Alarmierende Entwicklung: Junge Menschen bekommen immer häufiger Krebs
Es ist eine Entwicklung, die Anlass zur Sorge gibt: Krebserkrankungen treten immer häufiger bereits bei jungen Erwachsenen auf. Fachleute warnen vor einem langfristigen Trend. Besonders stark betroffen ist die Generation der Millennials – Menschen, die in den Jahren zwischen 1981 und 1995 geboren wurden.
Nach Einschätzung der Immunologin Lydia Begoña Horndler Gil, Dozentin für Immunologie und Krebsbiologie an der Universidad San Jorge in Spanien, markiert diese Generation einen Wendepunkt. Erstmals liege das Risiko, an Krebs zu erkranken, bei Jüngeren höher als bei der Elterngeneration, schreibt die Expertin in einem Fachaufsatz.
Internationale Studien belegen diese Entwicklung. Demnach nahm die Zahl der Krebserkrankungen bei Menschen unter 50 Jahren zwischen 1990 und 2019 weltweit um fast 80 Prozent zu. Auch die Sterblichkeit in dieser Altersgruppe stieg deutlich – um rund 28 Prozent.
Besonders auffällig sind die Zahlen aus den USA und Europa: Dort erkranken Millennials bei 17 von 34 untersuchten Krebsarten deutlich häufiger als die Babyboomer, in einigen Fällen liegt das Erkrankungsrisiko zwei- bis dreimal höher. Den stärksten Anstieg verzeichnen Darmkrebserkrankungen mit einem Plus von 167 Prozent, gefolgt von Schilddrüsenkrebs mit 75 Prozent. Auch Brustkrebs tritt bei jüngeren Erwachsenen je nach Region um bis zu 50 Prozent häufiger auf als noch vor wenigen Jahrzehnten.
In der überwiegenden Zahl der Fälle ist Krebs keine Frage der Gene. Rund vier von fünf Tumorerkrankungen gehen nicht auf eine familiäre Veranlagung zurück, sondern entstehen laut der spanischen Immunologin durch Einflüsse von außen. Dazu zählen Lebensgewohnheiten wie Ernährung und Bewegungsmangel ebenso wie chronischer Stress, Schlafdefizite und Belastungen aus der Umwelt.
Die größten Risikofaktoren sind demnach:
Ernährung: Als zentralen Faktor führt Immunologin Begoña die Ernährung an: „Bereits in den 1980er-Jahren begann die Zahl übergewichtiger Kinder stark anzusteigen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation waren im Jahr 2022 weltweit mehr als 390 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und 19 Jahren übergewichtig – rund 160 Millionen von ihnen galten als adipös.“ Starkes Übergewicht im Kindesalter stehe in engem Zusammenhang mit Insulinresistenz, chronischen Entzündungsprozessen auf niedrigem Niveau und hormonellen Veränderungen. „Diese Faktoren erhöhen nachweislich das Risiko für bestimmte Krebsarten, darunter Darm-, Brust- und Gebärmutterkrebs.“
Besonders problematisch: Die gesundheitlichen Folgen von Adipositas in jungen Jahren verschwinden nicht einfach mit dem Erwachsenwerden. Eine Metaanalyse der Colon Cancer Foundation, die Daten von mehr als 4,7 Millionen Menschen auswertete, zeigt, dass ein hoher Body-Mass-Index (BMI) in der Kindheit das Darmkrebsrisiko im späteren Leben deutlich erhöht. Studien zeigten zudem, dass eine stark von hochverarbeiteten Lebensmitteln geprägte Kost die Vielfalt der Darmbakterien verringere und gleichzeitig solche Keime begünstigt, die entzündungsfördernde Stoffwechselprodukte bilden.
