„Unser Land steht vor der wichtigsten Wahl seiner Geschichte… Das Ergebnis wird entscheiden, ob Moldau sich als stabile Demokratie auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft und als verlässlicher Nachbar stabilisiert oder ob Russland unser Land zu einer Bedrohung an der südwestlichen Grenze der Ukraine macht.“ Mit diesen Worten warnte Präsidentin Maia Sandu vor wenigen Tagen im Europäischen Parlament. Am 28. September wird bei den Parlamentswahlen entschieden, ob Moldau seinen Kurs Richtung Westen hält. Umfragen deuten auf ein enges Rennen hin. Sandus Partei, die seit 2021 allein regiert, droht ihre Mehrheit zu verlieren. Erstmals seit Jahren könnte eine Koalition nötig werden oder gar ein prorussisches Bündnis das Land führen. Entsprechend groß ist die Nervosität der EU-Partner: Macron, Merz und Tusk reisten nach Chișinău, um Sandu demonstrativ zu stützen.

Am Freitag empfing Papst Leo XIV. die moldauische Präsidentin Maia Sandu in Audienz.
Bei der Begegnung im Vatikan dankte Sandu dem Pontifex für die wichtige moralische Unterstützung des europäischen Weges der Republik Moldau.
In einem offiziellen Statement betonte sie anschließend: „Seine Heiligkeit hat mir versichert, dass Moldau gesehen und gehört wird.“

Maia Sandu (geb. 1972) verkörpert moralische Klarheit vor allem in der Außenpolitik. Wo ihre Vorgänger zögerten, stellte sie sich dem Kreml offen und unmissverständlich entgegen. Rückenwind erhielt sie dabei aus dem EU-Nachbarland Rumänien: Die moldauische Diaspora verfügt mehrheitlich über rumänische Pässe und wird so bei jeder Wahl zum entscheidenden Hebel für den Westkurs des Landes.

Das erinnert an Golda Meir (israelische Ministerpräsidentin 1969–1974), deren unbeirrbare Westbindung und tiefes Misstrauen gegenüber Moskau, wo sie als Israelische Botschafterin diente, im Kalten Krieg legendär waren. Ein Beispiel für Meirs Haltung war ihr offizieller Besuch in der Sozialistischen Republik Rumänien im Jahr 1972. Dort nahm sie an einem Synagogengottesdienst mit 1.500 der damals rund 50.000 Juden in Bukarest teil. ‚Wir haben Probleme in Israel, aber es ist besser, Probleme im eigenen Land zu haben, als gar kein Land zu haben‘, erklärte sie auf Jiddisch. Das US-Magazin Time berichtete über diesen Moment, der bis heute als Sinnbild ihrer kompromisslosen Identifikation mit dem eigenen Staat gilt und zugleich als Ausdruck ihrer weitsichtigen Öffnung auf dem internationalen Parkett.

Zahlen des Westkurses

Die Folgen von Sandus Kurswechsel Richtung Westen lassen sich in Zahlen ablesen: Die EU ist inzwischen mit Abstand Moldaus größter Handelspartner: über 54 % des gesamten Warenhandels entfallen auf die Union, rund 65 % der Exporte gehen mittlerweile in die EU. Der Handel mit Russland hingegen ist eingebrochen: Sein Anteil am moldauischen Außenhandel beträgt nur noch 2,5 %.

Lieber frieren als erpressbar bleiben

Gerade in der Energiepolitik bewies Sandu eine Entschlossenheit, die an Golda Meir erinnert. Moldau war jahrzehntelang nahezu vollständig von russischem Gas abhängig. Gazprom diktierte Preise und Bedingungen. Seit Mitte 2023 jedoch bezieht das Land überhaupt kein Gas und kein Öl mehr aus Russland. Eine neue Pipeline nach Rumänien brach das Gazprom-Monopol, Strom wird inzwischen aus dem europäischen Verbundnetz importiert.

Diese Diversifizierung mit ununterbrochener rumänischer Hilfe hat die Energiesicherheit erheblich gestärkt, wenn auch zu hohem Preis: zeitweise vervielfachten sich die Gasrechnungen, was Proteste im Land auslöste. Sandus unausgesprochene Devise lautete: „Lieber heute frieren als morgen erpressbar bleiben.“

Kleine Staaten, starke Frauen

In Moldau leben nur mehr etwa 2,4 Millionen Menschen, ein kleines Land, zwischen der Ukraine und das EU-Land Rumänien, mit der abtrünnigen Region Transnistrien im Osten. Golda Meir führte auch ein junges Israel mit knapp 3 Millionen Einwohnern. Maia Sandu führt Moldau durch die Gefahren des 21. Jahrhunderts: Armut, hybride Kriegsführung, Desinformationskampagnen aller Art, Energieerpressung und die allgegenwärtige Abwanderung der eigenen Bürger. Mehr als eine Million Moldauer lebt im Ausland – ihre Rücküberweisungen machen ungefähr 15 % des BIP aus.

Sandu, die auch die rumänische Staatsbürgerschaft hat, ähnelt Golda Meir (1898, Kiew – 1978, Jerusalem) nicht in der Biografie – die eine ehemalige Weltbank-Ökonomin aus einem postsowjetischen Staat, die andere aktive Zionistin in Palästina. 1948 war Meir eine der Unterzeichnerinnen der israelischen Unabhängigkeitserklärung. Doch in ihrer Art zu führen zeigen sich deutliche Parallelen: Beide sind unerbittlich in der Sache, pragmatisch in der Methode und bereit, unpopuläre Entscheidungen zum Wohl des eigenen Landes zu treffen.

Goldas Vermächtnis?

„Ein Anführer, der nicht zögert, bevor er eine Nation in den Kampf schickt, ist nicht bereit, Verantwortung zu tragen.“ Dieses Zitat von Golda Meir aus dem Jahr 1970 bleibt aktuell. Maia Sandu steht (hoffentlich) kein Krieg bevor, doch sie befindet sich in einem täglichen Kampf – gegen Armut, Korruption, äußere Übermacht, während die eigene Wirtschaft stagniert.

Am Ende bleibt noch die Frage, ob Maia Sandu wirklich die „Golda Meir von Moldau“ ist – oder sein will. Der Vergleich ehrt sie, doch er mahnt auch: Golda Meir ging als starke, aber tragische Figur in die Geschichte Israel ein, die nach harter Führung im Krisenkrieg Kritik erntete und schließlich zurücktrat.

Maia Sandu steht erst am Anfang ihres Vermächtnisses. Noch bleibt Zeit, Moldau zu verändern. Eines Tages könnten die Moldauer zurückblicken und sagen: Wir hatten unsere Golda – und sie wies uns den Weg nach Westen. Ihre Stärke: Sandu zeigt Moldau, dass Zukunft möglich ist.