Mit dem soeben vom Nationalrat beschlossenen Kopftuchverbot zeigt der Staat, so der Verfassungsgerichtshof will, Flagge gegenüber einem zunehmend offensiv auftretenden Islam der radikalen Art. An den Schulen, die unter 14-Jährige ab dem nächsten Sommersemester nur noch mit unbedeckten Haupt betreten dürfen, geht es aber längst um gravierendere Probleme, die nicht einfach wie ein Kopftuch abgelegt werden können.

Das wurde einmal mehr deutlich bei einem vom Muslimischen Forum Österreich (MFÖ) in Wien organisierten Workshop zum Thema „Grenzen der Pädagogik”. Gerade in der Bundeshauptstadt sind diese Grenzen unübersehbar. Lehrer, Sozialarbeiter, Schulpsychologen bestätigten aus ihrer alltäglichen Erfahrung einen Zustand, der entweder schleunigst unter Kontrolle gebracht oder zum Systemkiller wird.

Minderheitensprache Deutsch

Die Probleme beginnen bei der Sprache, beschränken sich aber längst nicht mehr nur darauf. Von den rund 1,8 Millionen Jugendlichen unter 19 Jahren hatten 2024 nach Angaben des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) 29,6 Prozent einen Migrationshintergrund. Spitzenreiter ist Wien mit 54,2 Prozent, am niedrigsten liegt der Wert im Burgenland mit 17,6 Prozent. Von den insgesamt 518.400 Jugendlichen mit Migrationshintergrund wurde ein Drittel im Ausland geboren, zwei Drittel kamen schon hier zur Welt.

Besonders deutlich ist der Anstieg bei Schülern mit ausländischer Staatsangehörigkeit: Lag ihr Anteil im Schuljahr 2006/07 noch bei neun Prozent, stieg er bis 2023/24 auf 20 Prozent. Wien ist mit 37 Prozent auch hier absoluter Spitzenreiter. Noch dramatischer schaut es bei der Umgangssprache aus: Österreichweit hatten 26 Prozent der Schüler im Schuljahr 2023/24 eine nicht-deutsche Umgangssprache, in Wien war es mit 49 Prozent fast jeder zweite Schüler. Wobei der Bezirk Favoriten mit 72 Prozent vor Ottakring und Simmering mit jeweils 67 Prozent Rekordhalter ist. Deutsch ist dort längst eine Minderheitensprache.

Religiöse Ideologisierung

Effektives Lernen und Lehren verhindernde Barrieren bestehen aber nicht mehr nur aus gravierenden Sprachproblemen, sondern zunehmend aus religiöser Ideologisierung. An Schulen mit hohem Migrationsanteil kommt es immer öfter zur Ablehnung von schambehafteten oder aus Sicht der Schüler und mancher Eltern „falschen“ Lehrinhalten sowie zu religiösem Mobbing unter Schülern. „Bestimmte Lehrinhalte können nicht mehr unterrichtet werden“, sagt die Politologin Nina Scholz, die seit Jahren zu extremistischen Phänomenen forscht und schreibt.

Sie schildert einen schon sieben Jahre zurückliegenden Vorfall an einer Wiener Schule, der dazu geführt hat, dass das Thema Nationalsozialismus im Unterricht seither gemieden wird. Damals, 2018, war es in einer Klasse mit mehrheitlich muslimischen Schülern zum Eklat gekommen: Der Hitlergruß wurde gezeigt, Hakenkreuze auf Tische gezeichnet, Juden als Schweine und Affen bezeichnet. Die Direktion reagierte: Die Schülern bekamen eine auf zwei Seiten zusammengefasste Beschreibung des Nazi-Grauens zum Durchlesen mit nach Hause. Damit hatte es sich.

Nina Scholz: Türkenbelagerung im Unterricht nicht aus Rücksicht auf Muslime aussparen.exxpress/Maurer

Scholz meint, man müsse im Geschichtsunterricht auch über die Türkenbelagerungen reden und dürfe dieses Thema nicht aus Rücksicht auf Muslime aussparen. Aber wären Schüler breit, zum Beispiel ein Referat über die Türkenbelagerung zu machen? „Wer will sich schon nachher verprügeln lassen?”, fragt Christian Klar, Direktor einer Mittelschule und bis Juni stv. ÖVP-Bezirksvorsteher in Floridsdorf. Aber warum sollen Schüler und Lehrer mutig sein, wenn es die Politik nicht ist? Polen-König Jan Sobieski, dessen Entsetzter 1683 der Zweiten Türkenbelagerung ein Ende gesetzt hatte, wird in Wien kein Denkmal auf dem Kahlenberg bekommen, weil die SPÖ „islamfeindlichen oder antitürkischen Ressentiments” keine Bühne geben wollte.

