Rudolf Öller: Erfinder
Epigonen woker Wichtigtuer, die man längst auch in bürgerlichen Kreisen findet, haben sich an das postmoderne Geschwätz geschmeidig angepasst. Was sind schon Ingenieure, Chemiker und Facharbeiter im Vergleich zu Erfindern virtueller Gewissheiten. Mit all dem wird nach der Wahl von Donald Trump Schluss sein. Nicht der Hass wird zunehmen, wie manche Wokisten verkünden, sondern die Erkenntnis, dass wir uns postmodernen Schwachsinn viel zu lange gefallen haben lassen.
Erfinder sind Tüftler, die an etwas glauben und so lange an einem Gerät schrauben, bis das Ding wunschgemäß arbeitet. So lief das bei Nikolaus Otto (Viertaktmotor), Rudolf Diesel (Dieselmotor), Konrad Zuse (Computer) und anderen. Dann gibt es Erfinder, die experimentieren und entdecken zufällig etwas, womit sie nicht gerechnet haben. Das trifft auf Konrad Röntgen (gleichnamiges Gerät), Werner Arber (Gentechnik), Henri Becquerel (Radioaktivität) und andere zu. Schließlich gibt es noch die Erfinder, die sich etwas aus den Fingern saugen und damit ihre Mitmenschen drangsalieren.
Die postmoderne Ideologie ist das Lied der Beliebigkeit. Ihr Erfinder und Prophet ist der österreichische Philosoph Paul Feyerabend (1924 – 1994), der mit seinem Buch „Wider den Methodenzwang (original: „Against Method“) in den Siebzigerjahren für Aufsehen sorgte. Er argumentierte, dass es keine allgemeingültigen methodischen Regeln für wissenschaftliche Untersuchungen gibt. Als Lösung empfahl er eine „anarchistische Erkenntnistheorie“. Feyerabends Credo, das unter dem Schlagwort „Alles ist möglich“ (original: „anything goes“) bekannt wurde, kritisierte bisweilen zurecht, oft aber mit haarsträubenden Argumenten den Wissenschaftsbetrieb. Wiederholt verrannte er sich und verhedderte sich in Widersprüchen. In mehreren Kapiteln kritisierte Feyerabend den genialen italienischen Astronomen und Physiker Galileo Galilei, dem er vorwarf, seine Erkenntnisse großteils frei erfunden und zur Wissenschaft fast nichts beigetragen zu haben. Das ist blanker Unsinn.
Mehr Anarchie
In seiner 1994 erschienen Autobiografie „Zeitverschwendung“ (original: „Killing Time“) gab Feyerabend zu, oft absichtlich übertrieben und sich missverständlich ausgedrückt zu haben. „Es gefiel mir, die Leute zu schockieren“, schrieb er, und ein andermal: „Hierzu kommt, dass die historische Erfahrung und die Prinzipien der Demokratie die Notwendigkeit aufweisen, die Wissenschaft unter öffentliche Kontrolle zu stellen.“ An anderer Stelle sprach sich Feyerabend für mehr Anarchie in Philosophie und Wissenschaft aus und schlug vor, dass sich der Staat aus den Wissenschaften heraushalten soll. Staatliche Kontrolle einerseits, staatliche Enthaltsamkeit und Anarchie andererseits. So funktioniert schlampige postmoderne Logik.
Eine geschlechtsspezifische Gleichung
Feyerabends Ideen wurden von einer Gruppe linker Philosophen mit Begeisterung aufgenommen und so interpretiert, dass die Naturwissenschaften teilweise oder auch zur Gänze als Irrtum zu sehen sind. Leute wie Bruno Latour, Gilles Deleuze, Luce Irigaray und andere folgten Feyerabends Thesen und stürzten sich auf alles, was ihnen nicht gefiel. Herausgekommen sind erstaunliche „Erkenntnisse“, wie etwa die Aussage der französischen Psychoanalytikerin Irigaray, wonach Einsteins Formel E=mc² eine geschlechtsspezifische Gleichung sei.
