Raphael Suchomel: Wenn KI das Tempo vorgibt und die Welt hinterherläuft
In Berlin hat diese Woche der Digitalgipfel stattgefunden, ein wichtiger Schritt für Europas digitale Zukunft und eine Initiative, die direkt von unserem Staatssekretär Alexander Pröll stammt. Doch fast gleichzeitig präsentierte Google Gemini 3 und stellte damit alles in den Schatten. Die KI-Welt spricht seitdem nur noch darüber, weil dieses Modell einen Sprung gemacht hat, der selbst Fachleute überrascht hat. Und es erinnert uns daran, wie schnell sich die Realität bewegt, während wir noch planen, wie wir sie gestalten wollen.
Gemini 3 ist nicht einfach ein besseres Modell. Es ist der bisher deutlichste Beweis dafür, dass KI inzwischen Fähigkeiten erreicht, die man vor zwei Jahren noch für Science-Fiction gehalten hätte. In wissenschaftlichen Tests wie dem GPQA, der eigentlich für Forscher gedacht ist, erzielt es Werte auf Expertenniveau. In der Mathematik löst es Beweise, bei denen selbst sehr gute Universitätsabsolventen scheitern. Und in der Programmierung ist Gemini in manchen Fällen zehnmal schneller als frühere Modelle, die die Softwareentwicklung schon davor deutlich beschleunigt haben.
Noch wichtiger ist die Art, wie es denkt. Es verknüpft Text, Bild, Ton und Video gleichzeitig. Das entspricht einer Art digitalem Weltverständnis, das wir bisher in keinem System gesehen haben. Viele KI-Forscher sagen deshalb, dass Gemini 3 kein Schritt, sondern ein Sprung ist. Und dieses Tempo ist nicht zufällig, sondern Ergebnis einer Entwicklung, die unsere Arbeitswelt grundlegend verändert.
Wie KI unser Arbeiten verändert, nicht irgendwann, sondern jetzt
Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, ob KI-Jobs verändert, sondern in welchem Ausmaß und wie schnell. Studien von Goldman Sachs zeigen, dass rund vierzig Prozent aller heutigen Tätigkeiten zumindest teilweise automatisierbar sind. In Europa sind es etwa dreiunddreißig Prozent. Das bedeutet nicht, dass ein Drittel der Jobs verschwindet. Es bedeutet, dass ein Drittel der Aufgaben anders erledigt wird. Computer haben die Arbeitswelt schon in den neunziger Jahren neu geordnet, doch das Ausmaß der Veränderung durch KI ist noch größer und betrifft nahezu jede Branche zugleich.
Diese Verschiebung passiert bereits. Mehr als sechzig Prozent der österreichischen Unternehmen nutzen laut einer aktuellen Analyse KI Systeme oder testen sie aktiv. Und die Ergebnisse sind eindeutig. Wo KI eingesetzt wird, steigt die Produktivität im Schnitt um fünfzehn Prozent. In Bereichen wie Kundendienst oder Dokumentenprüfung sogar über dreißig Prozent. In der Softwareentwicklung verdoppelt sich in vielen Teams die Geschwindigkeit.
Die Arbeitswelt ändert sich damit nicht schrittweise, sondern im Durchlaufverfahren. Was früher einen halben Tag dauerte, erledigt ein KI-System wie Gemini heute in Minuten. Das ist keine Bedrohung, sondern die Chance, aus dem Fachkräftemangel herauszuwachsen. Österreich fehlen laut WKO mehr als zweihunderttausend Arbeitskräfte. KI ist der einzige kurzfristige Hebel, der diese Lücke realistischerweise schließen kann.
Warum mit KI nicht nur Jobs verschwinden, sondern neue entstehen
Die Angst vor Jobverlust ist verständlich, aber die Daten zeigen ein anderes Bild. Jede Automatisierungswelle der letzten zweihundert Jahre hat unterm Strich mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet. Genau das passiert wieder. KI erzeugt eine neue Klasse von Berufen. KI-Trainer, Datenpfleger, Automatisierungsmanager, Modellprüfer, sichere KI-Spezialisten. Die OECD erwartet, dass diese Jobs bis 2030 doppelt so stark wachsen wie klassische Berufsgruppen.
