Rudolf Öller: Virale Verwirrungen
Die wahren Herausforderungen der Coronapandemie liegen weniger bei der Problematik, die Bevölkerung eines Landes möglichst rasch durchzuimpfen denn bei der willkürlichen Interpretation von Statistiken, unnötiger Panikmache und ähnlichen viralen Verwirrungen, wie eXXpress-Kolumnist Rudolf Öller weiß.
Virus (lateinisch) heißt Gift. Lange Zeit wussten die Mediziner nicht, womit sie es zu tun hatten. Nach der Erfindung des Elektronenmikroskops durch den Ingenieur Ernst Ruska in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts erkannten die Wissenschaftler, dass da ein winziges Ding sein Unwesen treibt. Mit Erstaunen stellten die Biologen fest, dass zwischen Bakterien und Viren ein Größenfaktor von eins zu tausend liegt. Neben einem ein Meter großen Bakterienmodell wären Viren so klein wie Stecknadelköpfe. Bis hierher ist alles klar, aber wenn Zahlen ins Spiel kommen, beginnen die viralen Verwirrungen.
Mit willkürlichen Zahlen ist leicht manipulieren: Wem dürfen wir glauben?
Einerseits wird behauptet, dass mehr Covid-Geimpfte auf den Intensivstationen liegen, andererseits sind es mehr Ungeimpfte. Wem dürfen wir glauben? Statistische Zahlen ver-künden nie eine Wahrheit, sie müssen immer interpretiert werden.
Wir nehmen an, dass in einer großen Stadt drei Zehntel der Bewohner nicht geimpft sind. Es taucht eine Infektionskrankheit auf, worauf viele der Ungeimpften erkranken. Da der Impfstoff – wie alle Impfstoffe – eine Erfolgsquote von weniger als 100 Prozent hat, er-kranken auch einige wenige der Geimpften. Auch diese Kranken bedürfen einer Behandlung. Somit haben wir viele geimpfte und weniger ungeimpfte Patienten, was dazu führt, dass die Impfung von rechenschwachen Zeitgenossen als nutzlos taxiert wird. Zum „Beweis“, dass das Impfen nichts bringt, ist es nur noch ein halber Schritt. Mit diesen oder ähnlichen „Beweisen“ kommt man sogar in den Landtag, wie man in Oberösterreich gese-hen hat. Mit willkürlich ausgewählten Zahlen kann man leicht manipulieren. Es ist nicht einmal nötig, die Zahlen zu fälschen.
Wie man die "richtigen" Spalten der Statistiken auswählt
In einer Report-Sendung des ORF wurde im Live-Interview mit dem Wiener Bürgermeister Ludwig mehrmals darauf hingewiesen, dass Wien niedrige Inzidenzen zeige. Die Jubel-meldung lautete: Wien hat die Corona-Pandemie im Griff. „Vergessen“ wurden dabei die am 15. November veröffentlichten Zahlen (Laurenz Ennser-Jedenastik), wonach Wien bei den Coronatoten pro Einwohner nach der Steiermark und Kärnten an dritter Stelle in Österreich liegt. Wiederum mussten keine Zahlen gefälscht werden. Es genügte, die „richtigen“ Spalten der Statistiken auszuwählen.
Und selbst wenn das Virus aus dem Labor stammt, wäre es keine Sensation
Ein weiteres Thema, das im Zusammenhang mit den Diskussionen um Covid immer wieder auftauchte, war die Frage, ob das Virus aus einem chinesischen Labor stammt. Auch dann, wenn das stimmen sollte, steckt keine Sensation dahinter. Von allen Virenstämmen, die Krankheiten bewirken können, existieren Proben in unzähligen Laboratorien. HI-Viren, Lyssaviren, Flaviviren, Coronaviren und viele andere lagern überall auf der Welt in konservierten Gewebsproben. Das ist unerlässlich, andernfalls wäre die Entwicklung eines Medikaments oder eines Impfstoffes unmöglich. Wenn das Coronavirus tatsächlich irgendwo entflohen sein sollte, wäre das die Folge einer Schlamperei, nicht aber irgendeiner Verschwörung von Finsterlingen.
Den Grund, warum Grippe- und andere Viren meist aus Fernost kommen, erkennt jeder, der Märkte in China und Indochina besucht hat. Dort wimmelt es von lebenden Hühnern, Enten, Gänsen, Fischen, Schweinen und allerlei Würmern, Insekten und Skorpionen. All das wird gekauft und gegessen. Die größte Gefahr einer Virenübertragung besteht bei Enten und Gänsen. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte in China und in den Staaten Indochinas leben in ländlichen Regionen Enten, Gänse und Menschen auf engem Raum. Das Geflügel kommt in Teichen und Bächen häufig mit wildlebenden Vögeln in Kontakt, daher ist die statistische Wahrscheinlichkeit einer Virenübertragung und der damit zusammenhängenden Mutationshäufigkeit um Größenordnungen höher als bei uns in Europa. Viren springen in der Regel an zwei Orten auf Menschen über. Einmal in der Landwirtschaft, ein andermal beim Konsumenten, also auf dem Markt. Da auf hunderttausenden fernöstlichen Märkten im Gegensatz zu Europa lebende Vögel und Schweine verkauft werden, erklärt das die hohen Übertragungsraten von Vogel- und Schweinegrippeviren. Bei uns kauft niemand auf dem Wochenmarkt lebende Hühner, Gänse und Schweine, da-her ist dieser Übertragungsweg in Europa blockiert. „Unsere“ Viren werden über den Reiseverkehr importiert.
Pandemie-Irrlichter, Coronapanik und echte Probleme
Die Faktoren, die in der Pandemie eine Rolle spielen, sind so vielfältig, dass es fast unmöglich ist, eine effiziente Politik zu entwerfen, die durch Wurmmittelquatsch und Omikronhysterie zusätzlich erschwert wird. Irrlichter und Panik beherrschen den Nachrichtenalltag. Fragen an der Nebenfront, warum beispielsweise Israel kein Problem hat, die Bevölkerung rasch zu impfen, sind einfach zu beantworten. Israel hat im Gegensatz zu uns Europäern echte Probleme. Bei uns schlägt man sich mit Luxusthemen herum, z.B. wie viele Geschlechter es wohl geben mag.
Vergleichende Statistiken europäischer Länder darf man wegen der unterschiedlichen Testzahlen nicht ernst nehmen. Trotzdem werden wir aufgrund dieser Zahlen täglich von „Experten“ belehrt. Wenn ein Landeshauptmann heftige Kritik übt an der “Performance, die der Bund derzeit hinlegt”, mag ihm das vorübergehend Pluspunkte einbringen. In der aktuellen Situation brauchen wir aber Staatsmänner, die alle Verantwortlichen dazu bringen, an einem Strang zu ziehen. Das wahlweise Herauspicken einzelner Zahlen und das Abkanzeln politischer Gegner haben wir alle satt bis obenhin. Das Virus und seine Mutanten werden bleiben. Wenn Europas Wirtschaft, die ohnehin schon unter Verteilungsideologien und politischen Übergriffen leidet, durch weitere Schließungen traktiert wird, dann geht es ans Eingemachte. Langfristig kann die geplante Impfpflicht und ein Herunterdre-hen des politischen Hysterometers helfen. Das ist weniger schmerzhaft als das alljährliche Zudrehen von Schulen, Wirtschaft und Tourismus.
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