Raphael Suchomel: KI bringt mehr Ungleichheit als gedacht
Meta investiert 14,3 Milliarden Dollar in ein einziges KI-Unternehmen und holt sich den 28-jährigen Gründer Alexandr Wang, damit er die neuen Superintelligence Labs leitet. Gleichzeitig kursieren Berichte über Angebote von bis zu 300 Millionen Dollar an einzelne Forscher, damit sie den Arbeitgeber wechseln. Für viele klingt das nach Größenwahn. In Wahrheit steckt dahinter eine nüchterne Rechnung: Künstliche Intelligenz macht aus Mittelmaß keine Genies, aber sie macht Genies so wirkungsmächtig, dass Konzerne bereit sind, Summen zu zahlen, die früher nur im Profisport vorkamen.
Beginnen wir bei einem Beispiel, das die Dimension zeigt. Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram, beteiligt sich mit 14,3 Milliarden Dollar an der Firma Scale AI. Scale AI liefert Trainingsdaten für KI Modelle, also gewissermaßen das „Futter“, aus dem Systeme wie ChatGPT lernen. Offiziell ist es eine strategische Investition in Infrastruktur. Inoffiziell geht es vor allem um eine Person: Alexandr Wang, 28 Jahre alt, Studienabbrecher, Selfmade-Milliardär.
Mit der Beteiligung wechselt Wang zu Meta und übernimmt eine zentrale Rolle in der neuen Abteilung für „Superintelligence“. Ein 28 Jähriger wird damit zu einem der wichtigsten Köpfe in der weltweiten KI Entwicklung. Man holt nicht nur einen Manager, sondern jemanden, der ganze Teams und Forschungsrichtungen mitzieht. Ähnlich lief es eine Stufe darunter schon vorher. Microsoft zahlte rund 650 Millionen Dollar an das Start up Inflection AI, lizenzierte dessen Technologie und holte gleichzeitig einen Großteil des Teams, inklusive Mitgründer Mustafa Suleyman, zu sich ins Haus. Es sind Deals, bei denen es offiziell um Technik geht, in der Realität aber vor allem um Menschen.
Warum Konzerne solche Summen zahlen
Um diese Summen zu verstehen, muss man sich klarmachen, wie KI inzwischen wirkt. Ein modernes KI-System ist kein einzelnes Programm, das in einer Firma läuft. Es ist eher eine Art Betriebssystem für Wissen. Ein neues Modell für Sprache oder Bildverarbeitung landet in Chatbots, Suchmaschinen, Office-Software, Übersetzungsdiensten, Entwickler Tools und internen Anwendungen zugleich.
Goldman Sachs rechnet damit, dass Generative KI die weltweite Wirtschaftsleistung um etwa sieben Prozent erhöhen kann, was ungefähr sieben Billionen Dollar zusätzlichem Wert entspricht. McKinsey erwartet, dass KI die Arbeitsproduktivität um rund 15 Prozent steigern kann, wenn sie breit eingesetzt wird. Wenn ein kleines Team von Spitzenforschern ein Modell entwickelt, das nur ein wenig besser ist, kann das für einen Konzern Milliarden wert sein. Vielleicht, weil es präziser antwortet. Vielleicht, weil es doppelt so schnell rechnet. Vielleicht, weil es mit weniger Grafikchips auskommt und damit Hunderte Millionen an Infrastruktur spart.
Vor diesem Hintergrund wirkt ein Paket von 100 Millionen Dollar für eine Schlüsselfigur nicht mehr wie ein Fantasiegehalt, sondern wie eine Versicherung. Es ist der Preis dafür, überhaupt noch im Rennen zu bleiben.
KI hebt den Durchschnitt, sprengt die Spitze
In der öffentlichen Debatte hört man oft: „Mit ChatGPT kann jeder plötzlich programmieren, Texte schreiben, Präsentationen bauen. Dann sind doch alle irgendwie gleich.“ Das klingt beruhigend, stimmt aber nur halb. Ich sehe es in meinem KI-Studium, in meiner Arbeit in der Forschung und in meinen Unternehmen: Ein durchschnittlicher Mitarbeiter schreibt mit KI einen etwas besseren Text, eine etwas sauberere E-Mail oder eine ganz passable Präsentation. Das ist hilfreich, aber nicht revolutionär.
Ganz anders wirkt KI bei Menschen, die bereits sehr gut in ihrem Gebiet sind. Ein Spitzenentwickler, der tiefe Systemkenntnis hat, nutzt KI, um Routinen zu automatisieren, neue Architekturideen zu testen und in Tagen Prototypen zu bauen, für die früher ein Team und mehrere Monate nötig waren. Ein exzellenter Forscher kann mit KI-Modelle entwerfen, auswerten und verbessern, die dann in Produkten landen, die weltweit genutzt werden.
KI ist ein Multiplikator. Sie hebt das Mittelmaß ein wenig an, aber sie katapultiert Exzellenz nach oben. Genau deswegen dreht sich der „War for AI Talent“ nicht um tausende normale Entwickler, sondern um einige Hundert Menschen, die neue Modellgenerationen definieren und die Forschungsrichtung vorgeben.
