Skandal um Ballweg-Haft: Neue Enthüllungen belasten Böhmermann und Behörden
Neun Monate saß Michael Ballweg in Haft. Recherchen von Apollo und NIUS zeigen: Ein Brief, eine ZDF-Sendung und interne Mails setzten eine Lawine in Gang. Exxpress hat das wichtigste für Sie zusammengefasst:
Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen: Michael Ballweg, Gründer der „Querdenken“-Bewegung, wurde im Juni 2022 verhaftet und saß neun Monate in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft brachen vor Gericht schließlich in sich zusammen. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Eine Recherche von Apollo News zeigt nun, wie eng das Zusammenspiel zwischen einem Anwalt, der Redaktion von Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ und Behörden in Baden-Württemberg gewesen sein soll.
Der Startschuss: das Böhmermann-Netzwerk
Laut Apollo News begann die Lawine Ende 2020 mit einem Brief des Juristen Chan-jo Jun. Jun, der später von den Grünen als ehrenamtlicher Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof benannt wurde und als scharfer Kritiker der Corona-Proteste galt, wandte sich im Oktober 2020 an das Finanzamt Stuttgart I. Er stellte die Frage, ob Ballwegs Organisation „Querdenken 711“ ihre Einnahmen korrekt versteuere, und erwähnte ausdrücklich eine mögliche Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft.
Dieses Schreiben gelangte wenig später auch in die Hände von Jan Böhmermanns Redaktion. Gemeinsam mit einem Journalisten von Netzpolitik.org wurde recherchiert. Am 11. Dezember 2020 erhielt der Leiter des Finanzamts Stuttgart I eine E-Mail des Netzpolitik-Reporters – mit Juns Brief im Anhang. Die Mail machte die runde, aber der Sachverhalt war bis zu diesem Zeitpunkt dem Finanzamt Stuttgart II nicht geläufig.
Der Amtsleiter zeigte sich alarmiert: „OFD und FM sind wegen des Falles sehr alarmiert. Ich bitte um schnellstmögliche Rückmeldung, falls jemand was weiß.“ FM steht für das grün geführte Finanzministerium – OFD ist die Oberfinanzdirektion. Offiziell dürfe er wegen des Steuergeheimnisses dem Journalisten keine Auskunft geben, schrieb er, man müsse aber prüfen, ob „weitergehend tätig“ zu werden sei.
Noch am selben Vormittag kam die entscheidende Nachricht: Der Leiter des Finanzamts Stuttgart II, wo die Steuerfahndung angesiedelt ist, meldete telefonisch, dass das Schreiben dort eingegangen sei. Damit war die zuständige Ermittlungsbehörde involviert. Dieses Detail musste und sollte streng geheim bleiben, so zu mindest laut interner Mails es Amtsleiter.
Böhmermann wusste aber mehr:
Nur wenige Tage später, am 18. Dezember 2020, griff Böhmermann den Fall in seiner ZDF-Sendung auf. Vor laufender Kamera erklärte er grinsend: „Ey Michael Ballweg, das Finanzamt Stuttgart II lässt ausrichten: Du sollst bitte mal zurückrufen. Dringend. Es geht um was Ernstes.“
Brisant: Jun hatte seinen Brief ursprünglich an Stuttgart I adressiert. Öffentlich hätte niemand wissen dürfen, dass das Finanzamt Stuttgart II, also die Steuerfahndung, längst befasst war. Woher wusste Böhmermann das also?
Die Wirkung der Sendung war enorm. Beim Finanzamt gingen zahlreiche Hinweise von ZDF-Zuschauern ein. Sogar die grüne Staatssekretärin Gisela Splett leitete Nachrichten intern weiter. Damit nahm der Druck auf die Behörden massiv zu.
Der grüne Faden vor Gericht
Wie unser Partnerportal NIUS berichtet, zog sich der politische Einfluss bis in den Gerichtssaal. Kurz nach den ersten Bewegungen im Finanzministerium – ausgelöst durch die E-Mails und den öffentlichen Druck nach Böhmermanns ZDF-Sendung – führte Innenminister Thomas Strobl (CDU) beim baden-württembergischen Verfassungsschutz eine neue Kategorie ein: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Sie war maßgeschneidert für die Querdenken-Bewegung, die schon seit Dezember 2020 beobachtet wurde.
Im Prozess gegen Ballweg trat neben der leitenden Staatsanwältin Dr. Franziska Gräfe zunächst auch Dr. Christian Schnabel als Vertreter der Anklage auf – ein Jurist mit Grünen-Vergangenheit. Wie NIUS aufdeckte, hatte Schnabel früher für die Grünen in Baden-Württemberg kandidiert. Kurz nach der Veröffentlichung dieser Information wurde er ausgetauscht und verschwand aus dem Verfahren. Fragen von NIUS zu den Hintergründen seines Ausscheidens blieben unbeantwortet.
Viele offene Fragen
Eines wird nun deutlich: Ohne die Anfrage des Journalisten, der für Jan Böhmermann recherchierte, und ohne die darauffolgende Verdachtsberichterstattung im Fernsehen wäre der Brief von Chan-jo Jun wohl nie aus den Akten geholt worden. Erst die ZDF-Sendung machte den Fall öffentlich brisant – kurz darauf setzten die internen Mails im Finanzministerium ein, die zeigen, wie groß der Druck plötzlich war. Von da an liefen die Ermittlungen mit einem Eifer, der den Verdacht nährt: Das Ergebnis war politisch längst vorgezeichnet.
Eine Anfrage von Apollo ließ das ZDF unbeantwortet, der beteiligte Netzpolitik-Journalist verwies auf Quellenschutz. Ballwegs Anwälte wollten im Prozess Klarheit schaffen und beantragten, Böhmermann als Zeugen zu laden. Damit hätte er öffentlich aussagen müssen. Doch das Landgericht Stuttgart lehnte ab – mit der bemerkenswerten Begründung, die Aussagen des TV-Moderators seien „satirisch“ zu verstehen, wie Ballwegs Verteidiger Ralf Ludwig erklärte.
So bleibt der bittere Beigeschmack: Ein Mann saß neun Monate in Haft, während entscheidende Fragen bis heute unbeantwortet sind.
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