Ein Trauerspiel sondergleichen gab die Wirtschaftskammer, besser gesagt ihr Präsident Harald Mahrer, zum Besten. In aller Heimlichkeit versuchte der Multifunktionär, geschätztes Monatsgehalt rund 30.000 Euro, gemeinsam mit seinen Kumpanen hinter dem Rücken der Öffentlichkeit 4,2 % Gehaltserhöhung für die privilegierte Kammerbelegschaft durchzuwinken. Die Hoffnung darauf, dass der Coup still und leise über die Bühne geht, wurde enttäuscht. In Österreich lauert immer irgendwo ein Judas, der aus Bosheit und mit diebischer Freude an der reinen Destruktion Verrat begeht. Sofort überschlug sich der unmoralische Boulevard in moralischer Empörung. Mahrer versuchte zurückzurudern, doch sein irrwitziger Kompromissvorschlag, die Gehaltserhöhung für ein halbes Jahr auf 2,1 % zu halbieren und erst dann auf die volle Summe anzuheben, brachte das Fass zum Überlaufen. Seine Vizepräsidenten und die aus dem ÖAAB kommende Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, besiegelten kurz und schmerzlos sein Ende. Nachdem Mahrer gesehen hatte, dass er keine Unterstützer mehr hatte, ging er in sein Büro und nahm das schlechteste Rücktrittsvideo aller Zeiten auf. Dann ließ er es über die sozialen Medien ausspielen. Das vor Pathos triefende Possen-Stück, bei dem er beim finalen Österreichschwur – es ist ein gutes Land – demonstrativ seine Brille abnahm, um den Zuschauern seine ehrlichen Augen unverstellt zu zeigen, war der schlecht inszenierte Schlusspunkt einer glanzlosen politischen Karriere. Mahrers Abgang hinterlässt keine Lücke. Es gibt ausreichend glanzlose Apparatschiks, die einen Non-Charismatiker wie ihn ersetzen können.

Die Neos ergeben sich dem Opportunismus

Während Harald Mahrer sein politisches Leben aushauchte, war die Außenministerin und Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger bei einer Regionalkonferenz in Kolumbien und besuchte bei Gelegenheit auch noch einige Kaffeeplantagen. Warum genau sie das getan hat und was der Besuch Österreich hätte bringen sollen, ist bis heute noch nicht allgemein klar geworden. Kurz nach ihrer Rückkunft brach eine Debatte wegen der horrend hohen Reisekosten des Außenresorts los. Das und die unterirdische Performance des Bildungsministers Wiederkehr haben dazu geführt, dass sowohl die Außenministerin als auch ihre Partei vom Abwärtstrend erfasst wurden. Die Neos scheinen wie gelähmt und schaffen es nicht einmal, ein vernünftiges Statement zur Zwangsmitgliedschaft in den Kammern abzugeben. Angesichts der Krise der Wirtschaftskammer hätten sich das sicher viele kammerkritische Wähler der Liberalen erwartet. Doch sie wurden enttäuscht. Die opportunistische Ego-Show der Außenministerin und der unter dem neuen Klubobmann Yannick Shetty zum Fossil erstarrte Parlamentsclub sind die Garanten dafür, dass die Neos ihrer deutschen Schwesterpartei FDP in den politischen Orkus hinab folgen werden. Eine opportunistische Beutegemeinschaft mehr, die mit marktwirtschaftlichem Vokabular um sich wirft und gleichzeitig Bablers Steinzeit-Etatismus leise zornig murmelnd begleitet, braucht in Österreich keiner. Es gibt ja ohnehin schon die ÖVP.

