Die Akte Anzorov: Samuel-Paty-Mörder chattete mit Syrien-Islamisten
Diese Enthüllungen werfen ein Schlaglicht auf die radikale Gesinnung der Islamisten von Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die in Syrien jüngst die Macht übernommen haben: Wie die französische Zeitung Le Parisien berichtet, stand mindestens ein HTS-Mitglied in Kontakt mit dem tschetschenischen Attentäter, Abdullah Anzorov, der am 16. Oktober 2020 in Frankreich den Lehrer Samuel Paty ermordete.
Dabei handelt es sich um einen Mann namens Faruq Shami. Jener Shami soll dabei schon vor dem Mord an dem Lehrer in Kontakt mit Anzorov gestanden haben. Unmittelbar der Enthauptung Patys soll Shami, so Le Parisien unter Berufung auf einen Bericht der französischen Anti-Terror-Polizei (SDAT), eine Sprachnachricht des Attentäters erhalten haben, in der dieser seinen Angriff rechtfertigte und ein Bild des enthaupteten Lehrers teilte.
Anzorov schrieb: „Ich habe den Lehrer enthauptet, jetzt werde ich den Dschihad in Frankreich fortsetzen.“ Darauf antwortete Shami: „Allahu Akbar! Möge der Frieden, die Barmherzigkeit und der Segen Allahs auf dir ruhen.“ Das Foto des enthaupteten Lehrers postet Anzorov unter dem Benutzernamen @Tchetchene_270 auf Twitter. Wenig später erschossen Polizisten den Attentäter.
Faruq Shami nimmt Schlüsselrolle im „Medien-Dschihad“ ein
Shami, der 1996 geboren sein soll und tadschikischer Staatsbürger ist, gibt sich auf dschihadistischen Online-Plattformen als Journalist aus – und veröffentlichte in Vergangenheit Videos aus der Region Idlib. Laut jenen internen Polizeidokumenten soll Faruq Shami nicht nur HTS-Mitglied sein, sondern im „Medien-Dschihad“ eine Schlüsselrolle einnehmen. So soll unter anderem zu seinen Aufgaben gehören, anonym über Instagram und Telegram mit jungen radikalisierten Muslimen zu kommunizieren und ihnen Ratschläge zu Religion und Dschihad zu geben.
Seine Online-Aktivitäten wurden bereits vor dem 16. Oktober 2020 vom französischen Geheimdienst DGSI überwacht. Die Ermittler fanden heraus, dass Shami einen Monat vor dem Mord an Samuel Paty ein Video veröffentlichte, in dem er den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow aufforderte, „Brüder nach Frankreich zu schicken“. Wie das Portal TRM Labs zudem berichtet, betreibt Shami, also der Mann, der in Kontakt mit Anzorov stand, eine Webseite, auf der er Dschihadisten interviewt und Fundraising-Bemühungen für HTS in Syrien hervorhebt.
Fall wirft auch Schlaglicht auf das Versagen der Einwanderungspolitik
Der Anschlag auf den Lehrer Samuel Paty gilt als einer der brutalsten islamistischen Anschläge in der französischen Geschichte. Im Oktober 2020 stach der 18-jährige Abdullah Ansorov dem 47-jährigen Lehrer einer Mittelschule im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine mehrmals in den Bauch und in die Arme, bevor er ihn schließlich mit einem 35 Zentimeter langen Messer auf offener Straße enthauptete. Ursächlich für die Tat war die Tatsache, dass Paty zuvor das Thema Meinungsfreiheit im Schulunterricht besprochen hatte, wofür er auch die aus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo bekannten Mohammed-Karikaturen nutzte, was die Gefühle mehrerer muslimischer Schüler verletzt haben soll. Im Nachgang der Tat wurde der 18-jährige Anzorov von Polizisten erschossen.
Inzwischen beschäftigt die Komplizenschaft und Rolle der Familie noch immer die französische Justiz. Wie Recherchen der französischen Wochenzeitschrift L’Express unter Berufung auf Gerichtsakten zeigen, steht der Fall der Familie auch stellvertretend für das Scheitern der Einwanderungspolitik: So berichtete L’Exxpress im November, dass die Familie Anzorov schon 2004 fünf tschetschenische Al Qaeda-Kämpfer in ihrem Haus in Tschetschenien beherbergte.
Einer von ihnen, „Seif Islam“, soll dabei ein hochrangiger Führer der Terrororganisation von Osama bin Laden gewesen sein. Drei Jahre später, 2007, wanderte die Familie nach Frankreich ein; 2009 erfuhren die Behörden von den Verbindungen zu den Terroristen – und trotzdem sprach das nationale Asylgericht der Familie Flüchtlingsstatus zu. Weitere neun Jahre später, 2020, enthauptete der 18-jährige Sohn schließlich den Lehrer.
Im Anschluss der Tat wurde dabei auch deutlich, dass die Anzorov mitnichten so etwas wie Reue oder Schuldgefühle entwickelt haben. Der Vater des Attentäters reiste etwa nach Mekka und schrieb über seinen Sohn auf sozialen Medien: „Dieser Soldat Allahs hat mehr als 60 Prozent der Franzosen das Fürchten gelehrt. Ein Krieger.“ Seit der Tötung von Samuel Paty, so der Vater, „übt mehr als jeder zweite Lehrer angesichts von Angriffen auf den Säkularismus Selbstzensur“.
Die Terrorkontakte seines Sohnes Abdullah zum HTS-Netzwerk legen dabei nahe, dass die Miliz von Muhammad al-Dscholani, die in vielen Medien als verharmlosend „Rebellen“ bezeichnet wurde, weitaus radikaler ist, als man geglaubt hat. Nach dem Sturz des Diktators Baschar Al-Assad befürchten Beobachter, dass HTS einen islamischen Gottesstaat in Syrien errichten und religiöse Minderheiten vertreiben wird. Die Organisation Hayat Tahrir al-Sham gilt dabei als Al-Qaeda-Ableger und hält nicht zurück, dass viele der Kämpfer einst Mitglieder von Terrororganisationen wie des „Islamischen Staats“ oder der Al-Nusra-Front waren. Die Organisation behauptet offiziell, mit ihren Verbindungen zu al-Qaida gebrochen zu haben und eine „modernere Vision“ des Islamismus zu verfolgen.
Die Recherchen, die ihren Einfluss auf den Paty-Mörder Anzorov belegen, dürften Zweifel an dieser Selbstdarstellung wecken.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partner-Portal NiUS erschienen.
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Kommentare
Mir wirft sich immer mehr die Frage auf, was mir den Geheimdiensten los ist.
Rechtschaffende Bürger werden immer mehr überwacht, währen die wirklichen Probleme ungebremst ….
Glaubt denn irgendwer ernsthaft, dass die aus al-Qaida hervorgegange HTS und deren Anhänger dem Ter.rorism.us abgeschworen haben und sich nun für ein demokratisches Syrien einsetzen werden? Es wird leider schlimmer werden, als es bisher war. Und wieder einmal hat der Westen einen Gutteil zu verantworten.