Wir stehen am Beginn einer neuen Phase der KI-Revolution. Bisher war Künstliche Intelligenz der Öffentlichkeit vor allem als ein Werkzeug bekannt, das Texte schrieb, Daten zusammenfasste oder Fragen beantwortete. Jetzt bekommt sie Handlungsfähigkeit. Das bedeutet: KI kann eigenständig Schritte ausführen, Entscheidungen treffen und Ziele verfolgen. Sie wird zum digitalen Mitarbeiter, der nicht nur denkt, sondern auch tut.

Agentic AI ist dabei kein brandneues Konzept. Schon vor über einem Jahr sorgte beispielsweise das Start-up Cognition Labs mit Devin, dem ersten autonomen Software-Ingenieur, für Schlagzeilen. Auch Manus AI, der erste General Purpose AI Agent, der selbstständig Aufgaben quer durch verschiedene Tools erledigen kann, sorgte für Staunen in der Tech-Community. Seitdem hat sich allerdings einiges getan. Die Technologie ist gereift und die großen Tech-Konzerne machen jetzt ernst: Aus Experimenten werden Produkte, aus Prototypen Alltag.

Die großen Player machen ernst

In den letzten Tagen hat sich dieser Wandel deutlich beschleunigt. OpenAI stellte mit Atlas einen neuen Browser vor, der einen Agent Mode integriert. Er öffnet Tabs, klickt Schaltflächen, liest Webseiten aus und kann Aufgaben im Internet selbst ausführen. Microsoft baut mit Copilot Actions und der Sprachsteuerung „Hey Copilot“ agentische Funktionen direkt in Windows 11 ein. Der PC soll künftig auf Zuruf Dateien finden, Berichte verfassen oder Termine koordinieren. Außerdem führt Anthropic mit Claude Skills standardisierte Fähigkeitsbausteine für autonome Arbeitsagenten ein und ergänzt sie mit Claude Code, einem Coding-Agenten, der Projekte direkt im Browser selbstständig weiterentwickelt.

Kurz gesagt: Browser, Betriebssystem und Arbeitsplatz werden agentisch. Der Computer wird nicht mehr bloß bedient, er arbeitet mit.

Ein digitaler Mitarbeiter für jeden

Was bisher nur Führungskräfte mit Teams konnten – Aufgaben delegieren – wird jetzt für alle möglich. Ein Agent kann E-Mails selbständig versenden, Reisen buchen, Meetings planen oder sogar ganze Software Projekte umsetzen. Statt dutzender Tools genügt bald ein einziger Satz: „Erstelle mir eine Zusammenfassung der letzten fünf Verkaufsberichte und schicke sie an mein Team.“ Die KI erledigt das – schnell, präzise und rund um die Uhr.

Laut einer Analyse von Goldman Sachs kann diese Technologie die Arbeitsproduktivität um rund 15 Prozent steigern, sobald sie flächendeckend eingesetzt ist. Und genau das brauchen wir gerade in Österreich: In einer Zeit, in der viele Unternehmen mit steigenden Kosten, Fachkräftemangel und sinkender Nachfrage kämpfen, zählt jeder Effizienzgewinn doppelt.

Eine aktuelle Studie von Google und dem Handelsverband Österreich zeigt, dass bereits mehr als 60 Prozent der heimischen Betriebe KI aktiv einsetzen oder pilotieren, vor allem in Bereichen wie Marketing, Buchhaltung oder Kundendienst. Agentic AI hebt das Ganze nun auf die nächste Stufe: von der Unterstützung zur echten Automatisierung.

Gerade für kleine und mittlere Betriebe eröffnet das enorme Chancen. Ob in der Logistik, im Vertrieb oder im Personalwesen – Agentic AI kann Abläufe automatisieren, Prozesse beschleunigen und so Ressourcen freisetzen, die sonst in Routinearbeit gebunden sind.

Mensch & KI ziehen an einem Strag

Agenten werden uns nicht ersetzen, sondern entlasten. Experten sprechen hier vom Human in the Loop – also einem Menschen, der die KI anleitet, prüft und freigibt. Unternehmen, die diese Balance finden, erzielen bereits messbare Produktivitätsgewinne. Der Mensch definiert das Ziel, die KI kümmert sich um den Weg dorthin. Das ist kein Kontrollverlust, sondern eine neue Form der Arbeitsteilung.

Wie weit die Entwicklung gehen kann, zeigt ein Beispiel aus China. Das Technologieunternehmen NetDragon Websoft hat bereits vor einiger Zeit eine virtuelle KI namens Tang Yu als CEO einer Tochterfirma eingesetzt. Die Aufgabe: Entscheidungen treffen auf Basis von Daten, nicht von Bauchgefühl. Das Ergebnis: Der Aktienkurs des Unternehmens stieg nach der Ernennung um mehr als zehn Prozent. Natürlich steht weiterhin ein menschlicher Vorstand an der Spitze, aber der symbolische Schritt zeigt, wohin die Reise geht – hin zu datengetriebenen Organisationen, in denen KI-Führungskräfte unterstützt und Entscheidungen absichert.

Und dass genau dieses Zusammenspiel entscheidend sei, zeigt unter anderem folgendes Experiment: Als Forscher von Anthropic einer KI erlaubten, ein kleines Snackautomaten-Geschäft eigenständig zu führen, machte der Agent zwar Bestellungen und legte Preise fest, beging aber Fehler: Er verkaufte Produkte mit Verlust, verwechselte Lieferanten und bestellte aus Spaß Wolframwürfel. Das Experiment zeigte, dass Autonomie Aufsicht braucht. Doch genau aus solchen Experimenten lernen Entwickler, bessere Sicherheitsmechanismen zu schaffen.

Eine Chance für unseren Wirtschaftsstandort

Das Potential ist enorm und mit den richtigen Sicherheitsmechanismen, demokratisiert Agentic AI Produktivität bereits heute. Was früher nur große Firmen mit Teams und horrenden Budgets konnten, kann heute jeder: Ideen umsetzen, Projekte starten, Unternehmen führen und zwar ohne viel Startkapital oder einem großen Team.

In der aktuellen wirtschaftlichen Lage muss Österreich alles daransetzen, seine Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen. Wirtschaftlicher Erfolg hängt im Wesentlichen von drei Hebeln ab: Budget, Human Capital und Technologie – begünstigt durch stabile Rahmenbedingungen. Während die ersten beiden derzeit unter Druck stehen, ist Technologie der einzige Hebel, der sich kurzfristig stärken lässt. Und genau hier liegt die Chance: Agentic AI kann Produktivität steigern, Abläufe beschleunigen und Unternehmen entlasten. Agentic AI ist kein Bedrohungsszenario, sondern unsere Chance, Arbeit neu zu denken. Wer sie nutzt, arbeitet nicht härter, sondern klüger und sichert damit den Wohlstand von morgen.