Ralph Schöllhammer: Die zersplitterte Weltordnung – Erwacht der Westen, oder verliert er sich in Brüsseler Träumen?
Das Spiel der Großmächte hat sich fundamental gewandelt. Was wir heute erleben, ist die Rückkehr jener knallharten Realpolitik, die naive Verfechter der liberalen Weltordnung bereits für überwunden hielten. Dies zeigt sich auf unterschiedlichste Art und Weise.
So setzen die Vereinigten Staaten unter Trump auf eine Art “umgekehrten Marshall-Plan: Sie ziehen Produktion und Einfluss zurück ins eigene Land, während sie Verbündete vor die Wahl stellen: Entweder ihr investiert bei uns oder verliert Zugang zum amerikanischen Markt. Europa hingegen? Gefangen im bürokratischen Labyrinth Brüssels, droht dem Kontinent eine Spaltung, die ihn zum bloßen Zuschauer im neuen Kalten Krieg degradieren könnte, der immer konkretere Formen annimmt.
Beginnen wir mit Washingtons kühnem Zug im Indopazifik: Die 550 Milliarden Dollar, die Japan für neue Halbleiter-, Pharma-, Energie- und Quantencomputing-Anlagen zugesagt hat, sind kein Akt der Großzügigkeit. Es ist eine kalkulierte Strategie, jener bereits angesprochene “umgekehrte Marshall-Plan” zur Rückverlagerung strategischer Produktion auf amerikanischen Boden. Die Botschaft an Tokyo ist unmissverständlich: Wer zögert, dem drohen Zölle. Europa steht als nächstes auf der Liste für eine ähnliche Behandlung: Während die USA systematisch ihre Abhängigkeiten von chinesischen Lieferketten abbauen, versucht man Europa und andere immer stärker an sich zu binden, notfalls auch mit Zwang. Wenn Europa weiterhin in die USA exportieren möchte, wird man dort auch investieren müssen. Investitionen in Europa könnten ausbleiben – und geplante in China abgesagt und in die USA verlagert werden. Eine solche Politik der erzwungenen neuen Lieferketten wird nicht ohne negative Folgen für die Weltwirtschaft bleiben, aber diese Strategie offenbart eine fundamentale Wahrheit unserer Zeit: In einer Ära der Deglobalisierung wird wirtschaftliche Sicherheit zur nationalen Sicherheit, und was optimal für den freien Markt wäre, gilt nicht für die Arena der Politik.
Brückenbauer zwischen Supermächten
Außerhalb Europas beginnt man diese neuen Realitäten bereits anzuerkennen: Auf der koreanischen Halbinsel hat Präsident Lee Jae-Myung die Konsequenzen klar benannt: Südkorea kann nicht länger auf die USA für Sicherheit setzen und gleichzeitig wirtschaftlich an China klammern. Diese alte Formel sei “nicht mehr tragfähig”, erklärte er und positionierte Seoul als potenziellen “Brückenbauer” zwischen den Supermächten. Doch er betonte die US-südkoreanische Allianz als Fundament demokratischer Werte, auch wenn geographische und historische Verbindungen nach Peking eine vorsichtige Pflege erfordern.
Selbst der ansonsten inkompetent britische Premier Keir Starmer hat die Zeichen an der Wand erkannt: Großbritannien schmiedet engere Bande mit den USA, um das angelsächsische Bündnis als Bollwerk in Technologie, Energie und Verteidigung wiederzubeleben. Amerikanische Tech-Riesen kooperieren mit britischen Partnern, um einen “Sanitätskordon” gegen die sino-russische Koalition zu errichten – eine Art Eiserner Vorhang 2.0. Kern- und Gasenergie spielen dabei eine zentrale Rolle, was einen pragmatischen Abschied von grünen Fantasien hin zu zuverlässiger Energieversorgung signalisiert.
Die EU fällt hier immer weiter zurück. Gelähmt von den unrealistischen Träumen einer “strategischen Autonomie”, die sich immer mehr als strategische Lethargie entpuppt. Brüssel hoffte geopolitische Dividenden ohne Risiken zu ernten, während seine Flanken in der Arktis, der Ostsee, dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer und dem Roten Meer erodieren und man zusehends zwischen die Fronten in diesem neuen Kalten Krieg gerät. Dies erhöht das Risiko eines gespaltenen Europas, bei dem sich der angelsächsische Block unter amerikanischer Führung vom kontinentalen Europa löst, welches in Brüsseler Trägheit versinkt. Mit der Zeit würden Mittel- und Osteuropa wahrscheinlich eher diesem angelsächsischen Bündnis zugeneigt sein, und die „alte“ EU links liegen lassen. Staaten wie beispielsweise Polen hatten schon immer mehr transatlantische als paneuropäische Visionen, und dies könnte sich in Zukunft noch verstärken.
Migration als Test der Souveränität
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten liegt Trumps Direktheit manchmal durchaus richtig: So riet er dem britischen Premierminister Keir Starmer, das Militär gegen Bootsmigration einzusetzen: “Es spielt keine Rolle mit welchen Mitteln, illegale Einwanderung muss enden”. Diese Unverblümtheit unterstreicht Migration als ultimativen Test der Souveränität – ein Land welches seine Grenzen nicht schützen und kontrollieren kann, ist kein souveräner Staat. Die Aufgabe westlicher Staaten ist es nicht universelle Ziele zu verfolgen, sondern nationale Interessen durchzusetzen. Und das kann manchmal durchaus bedeuten, das Feinde von gestern Partner von morgen werden. So drängt Trump auf die erneute Einnahme der afghanischen Bagram-Luftbasis mit Verweis auf ihre strategische Lage nahe chinesischer Atomanlagen, und wäre bereit darüber auch mit den Taliban zu verhandeln. Trumps Interesse mag von seiner China Politik geleitet sein, aber könnten europäische Staaten nicht auf ähnliche Weise über die Rücknahme afghanischer Migranten sprechen? Die EU überweist jährlich mehrere Millionen Euro nach Kabul, warum sollte man dafür keine Gegenleistung verlangen?
Ein naiver und globaler Humanismus mag bei Cocktailempfängen salonfähig sein, in der Welt realer Geopolitik ist er es nicht. Internationale Politik ist auch kein Popularitätswettbewerb, und selbst wenn die EU „beliebter“ sein mag als Trumps Amerika, so hat letzteres immer noch die besseren Karten, und ist bereit diese auch auszuspielen.
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