„Die ersten Tage habe ich geweint”, sagt Pfarrer Matthias Felber, „aber meine Mitarbeiter haben mich beruhigt”. Er sei eben Seelsorger und für Menschen da, nicht für Kirchengebäude. Was dem Pfarrer der Kirche St. Johann der Evangelist am Keplerplatz, im Volksmund auch Keplerkirche genannt, die Tränen in die Augen getrieben hat, ist schon vor Weihnachten passiert. In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember hatten Unbekannte die  weißen Kirchenmauern großflächig mit arabischen Schriftzeichen und Slogans beschmiert. In der Nacht darauf schlugen die – oder andere? – Täter erneut mit Farbspraydosen zu.

Wieder Ärger mit 505/515ern

Die Vorfälle wurden angezeigt, die Polizei ermittelt. Vorerst kann über die Hintergründe nur spekuliert werden. Aus den Schriftzeichen ergeben sich jedoch einige Anhaltspunkte für möglich Bezüge zu arabischen Gruppen. Neben einer „Oh, Allah beschütze”-Parole sind zwei Namen zu erkennen: Einmal „Free Askan” (oder: Askar) und an anderer Stelle „Free Sisi”. Darüber steht „Daraa”, der Name einer syrischen Stadt. Ebenfalls eine syrische Spur legen die Zahlencodes 505 und 515. Diese Ziffernkombinationen sind den Behörden seit Längerem ein Begriff. Im Sommer 2024 hatten brutale Straßenkämpfe zwischen Tschetschenen, Türken und Syrern, die sich unter der Chiffre 505 oder 505/515 zusammengerottet hatten, Wien in Atem gehalten.

: Was hat der Code 505 auf der Keplerkirche zu bedeuten?ADEM HÜYÜK/

Der Name 505 steht für den Al-Aqidat-Familienclan in Deir Ezzor in Ostsyrien, der allerdings damals betonte, mit den Auseinandersetzungen nichts zu tun zu haben. Die Zahl 515 bringen deutsche Verfassungsschützer mit einem Ableger des ursprünglich saudischen Stammes Banu Hashim in Verbindung. Auch in deutschen Städten tauchten sogenannte 505er bei Straßenschlachten mit den „Ches“ („Tschetschenen“) oder als Drogenhändler und Schleuser in Erscheinung. Ob die auf syrische Postleitzahlen zurückgehenden Codes für konkrete Strukturen stehen oder eher von Jugendlichen unabhängig voneinander aufgegriffen und zu Selbstläufern wurden, ist unklar. Allerdings gibt es eine interessante Koinzidenz zu der Wiener Kirchen-Schmierage: Ab 8. Jänner müssen sich im Wiener Straflandesgericht 24 junge Männer wegen absichtlich schwerer Körperverletzung und schwerer gemeinschaftlicher Gewalt bei einer Massenschlägerei nahe des Bahnhofs Meidling im Sommer 2024 verantworten. Die Kontrahenten: 505er- bzw. 515er-Syrer gegen Tschetschenen.

Nicht an die große Glocke

Auch der aus der Stille-Nacht Stadt Oberndorf bei Salzburg stammende Pfarrer Felber vermutet Urheber mit syrischen Wurzeln. Inoffiziell hab man solche Hinweise aus der Bezirksverwaltung erhalten. Felber zum exxpress: „Wir haben Fotos von den Schmierereien syrischen Freunden gezeigt, für die ist das alles äußerst peinlich.”

Geweint, aber abgebrüht: Pfarrer Felber, dessen Keplerkirche mutmaßlich von Syrern beschmiert wurde.Diözese Wien/

Was auch immer die Motive für die Verunstaltung der Keplerkirche gewesen sein mögen, an die große Glocke wird der Fall nicht gehängt. Auch wenn ihm die Taten anfangs Tränen in die Augen getrieben haben, gibt sich der Herr Pfarrer inzwischen gelassen: „Das ist ja nicht die einzige Kirche, die beschmiert wird, da ist inzwischen eine Abgebrühtheit da.” Er habe den Vorfall noch gar nicht an die Diözese weitergemeldet, denn feiertagsbedingt seien alle Büros geschlossen.

Man stelle sich vor, eine Moschee wäre während islamischer Feiertage beschmiert worden. Unvorstellbar, dass dann auch eine Woche danach noch kein Aufschrei der Empörung durch die muslimische Community gegangen und die hiesige Politik nicht sogleich in Betroffenheit verfallen wäre. Sicher wäre bei den Islam-Vereinen Büros offen gewesen, die Warnungen vor „islamophobem Rassismus” abgesetzt hätten. Gute Chancen hätte ein derartiger Vorfall wohl auch für Berichterstattung in der ZiB  gehabt.

Austro-Türke berichtet

Doch die Weihnachtsruhe blieb ungestört. Pfarrer Felber hatte vor dem exxpress kein einziger Journalist wegen des mehr als eine Woche zurückliegenden Sprühanschlages auf seine Kirche kontaktiert. Niemandem im Bezirk stach die unübersehbare Attacke dermaßen ins Auge, dass die Information darüber zu Medien oder Politik vordrangen. Auch die Polizei hielt still. Allerdings: Ein Medium hat noch vor dem exxpress berichtet. Bemerkenswerterweise griff ein türkisch-stämmiger Wiener das Thema als erster auf: Der Journalist Adem Hüyük veröffentlichte auf seinem Nachrichtenportal Der Virgül erste Fotos von den Schmierereien.

Austro-Türke Adem Hüyük machte auf den Kirchenanschlag aufmerksam.Der Virgül/

Teure Reparatur

Was den Pfarrer jetzt beschäftigt, ist die teure Beseitigung der Beschädigungen. Für die Erneuerung der Kirchenfassade braucht es eine Spezialfarbe, die nur ein Experte richtig abmischen kann. Dieses Problem hält Felber für lösbar. Noch keine Lösung hat er für die beschmierten Steinplatten am Sockel. Eine Sandstrahlreinigung würde die Farbe schnell entfernen, der Stein aber nicht vertragen. Das Kalteisverfahren, bei dem Stickstoff mit minus 20 Grad aufgetragen und die Farbe so schonend abgelöst wird, ist nicht billig. Da es für solche Fälle keine Versicherung gibt, muss die Kirche die Kosten selbst aufbringen. Felber hat aber schon gehört, dass ein syrischer Verein, dem die Sache sehr unangenehm ist, im Hintergrund an einer Art Wiedergutmachung feilt. Wie diese aussehen könnte, ist noch offen.