In Berlin fliegen gerade die Fetzen. Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) hält für einen “Skandal”, was sich Regierungssprecher Steffen Hebestreit vor der Bundespressekonferenz erlaubt hat. Auf die dezidierte Frage eines Journalisten, ob die Bundesrepublik einen Haftbefehl gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanhaju vollziehen würde, sollte denn eine Festnahmeanordnung vom Internationalen Strafgerichtshof – wie von Ankläger Karim Khan gefordert – tatsächlich erlassen werden, antwortete der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): “Wir halten uns an Recht und Gesetz”.

Das musste man nicht, konnte man aber interpretieren, wie es CDU-Chef Merz getan hat: Deutschland würde Netanjahu verhaften und nach Den Haag überstellen, sollte Israels Premier nach Erlass eines Haftbefehls deutschen Boden betreten. Ankläger Khan wirft Netanhaju Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung im Gazastreifen vor.

Es wäre der politische Super-GAU, der alle 123 Vertragsländer des so genannten Römischen Statuts treffen könnte, auch Österreich. Sie haben sich grundsätzlich verpflichtet, zur Festnahme ausgeschriebene Personen an den Internationalen Strafgerichtshof zu überstellen, sobald diese ihr Territorium betreten.

Aber so einfach ist es nicht. Israel gehört nicht zu den Vertragsländern und Benjamin Netanjahu ist ein amtierender Regierungschef. Völkerrechtlich ist höchst umstritten, ob der israelische Premier aufgrund seiner völkerrechtlichen Immunität tatsächlich an den Gerichtshof überstellt werden dürfte oder ob hierfür ein entsprechendes Votum der Vereinten Nationen nötig wäre. Es gibt jedenfalls genügend Beispiele aus der Vergangenheit, in denen ein Haftbefehl aus Den Haag aus diesem Grund auch von Mitgliedsländern ignoriert wurde.

Drei Rechtsprofessorinnen haben es in der Hand

Zuletzt war es Russlands Präsident Wladimir Putin, der erklärte, dass ihn ein Haftbefehl aus Den Haag nicht interessiere, weil es sich ausschließlich um eine Angelegenheit der Mitgliedsländer handle. Russland zählt nicht dazu, ebenso wenig wie die USA.

Bei allen juristischen Unwägbarkeiten, für einen politischen Orkan reicht die Causa allemal. Beenden kann dies letztendlich nur Iulia Motoc aus Rumänien. Sie leitet jene Vorverhandlungskammer am Internationalen Strafgerichtshof, die über den Haftbefehlsantrag entscheiden wird. Es handelt sich um einen Dreier-Senat unter ihrem Vorsitz. Neben Motoc werden die Mexikanerin Maria del Socorro Flores Liera und Reine Alapini-Gansou aus Benin entscheiden.

Die drei Rechtsprofessorinnen sind nicht an Zeitvorgaben gebunden. Sie haben es aber in der Hand, 123 Länder vor einem Dilemma zu bewahren.

Premier Benjamin Netanjahu.
Regierungssprecher Hebestreit.
Richterin Reine Alapini-Gansou aus Benin.
Richterin Maria del Socorro Flores Liera aus Mexiko.