Justiz-Niederlage: Gericht spricht IS-Kämpfer frei – aus Mangel an Beweisen
An der Gefährlichkeit des Angeklagten besteht kein Zweifel: Der Tschetschene (27) ist wegen mehrerer Gewalttaten vorbestraft. Zuletzt wurde er im Sommer 2022 für den Messerangriff auf einen Justizwachebeamten verurteilt. IS-Propaganda fand man auf seinem Handy. Dass er 2014 für den IS nach Syrien gereist ist, konnte aber nicht bewiesen werden.
Ein mutmaßlicher IS-Kämpfer (27) ist am Montag am Wiener Landesgericht im Zweifel vom Vorwurf freigesprochen worden. Der Verdacht: Er soll im Juni 2014 nach Syrien gereist zu sein, sich dort dem “Islamischen Staat” (IS) angeschlossen und auf Seite der radikalislamistischen Terror-Miliz gekämpft zu haben. Einem Schöffensenat fehlten am Ende eindeutige Beweise für den Aufenthalt des Angeklagten auf dem Kampfgebiet des IS. Der Freispruch ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab.
Gericht glaubte dem Angeklagten seine Geschichte nicht
Der Freispruch sei nicht erfolgt, “weil wir Ihnen die nette Geschichte mit der türkischen Freundin geglaubt haben”, begründete die vorsitzende Richterin die Entscheidung. Maßgeblich dafür sei zum einen der Zeuge gewesen, der seine ursprünglich belastenden Angaben nicht mehr aufrechterhalten hätte und der “ein Drogenproblem” habe, was hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit eine Rolle spiele.
Zum anderen verwies die Richterin auf Unstimmigkeiten auf einem dem FBI zugespielten Datenblatt der IS-Grenzpolizei. Da gebe es bezüglich der Person des Angeklagten “grobe Abweichungen zu den Daten und zur Schreibweise des Namens”, hielt die Richterin fest. Die Beweislage habe für eine Verurteilung “halt nicht gereicht. Aber es war knapp”, bemerkte sie abschließend.
Höchste Sicherheitsvorkehrungen während Prozess
Der Prozess war unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen über die Bühne gegangen. Der 27-Jährige gilt als hochgefährlich, nachdem er während seiner letzten Strafhaft – er weist insgesamt sieben Verurteilungen auf – in der Justizanstalt (JA) Stein einen Justizwachebeamten mit einem Buttermesser attackiert und dabei “Allahu akbar” (“Gott ist groß”, Anm.) gerufen hatte. Der Angeklagte wurde mit Hand- und Fußfesseln sowie einem um die Leibesmitte fixierten Bauchgurt in den Gerichtssaal gebracht, die Fußfesseln wurden ihm während der gesamten Verhandlung nicht abgenommen.
Direkt neben dem Sessel, auf dem er Platz nahm, postierten sich in einer Entfernung von nur wenigen Zentimetern drei bewaffnete, maskierte und mit Schutzhelmen versehene Spezialkräfte der Justizwache. Drei weitere Beamte derselben Spezialeinheit befanden sich zusätzlich im Raum, darüber hinaus waren etliche Polizeibeamte in Uniform und zivil sowie Verfassungsschützer zugegen. Auch am Gang vor dem Saal hatten Polizisten und Justizwachebeamte mit Sturmgewehren bzw. Schusswaffen im Holster Stellung bezogen.
Zweiter Anlauf aufgrund neuer Beweismittel
Es handelte sich um den zweiten Prozess gegen den angeblich nach Österreich zurückgekehrten IS-Kämpfer. Er war schon in der ersten Verhandlung im September 2018 vom Vorwurf freigesprochen worden, im Juni 2014 über Bulgarien und die Türkei nach Syrien gereist zu sein und sich dort als Kämpfer für den IS betätigt zu haben. Aufgrund neuer Beweismittel bekam die Staatsanwaltschaft jedoch eine Wiederaufnahme bewilligt, sodass sich der gebürtige Tschetschene nun ein zweites Mal wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation im Grauen Haus verantworten musste.
Der 27-jährige Tschetschene sitzt seit seinem 19. Lebensjahr durchgehend in Strafhaft, gegenwärtig in der JA Graz-Karlau. Er ist beinahe ausschließlich wegen Gewalttaten vorbestraft, zuletzt wurde er im Sommer 2022 für den Messerangriff auf einen Justizwachebeamten in der JA Stein zu sechs Jahren Haft verurteilt. Während seiner Inhaftierung sympathisierte der 27-Jährige mit dem IS und legte das entsprechende Gedankengut an den Tag. Auf seinem Handy wurden IS-Propagandamaterial und Foltervideos sichergestellt. In seiner Zelle in der Justizanstalt Graz-Karlau zerriss er eine Bettdecke und bastelte daraus eine Puppe, die eine Maschinenpistole in der Hand hielt. Am Fußboden seiner Zelle brachte er den Schriftzug “Jihad” an. Das sei “schräg”, räumte Verteidiger Kreiner ein. Sein Mandant habe “provoziert”, das sei “Ausdruck seiner Verzweiflung” gewesen.
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