Rudolf Öller: Verlorene Werte
Im Südturm des im Jahr 2001 zerstörten alten World Trade Centers in New York City gab es eine Tafel, auf der Einwanderungszahlen in die USA zwischen 1892 und 1931 zu lesen waren. Die Zahlen sind deshalb bekannt, weil die kleine Insel Ellis Island in Sichtweite der Freiheitsstatue das Nadelöhr für alle Einwanderer an der Ostküste war.
Im ersten Teil der Filmtrilogie „Der Pate“ ist zu sehen, wie der kleine Sizilianer Vito Andolini in Ellis Island ankommt und dort vom Einwanderungsbeamten irrtümlich unter dem Namen seines Heimatortes Corleone registriert wird.
Die Tafel zeigte folgende (gerundete) Zahlen an Einwanderern: Italien 2,5 Millionen, Russland 1,9 Millionen, Österreich 750.000, Österreich-Ungarn 650.000, Deutschland 630.000, England 550.000, Irland 520.000, Schweden 350.000 usw. Es gibt kein europäisches Land, das nicht erwähnt wurde. Während des Kommunismus im Osten, des Nationalsozialismus in Deutschland und des Faschismus in Italien sind ab den Dreißigerjahren noch einmal hunderttausende Flüchtlinge in die USA gekommen.
Asyl
Die Fluchtursachen waren damals die gleichen wie heute: Arbeitslosigkeit in der Heimat, politische Verfolgung, Desertion, Flucht vor Fahndung usw. Unbegleitete Kinder wurden damals in Pflegefamilien gegeben. Erwachsene mussten hart arbeiten, wenn sie keine Verwandten und Freunde in den Staaten hatten. Eine Einwanderung in ein großzügiges Sozialsystem gab es damals noch nicht.
Heute braucht man zur Überquerung europäischer Grenzen keinen Pass mehr. Das Wörtchen „Asyl“ öffnet in Österreich und Deutschland die Türen, egal von wo man kommt. Da wir von lauter sicheren Ländern umgeben sind, wäre ein Zurückschicken an der Grenze zwar theoretisch vorgesehen, aber wegen des Verbots von „Pushbacks“ dann doch wieder nicht. Weltfremde Gerichtsurteile und gewisse Politiker machen das möglich.
Stille Asiaten
Die Unterschiede zwischen den Einwanderern sind bei Schülern besonders deutlich erkennbar. An der Spitze der Leistungsbereitschaft liegen Schüler mit ostasiatischer Einwanderungsgeschichte. Das können alle Lehrer bestätigen, die diese Schüler unterrichten, von denen man jedoch so gut wie nie etwas hört. Wenn es in so genannten Brennpunktschulen zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, dann wissen „Experten“ sofort, wo das Problem liegt. Es ist die mangelnde Willkommenskultur, es ist die „Islamophobie“, und es ist die „white supremacy“ (weiße Dominanz). Dieses dümmliche Schlagwort wurde an Orchideenfächerinstituten an amerikanischen Universitäten erfunden und taucht bei uns als „böse alte weiße Männer“ auf.
Chinesen, Inder, Vietnamesen und Thais bilden in allen europäischen Ländern eine heterogene, aber stille Gruppe, von denen Lehrer nur Erfreuliches berichten. Sie sind beharrlich und arbeiten sich mit Ehrgeiz nach oben. Bereits vor zehn Jahren schafften knapp die Hälfte der deutschen Kinder und zwei Drittel (!) der vietnamesischen Kinder die Aufnahme in ein Gymnasium. Ihr Anteil ist in Deutschland fünfmal so hoch wie derjenige der türkischen Schüler. Die Zahlen dürften in Österreich ähnlich sein. Bei den muslimischen Schülern anderer Nationen schaut es hinsichtlich Bildung besonders finster aus.
Leitanträge
Zwei Soziologen der Universität Chemnitz und der Universität Hamburg sind vor einigen Jahren der Frage nachgegangen, wie sich diese enormen Unterschiede erklären lassen. In einer Studie untersuchten sie über siebenhundert deutsche, vietnamesische und türkische Familien. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erlangen, haben die Wissenschaftler Familien mit ähnlichem Einkommen verglichen. Das Ergebnis war eine Überraschung. Vietnamesische Eltern erziehen ihre Kinder keineswegs strenger als alle anderen. Das oft gehörte Vorurteil „autoritärer Führungsstil gleich Bildungserfolg“ trifft also nicht zu. So genannte „Tiger Moms“ gibt es unter den in Europa lebenden Asiaten offenbar nicht. Die Autoren der Studie fanden heraus, dass vietnamesische Eltern vor allem höhere Erwartungen an ihre Kinder hegen, als dies bei deutschen und türkischen Eltern der Fall ist. Ihre Kinder werden nicht gedemütigt, wenn es in der Schule einmal nicht läuft. Sie werden stattdessen unter einen sanften kreativen Druck gesetzt. Nach Intelligenzunterschieden bei den Kindern haben die Autoren nicht gesucht. Dieses Thema ist noch tabu.
Vietnamesische Familien – die Nachkommen der „Boat-People“ – haben ein Wort neu belebt, das aus unserem didaktischen Vokabular verschwunden ist: Fleiß. Die postmoderne Didaktik betont unverdrossen, Unterricht müsse vor allem Spaß machen. Eigenanstrengungen werden ausgeblendet oder nur nebenbei erwähnt. In diese Richtung laufen gleich mehrere Anträge beim SPÖ-Parteitag an diesem Wochenende. So wird beantragt, dass Feiertage, die an einen Sonntag fallen, am Montag „nachgeholt“ werden müssen und dass wir weniger Stunden pro Woche arbeiten sollen, bei vollem Lohnausgleich. Die SPÖ will ein Gratis-Paradies erschaffen: Sechs Wochen Urlaub für alle, Gratiskindergarten ab dem 1. Lebensjahr, Gratis-Mittagessen für alle Kinder bis 14, Gesamtschule bis 14 (wahrscheinlich mit noch mehr Gratis-Spaß) und so weiter. Den Unterschied zwischen gratis und unentgeltlich scheint die SPÖ nicht zu kennen.
Bildung
Mein Geografielehrer im Gymnasium verlangte von uns, jedes Land der Erde auf einer Weltkarte zu finden und deren Hauptstadt auswendig zu kennen. Auch in Geschichte mussten wir die großen Epochen benennen und Ereignisse zeitlich zuordnen können. Ich profitiere heute noch davon, dass unsere Lehrer viel von uns verlangten. Lexikales Wissen ist noch keine Bildung, aber es gehört dazu. Ungebildete und unausgebildete Politiker können so etwas nicht verstehen.
Die SPÖ will auch „legale Fluchtrouten“ errichten, und das zu einer Zeit, in der eingewanderte Terroristen nicht nur Juden in Angst und Schrecken versetzen. Sind die Anschläge auf Charlie Hebdo (Jänner 2015), im Saal von Batanclan (November 2015), auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin (Dezember 2016) und andere islamistische Massenmorde schon vergessen?
So genannte legale Fluchtrouten als Einflugschneisen für Islamisten sind politische Sprengsätze. In Wahrheit brauchen wir eine geregelte Zuwanderung von intelligenten Menschen, die von uns entsorgte Werte neu importieren.
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