Alkohol: Ein weiterer zentraler Risikofaktor ist Alkohol. Immunologin Begoña schreibt in ihrem Gastbeitrag: „Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft Alkohol als Karzinogen der Gruppe 1 ein – in derselben Kategorie wie Tabak. Der Grund: Im Körper wird Ethanol zu Acetaldehyd abgebaut, einer Substanz, die das Erbgut schädigt. Zudem unterscheiden sich die Trinkgewohnheiten deutlich zwischen den Generationen. Während die Babyboomer (Geburtsjahrgänge 1946 bis 1964) häufiger regelmäßig Alkohol konsumieren, trinken Millennials seltener, dafür aber häufiger in großen Mengen auf einmal. Dieses sogenannte Rauschtrinken gilt als besonders risikoreich. Bestätigt wird dieser Trend durch die EDADES-Studie 2024 des spanischen Gesundheitsministeriums, die das unterschiedliche Risikoverhalten der Generationen untersucht.“
Zudem zeige eine aktuelle Studie der Fachzeitschrift Environmental Science & Technology, dass viele Biersorten mit per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) belastet seien. Diese Chemikalien stehen im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Hoden- und Nierenkrebs.
Schlafmangel: Millennials und Angehörige der Generation Z bekommen pro Nacht im Durchschnitt 30 bis 45 Minuten weniger Schlaf als die Babyboomer. Hauptursache sei die ständige Nutzung von Bildschirmen bis spät in die Nacht – von Smartphones über Streamingdienste bis hin zu sozialen Netzwerken.
Das künstliche Licht wirkt sich laut der Immunologin direkt auf den Hormonhaushalt aus: Es hemmt die Ausschüttung von Melatonin, einem Hormon mit antioxidativer Wirkung, das eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Zellzyklus spielt. Fehlt dieses Schutzsignal, gerät ein wichtiger biologischer Rhythmus aus dem Gleichgewicht.
Dauerhafter Schlafmangel schwächt die natürlichen Reparaturmechanismen der DNA und reduziert zugleich die krebshemmenden Eigenschaften von Melatonin. Niedrige Melatoninspiegel werden mit einer verminderten Fähigkeit in Verbindung gebracht, oxidative Schäden am Erbgut auszugleichen – zugleich kann sich die Zellteilung beschleunigen. Hinzu kommt, dass gestörte Schlaf-Wach-Rhythmen die Aktivität jener Gene beeinflussen, die für die Instandhaltung der DNA verantwortlich sind. Die Folge: Fehler im Erbgut häufen sich über Jahre hinweg an und erhöhen langfristig das Risiko, dass sich Tumoren entwickeln.
Stress: Der Stresshormonspiegel von Millennials – insbesondere das Cortisol – liegt laut Fachleuten im Durchschnitt höher als bei früheren Generationen. Bleibt dieses Hormon über längere Zeit erhöht, fördert es nicht nur Stoffwechselstörungen wie Insulinresistenz und Bluthochdruck, sondern schwächt auch die Abwehrkräfte des Körpers. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass chronischer Stress Entzündungsprozesse im Körper antreibt und zugleich die Fähigkeit des Immunsystems beeinträchtigt, entartete Zellen rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen. In manchen Fällen kann Dauerstress sogar ruhende Tumorzellen wieder aktivieren.
Medikamente: Der regelmäßige Gebrauch von Schmerzmitteln wie Paracetamol steht im Zusammenhang mit Leberschäden und möglicherweise auch mit einem erhöhten Risiko für Leberkrebs. Hormonelle Verhütungsmittel, die heute oft über viele Jahre hinweg eingenommen werden, können das Risiko für Brust- und Gebärmutterhalskrebs leicht erhöhen.
Gleichzeitig bieten sie allerdings einen gewissen Schutz vor Eierstock- und Gebärmutterkrebs – ein komplexes Risiko-Nutzen-Verhältnis. Auch die langfristige Einnahme von Magensäureblockern und Antibiotika rückt zunehmend in den Fokus der Forschung. Studien bringen sie mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen des Verdauungstrakts in Verbindung.
Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Partnerportal NiUS.
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