Sie ist eine der verrücktesten linken Internet- und Kulturblasen: die Buchblogger-Blase auf Instagram und TikTok. Zwischen Social Media und Verlagen bildet sie eine Art Scharnier. Eine Autorin und eine Influencerin haben nun die Zensur eines ihrer lustigsten Protagonisten initiiert: des „Bücherschranks“. Sein Verbrechen: falscher Humor. Auch Ulf Poschardt und Philip Hopf melden sich zu Wort.

Es ist wohl schwierig, woker zu sein als die Buchblogger-Blase auf Instagram. Fast täglich teilen Influencer und Autoren hier Kacheln, in denen sie irgendwelche abstrusen Verhaltensregeln oder Begriffsbestimmungen aufstellen. In Videos erzählen sie von ihren psychischen oder vermeintlich psychischen Problemen oder sie stellen ihren angeblichen Opferstatus aus – irgendetwas, das sie besonders macht und das dann natürlich auch ständig Thema in den Büchern ist, die sie besprechen.

In dieser selbstreferenziellen Welt aus bunten Buchdeckeln, Selfies und Lichterketten-behangenen Bücherregalen – man muss ehrlicherweise sagen, die Akteure sind vor allem Frauen – hat ein Blogger so etwas wie den absoluten Antagonisten zum linken, stets fragilen Wohlgefühl entworfen.

Zwischen etwa 100 deutschstämmigen Damen, die sich vor Kaminfeuern erzählen, wie bunt und vielfältig sie sind, sitzt der iranstämmige Influencer mit dem Alias „Der Bücherschrank“ in seinen Videos mit großer, schwarzer Sonnenbrille von Oliver Goldsmith, breiten Schultern, Bart – und ja, migrantischem Aussehen – vor einem Bücherregal und rezensiert mal Hesse, Arnold Schwarzenegger oder redet in Formeln wie „Buch wie ein Disstrack“ von linker Moral, Christian Kracht oder Feminismus.

„Der Bücherschrank“ als Ausnahmeerscheinung der Szene

Durch seinen Humor, seine teils bewusst politisch inkorrekten Witze, seine Kritik an der Opferkultur und am falschen Feminismus der Szene stach er heraus. Lange Zeit bewegte sich der „Bücherschrank“, der die Initialen S.K. nutzt und seinen bürgerlichen Namen auf Nachfrage nicht verraten möchte, wie ein Wunder in der Szene, in der männliche Bücherblogger sowieso eher in der Minderheit sind.

Wie in der Buchbranche ist es auch auf Bookstagram und Booktok schon problematisch, überhaupt in den Verdacht zu geraten, nicht weit links zu sein. Für den „Bücherschrank“ ging es trotzdem lange gut. Auch Verlage und Unternehmen wurden auf die Ausnahmeerscheinung aufmerksam – die Leseapp Reado startete eine Kooperation mit ihm – er erschien in der App unter „Reado friends“.

So ging der „Bücherschrank“ unbehelligt seiner Wege. Bis vor einer Woche die Autorin und Buchbloggerin Josi Wismar ein Video postete, in dem sie ihn an den Pranger stellte. „Stellt Euch vor, Ihr habt eine Firma oder eine App, in der Ihr im Juni zum Pride-Month Templates anbietet“, erzählt sie darin, „nur um dann einen Botschafter im Team zu haben, der richtig krasse queerfeindliche Sachen postet.“

Ihre „richtig krasse Queerfeindlichkeit“ würde diese „bestimmte Person“ wiederum „als lustige Memes“ verkaufen. Queerfeindlichkeit aber habe „auf bookstagram nichts zu suchen“, so die Ansage der Autorin, deren eigene Bücher Spiegel-Bestseller sind.

Vowurf der „Queerfeindlichkeit“

Neben ihrem Kooperationspartner rief die Autorin auch Verlage und Nutzer dazu auf, dieser „bestimmten Person“ zu entfolgen. Dabei sind Followerschaften das Gold der Szene, besonders solche von Verlagen. Wen sie genau meinte, sagte sie nicht. Das sollte kurz darauf jemand anderes übernehmen. Auch eine inhaltliche Konfrontation mit dem „Bücherschrank“ suchte sie nicht. Ebenso wenig sagte sie, worin die vorgehaltene Queerfeindlichkeit bestehen sollte.

