vor wenigen Tagen seine Resolution präsentierte, blieb vieles im Detail verschwommen, aber eines war eindeutig: KI-Chatbots und sogenannte „AI Companions“ sollen für Jugendliche künftig tabu sein. Unter 13 gar nicht mehr, zwischen 13 und 15 nur mit schriftlicher Zustimmung der Eltern. Aus Sicht der Politik klingt das vorsichtig und verantwortungsvoll. Doch bei genauerem Hinsehen ist es etwas anderes: ein Reflex aus der alten Welt, in der Technologie als Störfaktor galt und nicht als Lerninstrument.

Ich studiere KI, arbeite an meiner Fakultät in der Forschung und führe zwei Unternehmen im KI-Bereich. Ich weiß daher aus erster Hand, wie diese Technologie funktioniert und welche Bedeutung sie für unsere Zukunft hat. Und wahrscheinlich habe ich selten eine Regulierungsdebatte gesehen, in der Problem und Lösung so weit auseinanderliegen. KI ist keine Mode, sie ist nicht TikTok oder Instagram. KI ist die neue Infrastruktur des Lernens. Ein System wie ChatGPT erklärt eine mathematische Formel geduldiger als jeder Nachhilfelehrer, hilft Schülern, ihre Texte zu strukturieren, übersetzt Vokabeln in Sekunden und baut bei Bedarf sogar eigene Beispiele. Die OECD spricht deshalb von einer „pädagogischen Hebelwirkung“, wenn KI richtig eingesetzt wird. Und UNESCO-Forscher zeigen, dass personalisierte Lernhilfen vor allem jene Kinder nach oben ziehen, die zuhause keine akademische Unterstützung haben.

Trotzdem denkt die EU über ein Altersverbot nach, als wäre KI ein digitales Zigarettenpäckchen.

Der Blick nach außen

Was diese Debatte so gefährlich macht, ist nicht nur ihre Naivität, sondern ihr Timing. Denn während Europa darüber diskutiert, ob 15-Jährige überhaupt mit einem KI-System sprechen sollten, machen andere Länder genau das Gegenteil. Sie integrieren KI in die Schule – nicht kopflos, sondern strukturiert, begleitet und mit einem Ziel: ihre Schüler fit für eine Zukunft zu machen, in der KI selbstverständlich zum Alltag gehören wird.

Estland ist das beste Beispiel. Ab Herbst 2025 erhalten zehntausende Schülerinnen und Schüler offiziell Zugang zu ChatGPT Edu. Lehrer werden parallel geschult, damit sie KI sinnvoll in den Unterricht einbetten können. Für ein Land, das seit Jahren zu den besten PISA-Ergebnissen Europas gehört, ist das kein Experiment, sondern Strategie: KI wird dort als Werkzeug gesehen, das gleiche Chancen schafft. Kein Wunder, dass Estland die Digitalisierung seit Jahren anführt.

In den USA zeichnet sich ein ähnliches Bild. Laut aktuellen Bildungsanalysen arbeiten inzwischen mehr als sechzig Prozent der Lehrkräfte mit KI-Tools. Nicht heimlich, nicht zufällig, sondern systematisch. Die größten Schulbezirke entwickeln eigene KI-Richtlinien, Fortbildungen explodieren. Nicht, weil amerikanische Lehrer unkritisch wären, sondern weil sie sehen, dass KI ihnen Routinearbeit abnimmt und sie mehr Zeit fürs Wesentliche haben: für Kinder.

Wir hingegen diskutieren, ob Jugendliche diese Technologie überhaupt kennenlernen dürfen.

Verbote verstärken Ungleichheit

Aus psychologischer Sicht sind die Risiken digitaler Übernutzung gut belegt. Jugendliche verbringen heute oft fünf bis sechs Stunden am Tag online und rund ein Viertel zeigt Anzeichen von problematischem Smartphoneverhalten. Aber diese Zahlen sind aus der Welt von Social Media. Die Forschung unterscheidet hier klar: Es macht einen erheblichen Unterschied, ob Jugendliche stundenlang durch algorithmische Feeds scrollen oder ob sie strukturierte, gefilterte KI-Systeme als Lernwerkzeug nutzen.

Die OECD zeigt in ihren Analysen deutlich, dass Schüler, die zu Hause wenig Unterstützung haben, besonders profitieren, wenn digitale Hilfsmittel ihnen Grundlagen noch einmal erklären. Das ist der Grund, warum Länder mit starken digitalen Lernprogrammen – von Finnland bis Singapur – messbare Verbesserungen bei leistungsschwächeren Schülern erzielen.

Ein pauschales Verbot würde also genau jene treffen, die darauf angewiesen wären. Wer ein technikaffines Elternhaus hat, wird Wege finden, KI trotzdem zu nutzen. Wer das nicht hat, bleibt zurück. Technologieverbote verschieben Probleme nicht nach unten, sondern verteilen Chancen nach oben.

Wirtschaftliche Realität

KI ist längst nicht mehr nur ein Hilfsmittel, sie ist ein Produktivitätsfaktor. Studien von McKinsey und Goldman Sachs zeigen, dass rund vierzig Prozent aller heutigen Tätigkeiten in Europa teilweise automatisierbar sind. Gleichzeitig entstehen neue Berufe: Prompt Engineers, Datenpfleger, KI-Qualitätsprüfer, Automatisierungsplaner. Die OECD geht davon aus, dass KI-Kompetenzen in weniger als zehn Jahren genauso wichtig sein werden wie Computerkenntnisse heute.

Für Österreich bedeutet das etwas sehr Konkretes: Wenn unsere Jugendlichen mit 15 keinen strukturierten Zugang zur wichtigsten Technologie ihrer Generation haben, während ihre Altersgenossen in den USA, Estland oder Asien damit aufwachsen, dann entsteht nicht nur ein Bildungsrückstand, sondern ein wirtschaftlicher. Und den holt man später kaum mehr auf. Das haben wir bereits beim Internet erlebt.

Angst ist kein Konzept

Ich verstehe die Sorgen, die viele Menschen mit KI verbinden. KI wirkt fremd, schwer durchschaubar und manchmal unheimlich. Aber die Lösung ist nicht, Jugendlichen diese Technologie vorzuenthalten. Die Lösung ist, sie ihnen verständlich zu machen. Medienkompetenz entsteht nicht durch Verbote, sondern durch Anleitung. KI-Kompetenz nicht durch Sperren, sondern durch Struktur.

Was wir brauchen, ist nicht ein europäischer Schutzwall, sondern europäische Lernräume: altersgerechte KI-Versionen für Schulen, verpflichtende Lehrerausbildungen, transparente Systeme, die klar dokumentiert sind und sich an pädagogische Regeln halten.

Wir sollten nicht darüber diskutieren, wie man KI aus dem Klassenzimmer fernhält, sondern wie man sie verantwortungsvoll hineinbringt.

Der entscheidende Moment

Europa hat fantastische Forscher, großartige Hochschulen und Unternehmen, die international mithalten. Aber wir verlieren Zeit. Und Zeit ist die härteste Währung in der Technologie. KI wird nicht verschwinden. Sie wird jeden Beruf, jede Ausbildung, jede Branche verändern. Entweder wir bereiten unsere Jugendlichen darauf vor oder wir bereiten sie auf eine Vergangenheit vor, die es nicht mehr gibt.

Die EU meint es gut mit dieser Resolution, aber gut gemeint ist nicht gut gemacht. Wir sollten Kinder schützen, ja. Aber nicht vor der Zukunft. Sondern vor der Angst davor.