Auch in Österreich entstehen diese Rollen bereits. Banken suchen Mitarbeiterinnen, die KI-Systemausgaben prüfen. Produktionsbetriebe benötigen Spezialisten, die Automatisierungen planen und überwachen. Und in der Verwaltung gibt es bereits die ersten Pilotprojekte für KI gestützte Prozesse, die künftig eine ganz neue Generation von Technikjobs hervorrufen.
Der wirtschaftliche Effekt ist gewaltig
Hier lohnt sich ein Blick auf die Zahlen. KI könnte laut McKinsey bis 2030 global sieben Billionen Dollar zusätzliche Wirtschaftsleistung erzeugen. Das entspricht etwa der Wirtschaftsleistung von Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Für Europa bedeutet das rund zwei Billionen Euro zusätzliches Wachstum, vorausgesetzt wir nutzen das Potenzial auch wirklich.
Viele glauben, die großen Veränderungen lägen weit in der Zukunft. In Wahrheit beginnen sie schon in den nächsten Jahren. Die Modelle werden besser, Unternehmen automatisieren Prozesse und Verwaltungen digitalisieren endlich Abläufe. Der Produktivitätsschub entsteht also nicht irgendwann, sondern jetzt.
Warum das Tempo explodiert
Die Entwicklung beschleunigt sich aus einem klaren Grund. KI lernt heute nicht mehr nur aus Text, sondern aus Bildern, Tönen, Bewegungen und Simulationen. Gemini 3 verarbeitet Informationen wie ein System, das mehrere Sinne gleichzeitig nutzt. Dahinter stehen Rechenzentren, die mehr Leistung haben als alles, was Europas Forschungslandschaft zusammen besitzt. Die verfügbare Rechenpower für moderne KI hat sich seit 2022 mehr als verhundertfacht. Und NVIDIA verkauft Chips im Wert von fünfzig Milliarden Dollar pro Quartal.
Diese Infrastruktur entscheidet inzwischen darüber, wer die Regeln der Zukunft schreibt. Denn KI ist nicht nur Software. Sie ist zu einer globalen Basistechnologie geworden, vergleichbar mit Elektrizität, Maschinenbau oder dem Internet.
Wo Europa steht und was wir jetzt tun müssen
Europa ist in der Forschung stark, aber in der Umsetzung zu langsam. Wir haben Spitzeninstitute in Linz, Hagenberg, Wien, München oder Zürich. Doch uns fehlt die Rechenleistung, um eigene Systeme in der Größe von Gemini oder ChatGPT auszubilden. Genau deshalb war der Digitalgipfel so wichtig. Aber er zeigt auch, dass wir keine Zeit mehr haben.
Wenn KI das Tempo vorgibt, müssen wir schneller werden. Wir brauchen mehr Investitionen in Rechenzentren, bessere Ausbildungen, mutigere Unternehmen und eine Politik, die dieses Thema nicht als Risiko, sondern als Chance begreift.
Der wahre Wendepunkt
Gemini 3 ist ein Symbol dafür, wie schnell sich die Welt bewegt. Es zeigt uns, dass wir bereits mitten in einer Umbruchsphase stehen, die wir gerne noch für Zukunft halten. Doch die Zukunft ist da. Sie arbeitet bereits auf unseren Rechnern, schreibt unsere Dokumente, analysiert unsere Daten und beschleunigt unsere Prozesse.
Der Digitalgipfel setzt ein wichtiges Signal. Doch während Europa diskutiert, zeigt Gemini 3, wie rasant die Realität geworden ist. Wer Wohlstand sichern will, darf diesen Wandel nicht beobachten. Er muss ihn gestalten.
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