Letztlich dürfte Wismar vor allem der Humor des „Bücherschranks“ aufgestoßen haben. Der stellt seinen Videos regelmäßig kurze, oft bewusst politisch inkorrekte Clips voran. Darin nimmt er mal volltätowierte Figuren mit freiwillig amputierten Körperteilen auf die Schippe, oder er kontrastiert das Stottern einer Frau mit Geräuschen von Maschinen oder Bienen – und überschreibt den Clip mit den Worten: „Wer lacht, kommt in die Hölle!“ Anschließend beginnt er das Hauptvideo – eine Rezension von „Luzifers Burnout“ – mit den Worten: „Jetzt bloß nicht Lachen.“ Die Sünde des Bücherschranks war letztlich wohl: zu viele lachten trotzdem.

Das Faszinosum des „Bücherschranks“, wenn man so möchte, ist der morbide menschliche Leib. Der „Bücherschrank“ hat ein feines Gespür für die Kehrseite der eitlen links-woken Welt des Scheins, die er vor allem in körperlichen Deformierungen wiederfindet. In diesem Sinne ist der „Bücherschrank“ der iranische Gryphius der Buchbloggerszene – der barocke Dramatiker eines sehr zeitgenössischen deutschen Trauerspiels. Er stellt uns vor die Wahl: Lachen und Hölle oder Nicht-Lachen und auch Hölle.

Leseapp beendet Kooperation

Weil aus Josi Wismars Video-Ansage noch nicht ersichtlich war, wen man nun eigentlich genau entfolgen soll und welches Unternehmen seine Kooperation einstellen solle, sprang die Buchbloggerin Jessica Sauerwald (bekannt unter dem Namen „Miss Nerdstagram“) ihr zur Seite. In einem eigenen Post nannte sie den „Bücherschrank“ beim Namen und markierte die Leseapp Reado. Auch Sauerwald behauptete, die „humorvollen“ (in Anführungszeichen) Memes des Bücherschranks seien „queerfeindlich“. Auch sie rief dazu auf, ihm zu entfolgen. Auch sie sagte nicht, worin die Queerfeindlichkeit bestehen sollte.

Dem Vorstoß tat dies keinen Abbruch. Es dauerte nicht lange, bis Reado unter Wismars Beitrag kommentiere: „Danke fürs Aufmerksam machen!“ Der App sei es wichtig, „für Offenheit, Respekt und Vielfalt“ zu stehen. Deshalb habe man „direkt reagiert und entsprechende Maßnahmen ergriffen.“ Die Leseapp stellte ihre Kooperation ein. Auch Verlage – wie dtv, Rowohlt oder Diogenes – entfolgen dem „Bücherschrank“.

Dabei sollte es aber nicht bleiben: Ebenso wurden Accounts, die dem „Bücherschrank“ folgten, von teils anonymen Konten angeschrieben mit der Bitte, die Followerschaft zu beenden, da er „problematisch“ sei. Die Parole war klar: Die Szene sollte von einem störenden Protagonisten gereinigt werden. Und das, ohne dass der entsprechende Vorwurf überhaupt begründet wurde.

Neben drei Spiegel-Bestsellern wurde Josi Wismar letztes Jahr von TikTok mit dem „BookTok Award des Jahres“ ausgezeichnet. Sie selbst hat auf Instagram fast 50.000 Follower, Jessica Sauerwald fast 40.000. Auch sie wurde letztes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse mit einem „TikTok Book Award“ ausgezeichnet. Der „Bücherschrank“, der in einem früher Post einmal erzählte, er habe seinen Account deshalb gestartet, um „sich selbst zu motivieren, mehr zu lesen“, kommt auf knapp 10.000 Follower. Vor dessen „Hinrichtung“, wie Bookstagram-Meme-Seiten Wismars und Sauerwalds Mobbing bereits satirisch bezeichnen, waren es knapp 9.000.

Besonderer Fan meldet sich zu Wort

Dass die Followerschaft des „Bücherschranks“ stieg, dürfte auch daran liegen, dass sich mehrere besondere Fans von ihm zu Wort meldeten. Neben Philip Hopf – bekannt durch seinen Podcast „Hoss & Hopf“ – auch Welt-Herausgeber Ulf Poschardt: „Phänomenologie des Shitbürgertums“, kommentierte er, „die Blockwarte von der Regenbogen-Fraktion hetzen gegen den Bücherschrank. Folgt ihm und unterstützt ihn.“

Die steigende Anzahl an Nutzern, die dem „Bücherschrank“ nun folgen, dürfte der Literatur derweil guttun. Durch seine direkte und teils derbe Sprache („In diesem Buch rechnet sie hardcore ab“) dürfte er auch Leser erreichen, die Verlage wohl niemals erreichen werden, und – so zeigt sich an seinem Fall – wohl auch gar nicht erreichen wollen.

Zuerst erschienen ist dieser Beitrag auf unserem Partner-Portal Nius.