Rücksichtnahme war nicht immer das Maß aller Dinge. Wenn früher in einer Schulklasse ein Schüler aus rechtsradikalem Milieu ein Hakenkreuz schmierte, wurde das ganze Sanktionenprogramm gefahren – Elterngespräch, Bildungsdirektion, Schulpsychologie. „Heute ist das normal und es passiert nichts“, so Scholz. Jüdische Eltern würden ihren Kindern, sofern sie diese überhaupt auf eine öffentliche Schule schicken, eintrichtern: „Sag nicht, dass du jüdisch bist.“

Heute geht es weniger um von Neonazis ausgehenden Antisemitismus, sondern um Judenhass muslimischer Provenienz. Scholz sieht die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) in der Pflicht, die Verbreitung extremistischer Inhalte zu unterbinden. Die offizielle Muslime-Vertretung komme dieser Pflicht aber nicht wirklich nach. Weil die Lage zunehmend eskaliere, sieht die Politologin „die Gesellschaft an einer Weggabelung.“

Wer sind die Opfer?

Aber sind die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht selbst Opfer? Eine Jugendchoachin an einer Ottakringer Schule verweist in der Debatte auf Kinder, die erleben müssten, wie ihren Müttern auf der Straße das Kopftuch vom Kopf gerissen wird. Solche Fälle sind nicht zu bestreiten. Doch sie sind nicht repräsentativ für die migrantischen Hotspots. „Wenn ich meine Schüler auf Alltagsrassismus anspreche, schauen die mich groß an, weil sie keine Alltagsrassismus erfahren“, sagt ein Floridsdorfer Mittelschullehrer.

Susanne Wiesinger: Muslime oft Opfer von Glaubensgenossen.exxpress/Maurer

Auch seine an einer Favoritener Volksschule unterrichtende Kollegin Susanne Wiesinger weiß, dass ihre Schüler in ihrer direkten Umgebung keine Ablehnung erfahren. „Denn es ist muslimische, arabische Umgebung. Sie leben hier wie ihre Eltern in Syrien gelebt haben.” Manche glaubten sogar, so Wiesinger, sie seien in Deutschland. „Sie wissen oft gar nicht, wo sie sind, aber sie wissen, dass es feindlich ist.“

Wenn es in Floridsdorf zu Rassismus kommt, dann seien es Christen aus Nigeria, die mit Rassismus durch Araber konfrontiert seien. Dort, wo es kaum noch eine Durchmischung von migrantischer und autochthoner Bevölkerung gibt, sind Muslime kaum Opfer von Alltagsrassismus durch Einheimische.

Seyran Ates, Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, zeichnet ein ähnliches Bild von der deutschen Situation. Dort wo Araber dominieren, seien die Türken Rassismusopfer.exxpress/Maurer

Migranten mobben Migranten

Migranten sind also sehr wohl potenzielle Opfer. Aber was tun, wenn Migranten Migranten mobben? Eine Lehrerin an einer Wiener Berufsbildenden Höheren Schule (BHS) schildert einen konkreten Fall aus der Praxis. Eine ihrer Schülerinnen wurde gemobbt, aber nicht, weil sie ein Kopftuch trug, sondern weil sie keines trug. Sie wurde also Opfer dieser selbsternannten Sittenwächter in der Community. Die Lehrerin dachte, das wäre sicher ein Fall für den „Verein Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit“ (ZARA). Dieser wurde laut Eigenbeschreibung „1999 mit dem Ziel gegründet, Zivilcourage und eine rassismuskritische Gesellschaft in Österreich zu fördern“.

Die engagierte Lehrerin blitzt jedoch ab. ZARA erklärte sich für nicht zuständig. Eine Vertreterin erklärte ihr bei einer Veranstaltung im Rathaus, „wir wären nur zuständig, wenn das Mädchen wegen des Kopftuches diskriminiert worden wäre“.