Superstars mit eigenen Regeln
Wie weit das geht, zeigen die neuen Strukturen, die im Silicon Valley entstehen. Meta baut Superintelligence Labs auf, Einheiten, die praktisch freie Hand bekommen, um die nächste Generation von KI-Systemen zu entwickeln. Für diese Teams berichtet Mark Zuckerberg direkt, es gibt eigene Budgets, eigene Hardwarecluster und eine Kultur, die eher an einen Rennstall erinnert als an eine klassische Abteilung.
Um diese Labs zu besetzen, greift Meta tief in die Tasche. Laut Berichten aus den USA wurden Top-Forschern, unter anderem bei OpenAI, Gesamtpakete von bis zu 300 Millionen Dollar über vier Jahre angeboten, teilweise mit mehr als 100 Millionen im ersten Jahr. Ein Teil der Aktien soll dabei sofort „vesten“, also nicht wie üblich über Jahre verteilt fällig werden, sondern sofort.
Auch andere Konzerne mischen mit. Reuters berichtet, dass die besten Forscher bei OpenAI inzwischen mehr als 10 Millionen Dollar pro Jahr verdienen können. Das ist mehr als viele Vorstandsvorsitzende großer Industrieunternehmen. So entsteht eine neue Gruppe von „Superstar Forschern“, die ökonomisch eher mit Spitzensportlern als mit klassischen Angestellten vergleichbar ist.
Die leisen Verlierer im Hintergrund
Natürlich hat das eine Kehrseite. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten seit zehn Jahren in einem Techkonzern, verdienen sehr gut, vielleicht 300.000 oder 400.000 Dollar im Jahr. Auf einmal kommt ein neuer Kollege ins Team, der für ein Paket von 100 Millionen über vier Jahre geholt wird.
Auf dem Papier sind Sie beide Forscher oder Entwickler. In der Realität trennen Sie Welten. In Gesprächen mit Mitarbeitern hört man, dass diese Gehaltskluft Unruhe bringt. Es entsteht eine Art Kastensystem: hier die „normalen“ Hochqualifizierten, dort die wenigen, die als strategischer Vermögenswert gehandelt werden. Wenn ein Konzern offen zeigt, dass einzelne Namen wichtiger sind als ganze Abteilungen, verändert das die Kultur. Deshalb sind die Summen nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine soziale. Sie berühren Loyalität, Motivation und das Gefühl von Fairness.
Was das mit uns zu tun hat
Man könnte jetzt sagen: Das ist eine amerikanische Spezialität, weit weg von Österreich. Aber das wäre zu kurz gedacht. Der internationale Arbeitsmarkt für KI-Talente ist schon lange global. Studien zeigen, dass ein großer Teil der besten KI-Forscher im Ausland arbeitet und dass diese Gruppe deutlich mobiler ist als andere Berufsgruppen. Viele dieser Menschen wurden an europäischen Universitäten ausgebildet und arbeiten heute in den USA, oft in genau jenen Teams, um die es jetzt im Talentkrieg geht.
Für uns hier bedeutet das zweierlei. Erstens: Wir dürfen uns nicht in die Illusion flüchten, KI würde alle gleich machen. Wer heute jung ist und sich fragt, ob sich Anstrengung noch lohnt, bekommt aus dem Silicon Valley eine klare Antwort. KI ersetzt nicht Können. KI verstärkt Können. Zweitens: Wenn Europa seine besten Köpfe halten will, braucht es Rahmenbedingungen, in denen Exzellenz mit KI auch hier ihren Platz findet. Das heißt nicht, dass wir 300 Millionen Pakete brauchen. Aber wir brauchen Forschungsinfrastruktur, Rechenzentren, mutige Unternehmen und Karrieremodelle, die mehr bieten als Verwaltung von Technologien, die anderswo entwickelt wurden.
Die eigentliche Lektion
Die Schlagzeilen über 14,3 Milliarden für ein Datenunternehmen und 300 Millionen Pakete für einzelne Forscher wirken surreal. Doch unter der Oberfläche erzählt dieser „War for AI Talent“ eine simple Geschichte. KI ist keine Zaubermaschine, die alle Unterschiede einebnet. Sie ist ein Verstärker. Wer wenig einbringt, bekommt etwas Hilfe. Wer viel einbringt, bekommt mit KI eine Hebelwirkung, die ganze Branchen verändern kann.
Für die Konzerne ist es deshalb keine Spinnerei, einzelne Genies wie Spitzenstürmer zu bezahlen. Es ist ein kalkuliertes Risiko in einem Wettlauf, in dem ein Jahr Vorsprung plötzlich Milliarden wert ist. Für uns als Gesellschaft bedeutet es: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur zusehen, wie dieser Wettlauf anderswo stattfindet. Und für jeden Einzelnen bedeutet es: Die wichtigste Frage ist nicht, ob KI unseren Job ersetzt. Die wichtigste Frage ist, ob wir KI nutzen, um besser in dem zu werden, was wir tun. Mittelmaß mit KI wird in Zukunft okay sein. Exzellenz mit KI wird unschlagbar.
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