ÖVP: Seit Sebastian Kurz geht es abwärts

Seit dem Abgang von Sebastian Kurz ist die ÖVP in struktureller und inhaltlicher Auflösung begriffen. Sie hat keine konzise Identität und keinen Plan. Karl Nehammer, auf einen Versorgungsjob in der Europäischen Investitionsbank verfrachtet, Gehalt rund 32.000 Euro im Monat, hat das Grab der ÖVP auszuheben begonnen. Christian Stocker bemüht sich gerade redlich, das Werk seines Vorgängers zu vollenden. Der Lichtblick seiner Ministerriege ist Claudia Plakolm. Sie verlässt mutig die opportunistische Deckung, hinter der die anderen sitzen, und platziert wichtige Themen, wie das Kopftuchverbot, den Kampf gegen den politischen Islam, die notwendige Verschärfung der Asylpolitik oder die Entbürokratisierung des Staates, der zu einem unbeweglichen, Milliarden verschlingenden, unproduktiven Monstrum geworden ist, dessen Output in keinem Verhältnis mehr zum Input steht. Bisher enttäuschend der junge Wirtschaftsminister, der vor Beginn seiner Ministerlaufbahn als Zukunftshoffnung der ÖVP galt. Innovative Ideen kommen aus seinem Ministerium keine. Er leistet zu wenig Widerstand gegen eine SPÖ, die Strukturreformen genauso wie die Reduzierung der Staatsausgaben boykottiert, kurz gesagt, die die Krise durch zusätzliche Steuereinnahmen und nicht durch sinnvolle Einsparungen und Bürokratieabbau lösen will. Der staatliche Sektor weitet sich aus und die Industrie schrumpft. Die Beschäftigung wuchs im Staatssektor um 50.000 Personen, während in Industrie, Gewerbe und Bau fast 40.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Die Staatsquote geht in Richtung 60 %. Eine ungesunde Entwicklung. Gleichzeitig ist in der Zeit von 2019 bis 2024 das BIP pro Kopf um 1,7 % gesunken. Damit ist Österreich das Schlusslicht Europas. Für 2026 ist ein Wirtschaftswachstum von 0,9 % prognostiziert. Ob es kommen wird, ist fraglich. Und die Teuerung ist bereits wieder bei über 4 % angekommen. Inflation ist die Umverteilung von unten nach oben, weil sie für die Einkommensarmen höher ist. Im Winter werden die Armen in ihren Wohnungen frieren und von ungesunden Billigprodukten leben müssen. Und was sind die Lösungen der ÖVP, der renommierten Wirtschaftspartei? Sie sind zumindest nicht klar konturiert.

Die SPÖ-Führung irrt planlos herum

In der Zwischenzeit ist die SPÖ autistisch geworden. Termine für eine neue Industriestrategie lässt sie platzen, obwohl Maßnahmen hier dringlich wären. Die Lohnnebenkosten erdrücken die Wirtschaft, die Energiekosten sind astronomisch und die Bürokratie nimmt zu, vielfach getrieben von der EU. Beim Landeshauptleutetreffen, zu dem die Regierungsmitglieder ohne Einladung angereist waren, saß der Finanzminister alleine beim Essen. Kein Gespräch mit den anderen. Marterbauer ist zweifellos ein kluger Kopf, aber er teilt ein Problem mit Andreas Babler, er ist wie er kein begabter Kommunikator. In Verhandlungen sind beide starr und unflexibel. Überall, wo sie auftauchen, werden Gespräche zäh und laufen sich schnell fest. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass sie die Termine zur neuen Industriestrategie haben platzen lassen. Sie fühlen sich nicht sicher, sie haben Angst vor der Konfrontation und sie sind auf der Flucht vor der Verantwortung. In einer komfortablen Position befindet sich die FPÖ. Sie schaut dem Treiben gelassen zu und sammelt Wählerstimmen ein, ohne viel tun zu müssen.

Die Menschen wollen zurück ins Retro-Land und der ORF wird populärer

Gleichzeitig verabschieden sich viele der Wahlberechtigten zu den Nicht-Wählern. Grund dafür ist, dass das Vertrauen in Staat und Regierung unterirdisch ist. Übrigens auch in die Medien. Die Menschen tendieren dazu, sich immer mehr bei alternativen Medien zu informieren, nach den Fake News-Skandalen bei BBC, ARD, ZDF und beim österreichischen Standard hat sich dieser Trend verstärkt. Dennoch gibt es einen Profiteur der Krise, der völlig unerwartet kommt, es ist der ORF. Insbesondere bei den Jungen hat der ORF, vor allem ORF 1, beachtliche Zuwächse erreicht. In der Krise suchen die Menschen das Alte, Verlässliche und Bewährte. Ehe, Familie und der Religion neigt man sich wieder zu, weil sie erprobt sind und immer da waren. Vom allgemeinen Retro-Trend profitiert auch das alte Medien-Flaggschiff ORF. In der Krise richtet die Mehrheit der Menschen den Blick nicht nach vorne, sondern zurück, in die vertraute alte Welt. Man nennt dieses Phänomen „retrotopisch“. Utopien und Innovationen kommen schlecht an, weil sie neu und riskant sind. Hingegen ist das Traditionelle vielfach erprobt, bewährt, bekannt. Es strahlt Sicherheit und Verlässlichkeit aus, genau das, was die aktuelle Regierung nicht vermitteln kann.

Bernhard HeinzlmaierBernhard Heinzlmaier