Die Atomkernspaltung war zu Weihnachten 1938 in Berlin entdeckt worden. Im Frühjahr 1939 schickten die Hamburger Physiker Paul Hartek und Wilhelm Groth einen Brief an das Reichskriegsministerium, in dem der Bau einer Kernspaltungswaffe empfohlen wurde. Dieser Brief wanderte über mehrere Schreibtische und verschwand in einem Aktenordner. Später nahmen sich einige Offiziere und Wissenschaftler doch der Sache an. Der Physiker Werner Heisenberg leitete ein kleines Forschungsteam. In Haigerloch auf der Schwäbischen Alb wurde ein einfacher Forschungsreaktor errichtet, der aber mangels an angereichertem Uran-235 nicht funktionierte. Die deutschen Physiker wussten, was auf dem Spiel stand, aber die Meinung einiger Bürokraten, Atomphysik sei in Wahrheit minderwertige „Judenphysik“, verhinderte im Gegensatz zu den Amerikanern ein erfolgreiches Projekt. Bürokratie plus Ideologie verhinderten die deutsche Bombe.

Santebal-21

Der Vietnamkrieg ging nach dem Abzug der Amerikaner am 30. April 1975 zu Ende. Die Roten Khmer waren schneller. Sie marschierten am 17. April in Phnom Penh ein und errichteten ein Terrorregime. Ihr Führer Pol Pot hatte an Hitler, Stalin und Mao bewundert, dass sie eine neue Gesellschaft aufbauen wollten durch Ermordung aller Menschen, die nicht ihren Vorstellungen entsprachen. Noch am Tag des Einmarsches der Roten Khmer wurden die Einwohner von Phnom Penh auf das Land getrieben. Das Ziel war die Rückkehr zu einer reinen Agrargesellschaft. Innerhalb weniger Wochen ermordeten die Roten Khmer Politiker, Akademiker, Lehrer und Journalisten. Eine von mehreren Schaltstellen des Terrors war die im Zentrum von Phnom Penh liegende Schule „Toul Sleng“, die in „Santebal-21“ (S-21) umbenannt wurde. Santebal bedeutet Staatssicherheit, 21 war die Rufnummer des dort stationierten Funkgeräts.

Der Mechaniker Chum Mey aus Phnom Penh ist einer von wenigen Überlebenden des Foltergefängnisses S-21. Ich hatte vor drei Jahren das Glück, mit ihm in Phnom Penh persönlich sprechen zu können. Als Herr Mey seinerzeit fürchtete, dass sein Ende nahte, bemerkte einer der sadistischen Soldaten, dass er einen geschickten Mechaniker vor sich hatte. Dem gequälten Häftling gelang es, nicht nur Schreibmaschinen, sondern auch Nähmaschinen, Fahrräder und sogar motorisierte Fahrzeuge zu reparieren. Das rettete ihm das Leben. Bürokraten der roten Parteiführung, die sich „Angka“ (Organisation) nannte, hatte übersehen, dass zum Funktionieren einer Gesellschaft auch Handwerker nötig sind. Bürokratie plus Ideologie setzten dem Regime schließlich ein Ende.

Kühlschränke

Kurz vor dem Zusammenbruch der kommunistischen Sowjetunion lebten Bürokraten – so wie überall auf der Welt – in Luftschlössern. Sie produzierten mangels an Wissen eine Schnapsidee nach der anderen. Es gibt Berichte aus der damaligen Zeit, dass die Chefs von Waffenfabriken den Befehl bekamen, auf einmal Kühlschränke oder andere Haushaltsgeräte zu produzieren. Von Fertigungstechnik und Logistik hatten die Bürokraten keine Ahnung. Angelesenes und erarbeitetes Wissen sind zweierlei. Bürokratie plus Ideologie ließen die Sowjetunion unrühmlich kollabieren.

Energiewende

Eine meiner Lieblingsgeschichten ist folgende: Der britische Nobelpreisträger Joseph John Thomson hatte in seinem Labor das Elektron entdeckt. Bürokraten, die ihn zuvor besucht hatten, gaben Thomson den Rat, sich endlich mit nützlichen Dingen zu beschäftigen. Das veranlasste Thomson zum Kommentar: „Hätten Regierungslaboratorien bereits in der Steinzeit gearbeitet, wir hätten heute prima Steinbeile, doch niemand hätte die Metalle entdeckt.“

Ausgerechnet das Land, das hervorragende Wissenschaftler wie Gottfried Wilhelm Leibniz, Wilhelm Röntgen, Robert Koch, Emil Behring, Heinrich Hertz und viele andere hervorgebracht hat, das also die intellektuelle Kapazität haben sollte, Umwelt- und Energieprobleme langfristig sinnvoll zu lösen, kehrt auf Befehl lebensfremder Ideologen und Bürokraten zurück zu den Bauernhöfen der Romantik. Natürlich geht es den Technikstürmern nicht um Klimaschutz, sondern um Gesellschaftsveränderung. Nicht nur deutsche Physiker wie Sigismund Kobe (der Exxpress berichtete am 24. 10. 2021 darüber) behaupten, dass die Verfechter der „Energiewende“ die Gesetze der Physik unterschätzen: „Wenn weiterhin … natur- und ingenieurwissenschaftliche Prinzipien ausgeblendet werden, wird das gesamte Konzept der Energiewende platzen wie eine bunte Seifenblase.” Der Philosoph und Wissenschaftsjournalist Alexander Grau hat das – ebenfalls im Oktober 2021 – auf den Punkt gebracht: „Unsere Gesellschaft wird beherrscht von Allmachtsphantasien. Alles scheint lösbar, wenn man nur radikal genug handelt: etwa der Klimawandel oder die Corona-Pandemie. Eine gefährliche Haltung. Sie zeugt nicht nur von absolutem Realitätsverlust, sondern fördert auch autoritäre Politik.“

Diese autoritäre Politik will bestimmte Kraftwerke und Heizungsmethoden verbieten, andere vorschreiben, bestimmte Fahrzeuge bevorzugen, andere untersagen, uns das Essen bestimmter Nahrungsmittel ausreden, den Konsum vegetarischer diktieren, die Verwendung bestimmter Wörter kriminalisieren, ein sprachzerstörendes Gendern verordnen und die Geschlechter weit abseits der Biologie neu definieren usw. Es soll eine unfreie und dumme Retro-Gesellschaft entstehen.

Die Protagonisten despotischer Politik sind wie immer Bürokraten und Aktivisten, die, wenn überhaupt, nur über angelesenes Marginalwissen verfügen. Sie sitzen in Wien, Berlin, Brüssel und leider auch an Universitätsinstituten. Die nächsten relevanten Wahlen, die Wahlen zum EU-Parlament, finden in einem Jahr statt. Nur hier können die Wähler ihre Macht einsetzen. Wer nicht wählen geht, stärkt in Wahrheit die Parteien der ungebildeten Bürokraten und macht sich am woken Marsch in die neue Unfreiheit und Armut mitschuldig.

Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und seit Jahrzehnten sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor publizistisch tätig. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet und war ehrenamtlicher Rettungssanitäter, Blaulichtfahrer und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz. Er lebt heute in Vorarlberg.