Zwangskonversion

Dieses von einschlägigen NGO ignorierte Mobbing betrifft nicht nur Kopftuchverweigerinnen. Scholz verweist auf die Konversion unter Druck, ein immer größeres Thema in migrantischen Schulen. Nichtmuslimische Kinder und Jugendliche konvertieren zum Islam, damit sie dazugehören, damit sie ihre Ruhe haben. Lehrer bekommen auch mit, was zu Hause abgeht. Die BHS-Lehrerin weiß von ihren muslimischen Mädchen, dass die zu Hause ihr Zimmer nicht verlassen dürfen, wenn ihre Brüder Freunde in die Wohnung einladen. An Klars Floridsdorfer Schule wurden allein heuer drei muslimische Schüler von der elterlichen Wohnung weggewiesen, weil sie gewalttätig gegen ihre Mutter beziehungsweise Schwestern waren. Auch da ging es in einem Fall ums Kopftuch.

Die Masse macht das Problem. Scholz: „Wir konnten immer die extremistischen Ränder irgendwie bewältigen, es gab einen gesellschaftlichen Konsens, dass wir das nicht wollen.“ Aber wenn 41 Prozent der Volksschüler in Wien aus muslimischen Familien kommen, dann ist aus Studien klar ersichtlich, dass der Anteil von Anhängern radikaler Lehren relativ groß ist. Und das wird zunehmend auch zum Problem für die Gegner islamistischer Lehren. Scholz: „Auch modernere Migranten haben Panik und fragen, warum kommen immer mehr von diesen Leuten hierher.“

Migranten wählen FPÖ/AfD

Und so kommt es, dass sich der FPÖ eine neue Wählergruppe erschließt, an die sie vor ein paar Jahren selbst noch nicht gedacht hatte. „Mittlerweile haben wir Migranten der 1. und 2. Generation, die auch FPÖ wählen“, weiß Cengiz Duran vom Kultusamt im Bundeskanzleramt, dem als Migrant der ersten Generation „das Kreuz in der Klasse nicht geschadet hat“.

Die für einen liberalen Islam kämpfende Seyran Ates bestätigt diesen Trend für Deutschland. Dort würden inzwischen ebenfalls Migranten die AfD wählen. Zuwanderern, denen die Folgen islamistischer Unterwanderung besonders bewusst sind, weil sie oft genau vor solchen Zuständen geflohen sind, genügen die Gegenmaßnahmen der Regierungsparteien nicht, welche aus falsch verstandener Toleranz, Naivität oder Angst vor der Nazi-Keule nur halbherzig agieren.

Assimilierung nötig

Was tun, wenn die Lage 15 Jahre nach Tilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab” noch viel schlimmer ist als es der inzwischen aus der SPD ausgeschlossene Ex-Vorstand der Deutschen Bundesbank damals beschrieben hat, wie Ates konstatiert? Was tun, wenn sieben Jahre nach Erscheinen von Susanne Wiesingers erstem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer” die Probleme an Österreichs Schulen noch gravierender geworden sind?

Ates verweist auf Dänemark, wo unter einer Sozialdemokratin konsequent gegen Islamismus vorgegangen wird. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen verlangt ohne Umschweife eine „wertbasierte Assimilierung” von Einwanderern, hält den Koran in seiner wörtlichen Auslegung unvereinbar mit der Demokratie. Wer hier leben will, muss unsere Werte übernehmen. Das sieht auch Direktor Klar so: „Wir wollen eine liberale offene Gesellschaft, und nur die, die mittun, passen gut hierher, und wer nicht mittut, muss sich eine nicht-liberale Gesellschaft suchen, die es hoffentlich auch in der Zukunft in Österreich nicht geben wird.”

Susanne Wiesinger will in ihrem nächsten Buch Wege zur Rettung des Bildungssystems aufzeigen.exxpress/Maurer

Wiesinger plädiert für eine qualitativ hochstehende Elementarpädagogik, die Kinder fit machen müsse für die Schule. Auch die Nachmittagsbetreuung sei gefordert. Außerdem hält sie Durchmischung für entscheidend. Umfassende Lösungsvorschläge wird es von der früheren sozialdemokratischen Lehrergewerkschafterin im kommenden Frühjahr geben, wenn ihr gemeinsam mit Pragmatikus-Redakteur Thomas Trescher geschriebenes drittes Buch erscheint: „Schule am Limit – Wie wir unser Bildungssystem retten können”.

Seyran Ates gibt sich freilich keinen Illusionen hin, was die Lernfähigkeit der Politik anlangt: „Solange es nicht die eigene Kindern von Politikern betrifft, werden sie nicht aufwachen.”