Ruth Pauli: Wenn die Kompetenz abgedankt hat
Wir Nicht-Juristen haben in den letzten Monaten wieder dazugelernt: Es gibt nicht nur Menschen mit Kompetenz. Es gibt auch besondere Menschen mit einer Kompetenzkompetenz. Im rechtlichen Sinn sind das Behörden, die über ihre Zuständigkeiten selbst entscheiden (auf diese Weise kann etwa die WKStA alles an sich ziehen, auch das, wofür andere zuständig wären). Im übertragenen Sinn ist diese Kompetenzkompetenz zum obersten Leitstern der Politik geworden.
Voraussetzung für die Kompetenzkompetenz ist natürlich, dass es auch andere Stellen gibt, die eigentlich zuständig wären. Da drängt dann eben der Stärkste die Konkurrenten weg.
In Sachen Corona haben wir derzeit zwei Politiker mit Kompetenzkompetenz: Da ist einerseits Herbert Kickl, der uns rezeptfreie Ezzes gegen das tödliche Virus gibt. Ein Aspirin ersetzt die Impfung, meint der Kompetentkompetente im Unterschied zu nur einfach kompetenten Ärzten und Virologen. Und der Wiener Bürgermeister Ludwig kickelt ebenfalls – halt in die andere Richtung. Vollkommen unbelastet durch ein Studium der Medizin verfügt er die Impfung von Unter12jährigen. Bevor die kompetente Behörde über eine Zulassung überhaupt entschieden hat, lässt der kompetentkompetente Ludwig impfen. Das ist ungefähr genauso fahrlässig wie das Kicklsche Kopfwehpulver – finanziell trägt bei etwaigen Impfschäden zwar nur der Steuerzahler das Risiko. Aber wenn ein Kind mit lebenslangen Gesundheitsschäden bezahlt, übernimmt niemand die Verantwortung – schon gar nicht der kompetentkompetente Nichtkompetente. (Dass Herr Ludwig eine Parteivorsitzende hat, die als Ärztin eigentlich hätte laut aufheulen müssen, aber anhaltend geschwiegen hat, zeigt nur, dass auch ihr die Partei wichtiger ist als Menschen.)
Es gibt kein Unterscheiden
Eine Menge von Kompetentkompetenten gibt es auch, wenn es um die Kompetenz der Opposition geht. Krainer, Krisper, Kickl & Co waren wohl vielen zu schwach. Also übernahm die WKStA samt Leak-Empfängern in Falter und ORF. Die Kompetenz der Anzeigenschreiberin Krisper darf ja auch wirklich angezweifelt werden, schließlich wurde ihre Anzeige gegen den Finanzminister wegen fehlenden Anfangsverdachts eingestampft – freilich erst nach einer mit Trommelwirbel begleiteten Hausdurchsuchung und ultimativen Rücktrittsaufforderungen. Hauptsache, der Ruf ist kompetent ruiniert. Kompetenzkompetenz haben auch die diversen NGOs für sich entdeckt. Kamen früher zu vielen Themen Experten und Wissenschaftler zu Wort, sind jetzt die Aktivisten allgegenwärtig und kompetentkompetent. Da gibt es kein Abwägen, kein Unterscheiden und Nuancieren, da wird wissensbefreit mit Übertreibungen und persönlichen Überzeugungen gewuchert. Das tut zwar den Sachfragen von Migration bis Klima nicht gut, dafür gibt’s rasch ein kompetentkompetentes Ende jeglicher Diskussion.
Wird Kompetenzkompetenz bald wieder abgelöst?
So viel selbsternannte Kompetenz auf der polit-medialen Bühne hat wahrscheinlich ihren Nährboden in zahlreichen Schwachstellen in der Regierung. Da ist ein Bundeskanzler, der seine Rolle sucht, aber spürbar lieber Außenminister geblieben wäre. Da ist ein Gesundheitsminister, der zaudert, zögert und die Entscheidungen lieber anderen überlässt. Da ist eine Justizministerin, die aus der Opposition nicht herausfinden will, weil sie den Regierungspartner offensichtlich hasst. Da ist ein Vizekanzler, der zwischen Parteiwünschen und Regierungs-Räson zerrieben wird. Wenn sogar schon die Reisen des Außenministers im Mittelpunkt der Abendnachrichten stehen, dann sagt das einiges über den Stellenwert der Tätigkeit seiner Ministerkollegen aus. Wenn wir Glück haben, wird die Kompetenzkompetenz irgendwann wieder von echter Kompetenz abgelöst. Österreich würde besser damit fahren.
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