Datenschutzstreit: „Standard“ verliert vor Gericht gegen Datenschutzaktivist
Bemerkenswerte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG): Das Abomodell von „derstandard.at“ mit seiner „Pay-or-Okay“-Schranke verstößt gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die NGO „noyb“ des bekannten Datenschutzaktivisten Max Schrems hat das Erkenntnis erwirkt. Von Lucas Ammann
47 Seiten umfasst ein aktuelles Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), das dem exxpress vorliegt. Sein Inhalt: Eine Entscheidung über einen jahrelangen Streit der Datenschutzorganisation „noyb“ vom bekannten Juristen und Datenschutzaktivisten Max Schrems. Das BVwG hat eine frühere Entscheidung der Datenschutzbehörde (DSB) bestätigt, wonach das „Pay-or-Okay“-Modell des „Standard“ rechtswidrig sei.
Hintergrund dieses Modells ist eine Online-Schranke auf „derstandard.at“, wonach User des „Standard“ vor die Wahl gestellt werden, entweder ein kostenpflichtiges Abo (Preis derzeit: 9,90 Euro monatlich) abzuschließen – oder gegen Weitergabe von Daten „kostenlos“ weiterzulesen. Allerdings bekommt der User, der nicht zahlt, dann auch Werbung angezeigt. Keine wirklich freie Wahl, finden die Datenschützer.
„Nordkoreanische Einwilligungsraten“
Gemäß von „noyb“ auf deren Homepage zitierten Studien würden nur ein bis sieben Prozent der User Online-Tracking zustimmen, wenn sie offen danach gefragt würden – bei „Pay-or-okay“-Bannern wären es hingegen 99,9 Prozent der Nutzer. Anstelle von echter Wahlmöglichkeit „ergeben sich bei diesem System nordkoreanische Einwilligungsraten von 99,9 %“, wird Schrems in einer Meldung zum Gerichtsentscheid zitiert. Nutzer könnten so nicht frei entscheiden, wenn sie ansonsten ein Abo bezahlen müssten.
Ursprünglich hielt die Datenschutzbehörde fest, dass der „Standard“ keine gültige datenschutzrechtliche Einwilligung bei seinen Nutzern eingeholt habe. Gegen die Entscheidung der DSB legte der „Standard“ Rechtsmittel ein. Das BVwG wies die Beschwerdepunkte zurück und bestätigte die Kritik der DSB.
„Granulare Zustimmung“
Im BVwG-Erkenntnis heißt es nunmehr, dass „Nutzende keine Möglichkeit haben, die einzelnen Zwecke, zu denen eine Einwilligung abgeholt werden soll, selbst und aktiv auswählen können (…). Daher muss die pauschale Gesamteinwilligung in verschiedene Zwecke nicht als wirksam erteilt angesehen werden“, so das Gericht in der Entscheidung. Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss aber die Möglichkeit zur Zustimmung in einzelne Verarbeitungszwecke geben – Experten nennen das die sogenannte „granulare Zustimmung“. Das Erkenntnis ist noch nicht rechtskräftig, ob der „Standard“ gegen die Gerichtsentscheidung erneut Rechtsmittel einlegen wird, ist noch nicht bekannt.
Im Verfahren hat der „Standard“ der NGO von Max Schrems „rechtsmissbräuchliches Verhalten“ vorgeworfen – und berief sich auf einen Musterfall aus Belgien. Das Gericht wies diesen Vorwurf aber zurück, ein solches Verhalten würde bei Schrems‘ NGO „nicht vorliegen“. Max Schrems dazu: „Wir waren überrascht, dass eine Zeitung plötzlich versucht, die Arbeit von NGOs vor Gericht zu diskreditieren. Wir sind erfreut, dass das Gericht derartige Ideen verworfen hat. Die belgische Entscheidung bleibt somit eine Ausnahme in Europa.“
„Standard“ kündigt Änderungen an
Naturgemäß anders interpretiert wird die Entscheidung vom „Standard“: Die aktuelle Entscheidung ändere „nichts an der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit“ des Abomodells. Man verweist darauf, dass ein solches „Pay-or-okay“-Modell von vielen Verlagen in ganz Europa verwendet werden würde. Jedoch werde man „dem Urteil folgend Anpassungen hinsichtlich der Granularität der Einwilligung“ durchführen.
Verwickelt in den Rechtsstreit war neben der „Standard“-Verlagsgesellschaft auch die Velcom-GmbH, eine Werbeagentur im Alleineigentum des „Standard“. Die links stehende Zeitung sowie die Werbeagentur leisteten sich für den Rechtsstreit mit der Kanzlei Baker McKenzie Rechtsanwälte einer der renommiertesten Anwaltskanzleien.
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