„Migranten oft besser gebildet als Österreicher“ – wirklich?
Eine österreichische Tageszeitung titelte: „Migranten oft besser gebildet als Österreicher“. Sie beruft sich auf OECD-Zahlen, mit denen man – so scheint es – die Sorgen über Massenzuwanderung weglächeln kann. Doch sobald man genauer hinschaut, vor allem bei Asylwerbern, zeigt sich kein Bildungswunder, sondern ein deutliches Gefälle.
Ist die Sorge um geringe Qualifikation von Zuwanderern am Ende übertrieben? Nun bei Deutschen nicht, doch um die sorgen sich die Österreicher auch nicht.APA/dpa/Bernd Thissen
Umfragen zeigen: Die hohe Zuwanderung – vor allem durch Asylwerber – verunsichert viele Menschen. 70 Prozent bewerten die Integration insgesamt als „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“, wie der Integrationsbarometer des Österreichischen Integrationsfonds ermittelte. Ebenso viele finden, dass Österreich den Zuzug von Flüchtlingen und Asylsuchenden derzeit nicht gut bewältigt. „Die Österreicher sehen Zuwanderung und Integration seit längerer Zeit mit Sorge“, kommentierte Meinungsforscher Peter Hajek im Kurier.
Tatsächlich sind die Zahlen eindrucksvoll: Jeder fünfte Mensch in Österreich hat bereits eine ausländische Staatsbürgerschaft – ein historisches Allzeithoch. Vor zehn Jahren waren es noch 15 Prozent. Besonders Afghanen und Syrer wuchsen rasant: auf 105.000 Syrer und 51.000 Afghanen zu Jahresbeginn.
Dazu kommt ein weiterer Rekord: Allein 112.000 Asylanträge wurden zwischen 2021 und 2023 gestellt. Das entspricht in etwa der Bevölkerungsgröße von Linz.
Angst übertrieben?
Aber ist die Sorge vor fremdsprachigen Schülern, die heimische Lehrer überfordern, und vor Menschen mit geringer Bildung, die kaum Chancen am Arbeitsmarkt haben, wirklich begründet? Oder ist sie übertrieben? Wenn es nach einer Schlagzeile des Standard geht, lautet die Antwort offenbar: Ja, völlig übertrieben.
Dort heißt es nämlich: „OECD-Bericht: Migranten oft besser gebildet als Österreicher.“ Bebildert wird der Artikel auf Instagram mit einer aufmerksam aufzeigenden Schülerin mit Kopftuch – die klare Botschaft: Keine Angst, die Neuankömmlinge seien bildungsmäßig unseren Kindern sogar überlegen.
Klingt gut. Klingt beruhigend. Nur: Stimmt es?
Was die OECD wirklich sagt
Viele Wiener Pflichtschullehrer dürften beim Lesen dieser Stories wohl kurz innehalten, tief durchatmen – und sich fragen, in welchem Paralleluniversum der OECD-Report gedruckt wurde. Auch Mitarbeiter beim AMS werden sich verwundert die Augen reiben: Die Arbeitslosigkeit unter Afghanen, Syrern und Irakern ist nämlich besonders hoch, was fast immer mit niedrigen Bildungsabschlüssen zusammenhängt. Während sie bei Österreichern bei 5,7 Prozent liegt, beträgt sie bei Afghanen, Syrern und Irakern 31,3 Prozent – also mehr als das Vierfache.
Im APA-Text, auf den sich der Standard stützt, heißt es zum OECD-Papier: „Zuwanderer in Österreich sind überdurchschnittlich gut ausgebildet, doch werden sie oft unter ihrer Qualifikation eingesetzt – etwa wegen nicht anerkannter ausländischer Abschlüsse.“ Stimmt also?
Erst ein paar Absätze später folgt die entscheidende Einschränkung: „Der Anteil der Zuwanderungsbevölkerung mit hohem Bildungsniveau liegt sogar über dem der im Inland geborenen Bevölkerung, was in erster Linie EU-Bürgern zu verdanken ist.“ Aha. Gemeint sind vor allem Deutsche, Italiener, Franzosen oder Niederländer – also jene Gruppen, die tatsächlich massenhaft Matura- und Universitätsabschlüsse mitbringen.
Mit anderen Worten: Die hohe Bildungsquote der Migranten ist ein EU-Effekt. Nicht ein Syrien-Effekt. Nicht ein Afghanistan-Effekt.
Schulrealität: Die große Lücke zwischen Österreichern und Migrantenkindern
Wie sieht die Realität bei Syrern, Irakern und Afghanen aus? Die Antworten liefert der Integrationsfonds auf Basis von Zahlen der Statistik Austria.
In der zehnten Schulstufe besucht in Österreich insgesamt fast die Hälfte der Jugendlichen eine AHS oder BHS: 23,1 Prozent gehen in die AHS-Oberstufe, 27,1 Prozent in eine berufsbildende höhere Schule, 38,5 Prozent in die Berufsschule. Ganz anders bei Schülern aus Syrien, Afghanistan und Irak: Nur 17 Prozent schaffen es in die AHS, dafür landen 53,8 Prozent in der Berufsschule.
Die große Mehrheit dieser Gruppe kommt also nicht im höheren Schulwesen an, sondern im Niedrigqualifikationsbereich – von „besser gebildet“ kann hier keine Rede sein.
Universitäten: Wo das Bildungswunder endgültig bricht
An den Universitäten setzt sich das Bild fort. Unter den ausländischen ordentlichen Studenten dominieren 2023/24 klare Bildungsgewinner: 34.672 kommen aus Deutschland, 9.043 aus Italien, rund 7.000 aus osteuropäischen EU-Staaten. Syrer, Iraker und Afghanen stellen demgegenüber gerade einmal 877 Studenten – das sind 0,8 Prozent aller ausländischen Studierenden, obwohl inzwischen Hunderttausende Menschen aus diesen Ländern in Österreich leben.
Auch hier also kein Hinweis auf ein verborgenes Bildungswunder, eher auf eine Statistik, die manche lieber nicht bis zur letzten Zeile lesen.
Was stimmt – und was nicht
Ja, Migranten sind „oft besser gebildet“ – wenn man nur auf Deutsche und Italiener schaut. Diese Gruppen heben den OECD-Schnitt massiv an.
Nein, die große Zuwanderungsgruppe der vergangenen Jahre – Syrien, Afghanistan und Irak – ist im Durchschnitt nicht besser gebildet als Österreicher. Die Statistiken zeigen hintere Plätze bei den Schulformen, fast keine Uni-Studenten und eine extrem hohe Arbeitslosigkeit.
Kurz: Die Schlagzeile stimmt – aber nur, wenn man genau jene Gruppen ignoriert, über die sich die Menschen Sorgen machen. Statistisch ist sie wahr, doch die Sorgen kann man damit nicht ausräumen.
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