Wer darauf besteht, sich zu Naturwissenschaften und Logik zu äußern, sollte gut informiert sein. Das klingt selbstverständlich, doch die Philosophen der Postmoderne behaupten heute dies und morgen das. Ihre Ideen sind manchmal so falsch, dass sogar das Gegenteil falsch ist. Diese Beliebigkeit wurde von etlichen Soziologen und Politologen übernommen. Das Ganze gipfelte in der Ideologie der amerikanischen Philosophin Judith Butler, die Geschlechter für gesellschaftliche Konstrukte hält.
Die neue postmoderne Ideologie begegnete mir vor vielen Jahren an der Universität Tübingen, als ein Aktivist Flugblätter verteilte, auf der die Frage prangte: „Warum reden Naturwissenschaftler solchen Unsinn?“ Es ging um die Behauptung von Biologen, dass Menschen von Geburt an verschiedener sind als bisher gedacht. Damals herrschte die Ideologie vor, wonach alle Menschen gleich seien – auch biologisch. Unterschiedliche Eigenschaften wie Körpergröße, Blutgruppen usw. seien vernachlässigbare Größen. Heute gilt das Gegenteil. Heute sind Menschen „divers“, also verschieden.
Die Ideologiewelle, die von Universitäten ihren Ausgang nahm und durch Philosophen in die Welt getragen wurde, hat uns postmoderne Erfinder beschert, deren Ergüsse uns noch Jahrzehnte belästigen werden.
Mikroaggression
Die postmodernen Erfinder sind Meister darin, sich Thesen aus den Fingern zu saugen, um Jahre später das Gegenteil zu verkünden. Sie erfanden die „kulturelle Aneignung“, weiters unzählige Geschlechter und in der Folge die „cancel culture“, die bewirkte, dass Menschen – wie im Nationalsozialismus – unter Strafandrohung keine falsche Meinung vertreten dürfen. Sie behaupten, dass das Wort „Indianer“ beleidigend und diskriminierend sei, obwohl sich Amerikas Ureinwohner selbst so bezeichnen, was auf ihren Internetseiten jederzeit überprüfbar ist. Es gibt sogar eine Motoradmarke namens „Indian“. Die postmodernen „Wissenschaftler“ erfanden Begriffe mit Doppelpunkt und Sternen in Wörtern, die mit Schluckauf zu lesen sind, sie verachten die Naturwissenschaften und sie wollen verbieten, was sie nicht verstehen, also vieles. Postmoderne Akademiker erfanden drollige Begriffe wie „Mikroaggression“. Damit sind Demütigungen und Feindseligkeiten durch Worte und Verhalten gegen Personen und Gruppen gemeint. Man beachte: Mikroaggressionen gegenüber „People of Color“ sind verachtenswert, Beleidigungen von alten weißen Männern sind erlaubt, wenn nicht gar erwünscht.
Die letzte Erfindung betrifft die Wokeness. Der Begriff „woke“ stammt aus dem afroamerikanischen Englisch. Er fordert Achtsamkeit und ein wachsames Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit. In Wahrheit ist Achtsamkeit eine bürgerliche Tugend, die seit Jahrtausenden in den meisten Religionen verankert ist. Ausnahmen bilden Religionen, die Hass auf Gruppen (z.B. Juden) zur religiösen Pflicht erheben, aber darüber sollte man nicht sprechen, sonst schlägt die „cancel culture“ zu.
Epigonen woker Wichtigtuer, die man längst auch in bürgerlichen Kreisen findet, haben sich an das postmoderne Geschwätz geschmeidig angepasst. Was sind schon Ingenieure, Chemiker und Facharbeiter im Vergleich zu Erfindern virtueller Gewissheiten. Mit all dem wird nach der Wahl von Donald Trump Schluss sein. Nicht der Hass wird zunehmen, wie manche Wokisten verkünden, sondern die Erkenntnis, dass wir uns postmodernen Schwachsinn viel zu lange gefallen haben lassen.
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