Eine Schule, in der Lernen Spaß macht? Laurin Naisar, Gründer und Leiter des Bildungszentrums an der Wien, antwortet im Interview mit dem exxpress darauf ohne Zögern: „Ja, genau das ist möglich.“ Zusammen mit seinem Bruder Merlin, seinem Vater Jürgen und vielen weiteren Ehrenamtlichen, engagiert er sich für dieses Projekt, das bewusst neue Wege geht. Seit diesem Herbst wird die erste Mehrstufenklasse von der Klassenlehrerin und Schulleiterin Katharina Scheele unterrichtet – Kinder zwischen sechs und elf Jahren – und wollen zeigen, dass Schule mehr sein kann als Frontalunterricht und Leistungsdruck. Ab dem Herbst 2026 folgt eine Mehrstufenklasse bis zur siebten Schulstufe und ab 2027 bis zur neunten Schulstufe.

Lernen ohne Noten

Das Bildungszentrum orientiert sich am öffentlichen Lehrplan, erweitert diesen jedoch durch ein besonderes Konzept. Noten gibt es auf Wunsch, im Vordergrund stehen aber Wochenziele, Projektarbeiten und regelmäßige Feedbackgespräche. Kinder dokumentieren ihren Fortschritt in Portfolios und lernen, Verantwortung für ihr eigenes Tempo zu übernehmen. „Es geht darum, Begeisterung zu wecken und Stärken zu fördern“, sagt Naisar. „Wenn ein Kind von Delfinen fasziniert ist, wird daraus nicht nur Biologie, sondern auch Mathematik, Geografie und Chemie.“

Kreativität ist ein Pflichtfach

Neben den klassischen Fächern haben Kunst, Musik, Naturpädagogik und Englisch einen hohen Stellenwert in den Klassen 1 bis 4. Im sogenannten Malort können die Kinder ganze Wände bemalen – ohne Vorgaben, ohne Vergleiche. Ein Musikpädagoge begleitet die Kinder beim freien Musizieren, Theaterspielen und Improvisieren. „Wenn jemand ein Instrument lernen will, dann mit vollem Einsatz. Durchhaltevermögen gehört genauso dazu wie Neugier“, betont Naisar. Zudem begleitet eine Nativ-Speakerin die Kinder einen ganzen Tag auf Englisch.

Auch draußen wird gelernt – bei jedem Wetter. In Begleitung eines Naturpädagogen zeigt dieser, wie man Feuer macht, Spuren liest oder draußen kocht. Rechnen, Schreiben oder Lesen werden dabei spielerisch in den Alltag eingebaut. „Draußen sein stärkt ganz besonders die Selbstregulation der Kinder und fördert die Handlungsfähigkeit“, erklärt Naisar.

Verantwortung von klein auf

Ein zentraler Baustein des Konzepts ist der Klassenrat. Einmal in der Woche treffen sich die Kinder, um offen über Probleme, Wünsche und Ideen zu sprechen. Ob es um Streitigkeiten, neue Regeln oder Projekte geht – alles darf zur Sprache kommen. Dabei geht es nicht nur um Harmonie, sondern auch darum, Konflikte auszutragen, Kompromisse zu finden und Entscheidungen gemeinsam zu treffen.

„Wir möchten, dass die Kinder für sich, für die Gemeinschaft und für die Schule als Ganzes Verantwortung übernehmen“, erklärt Naisar. So putzen die Schüler ihre Klassenräume selbst, entscheiden mit, wie das Schulhaus gestaltet wird, und diskutieren, welche Anschaffungen oder Reparaturen gemeinsam umgesetzt werden können. Dieser demokratische Prozess fördert Selbstbewusstsein und Pflichtgefühl, zeigt den Kindern aber auch, dass sie ernst genommen werden und etwas bewegen können.

Zukunftsorientiert und vernetzt

Das Lernsystem des Bildungszentrums baut auf Selbstständigkeit und intrinsische Motivation. Jedes Kind setzt sich Wochenziele, entscheidet selbst, wann und wie es diese erreicht, und dokumentiert seinen Fortschritt in Portfolios. Die Lehrer begleiten diesen Prozess engmaschig durch Feedbackgespräche, beobachten, wo Interessen entstehen, und vertiefen diese in Projekten.

In den ersten vier Schulstufen gibt es Monatsthemen, die sich wie ein roter Faden durch alle Fächer ziehen – abgestimmt mit dem Musikpädagogen, der Native Speakerin und dem Wildnispädagogen. Innerhalb dieses Rahmens suchen sich die Kinder ein eigenes Unterthema, das sie besonders interessiert und tauchen rund einen Monat lang darin ein. Am Ende präsentieren sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern ihr neu gewonnenes Wissen  – ob als Referat, Theaterstück oder Gedicht, der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Auch in den höheren Stufen bleibt dieser projektorientierte und fächerübergreifende Ansatz zentral, damit die Kinder lernen, eigenständig Schwerpunkte zu setzen und ihren Interessen mit Begeisterung nachzugehen.

Auch externe Partner werden eingebunden. So sind etwa Kooperationen mit der TU Wien geplant, bei denen Studierende mit den Kindern gemeinsam Reparaturen durchführen und Technik erlebbar machen. Im Mittelpunkt steht aber nicht das reine Faktenwissen, sondern die Fähigkeit, neugierig zu bleiben, Fragen zu stellen und eigenständig Lösungen zu finden.

Schule mitten im Grätzl

Die Schule ist privat finanziert, gemeinnützig organisiert und wird als Verein geführt. Gewinne darf es keine geben, alles wird reinvestiert. Ein Teil des Gehalts von Laurin Naisar selbst fließt direkt ins Projekt, ebenso wie private Mittel der Familie. Eltern zahlen derzeit 250 Euro monatlich – zu wenig, um die Lehrerstellen zu finanzieren. „Wir stemmen das aus Leidenschaft“, sagt Naisar. Spenden und Kooperationen sollen die Zukunft absichern.

Dabei will sich die Schule bewusst im Bezirk verankern. Kooperationen mit Vereinen, Seniorenprojekten und auch Flüchtlingsinitiativen sind geplant. „Wir suchen Synergien – je mehr das Bildungszentrum im Grätzl verwoben ist, desto stärker wird die Gemeinschaft“, erklärt Naisar.

Ein Herzensprojekt

Aktuell besuchen 16 Kinder die Mehrstufenklasse, dazu kommen ein Kindergarten mit 60 und ein Hort mit 25 Kindern. Mittelfristig soll die Schule bis zur Oberstufe wachsen und in einer Kooperation mit einer internationalen Schule die internationale Matura ermöglichen. „Wir sind überzeugt, dass Kinder hier nicht nur Wissen mitnehmen, sondern vor allem Begeisterung, Selbstständigkeit und Pflichtbewusstsein“, sagt Naisar. „Das Geld wird kommen – bis dahin finanzieren wir das aus privaten Mitteln.“

Das Vorstandsteam.Bildungszentrum an der Wien/Screenshot