Der IS feiert den antisemitischen Terroranschlag von Bondi Beach in Sydney offen als Erfolg. In seiner wöchentlichen Publikation Al-Naba’ bezeichnet die Terrororganisation die Täter – ein Vater-Sohn-Duo – als „Helden“, „Löwen“ und den „Stolz Sydneys“. 15 Menschen wurden bei dem Angriff auf eine Chanukka-Feier getötet, 40 verletzt.

Vater und Sohn: Sajid und Naveed Akram haben bei der Chanukka-Feier in Bondi Beach auf die Menge geschossen.APA/AFP/NSW Courts/Handout

Australiens Premierminister Anthony Albanese erklärte, vieles deute darauf hin, dass die Täter durch IS-Propaganda inspiriert worden seien. Nach Angaben der Ermittler agierten sie offenbar als Einzeltäter, ohne nachweisbare Einbindung in eine größere Terrorzelle.

Blut zählt – nicht das Bekennerschreiben

Genau das verkauft der IS nun als strategischen Durchbruch. In seinem Leitartikel erklärt die Terrororganisation, es spiele keine Rolle, ob ein Anschlag offiziell beansprucht, nur implizit gelobt oder bewusst verschwiegen werde. Verdacht und Zuschreibung seien ohnehin garantiert.

Wörtlich heißt es: „Keine Operation, die vom Islamischen Staat im Kernland der Ungläubigen durchgeführt wurde, ist der Verdächtigung [einer Verbindung zum IS] und dem Vorwurf des Verrats entgangen – ganz gleich, ob der Islamische Staat die Verantwortung offiziell übernahm, sie implizit lobte oder bewusst schwieg und den Feind verwirrt und zögernd zurückließ.“

Porträt der zehnjährigen Matilda bei einer Mahnwache in Sydney – sie wurde beim Anschlag getötet.APA/AFP/Saeed KHAN

Für den IS ist das kein Makel, sondern Teil der Methode. Ideologie genügt. Wer im Sinne der Propaganda handelt, erfüllt den Auftrag – ohne Befehlskette, ohne Bekennerschreiben. Punkt. Und der Text droht bereits mit der nächsten Welle: Er ruft zu weiteren Anschlägen in Europa auf und nennt explizit Belgien.

Terror ohne Befehlskette – genau das ist der Plan

In seinem Leitartikel macht der IS unmissverständlich klar: Klassische Steuerung, konkrete Befehle oder formale Loyalitätsbekundungen seien überholt. Moderne Attentäter müssten lediglich die sogenannte „prophetische Methodik“ anwenden – gezielte Angriffe auf jüdische oder christliche Versammlungen, bevorzugt an religiösen Feiertagen, mit maximaler Wirkung und minimalen Spuren.

Der Erfolg eines Anschlags stehe über jeder Dokumentation. Ob ein Täter seine Loyalität sichtbar hinterlasse oder nicht, sei nebensächlich. Der IS erklärt offen, sein Name sei ohnehin „eingraviert“ in jede Tat, die seiner Ideologie folge – durch die Methode und durch das vergossene Blut.

Gerichtsbild: Selbstgemalte IS-Flagge im Auto von Naveed Akram.APA/AFP/NSW Courts/Handout

Dabei wird die Gewalt bewusst entgrenzt. Der Leitartikel betont ausdrücklich, es sei unerheblich, „ob die Angreifer [IS-]Anleitung und Unterstützung erhielten oder ein Produkt seiner Aufwiegelung und Ideologie waren, und unabhängig davon, ob sie Apostaten, Kreuzfahrer oder sogar die verfluchten Juden ins Visier nahmen.“ Und weiter: „All eure heroischen Taten, oh Fremde, werden dem Pöbel und den Massen nicht gefallen.“

Damit wird Terror von konkreten Strukturen gelöst und vollständig ideologisiert. Es gibt keine Zellen mehr, die man zerschlagen kann – nur noch fanatisierte Täter, die man oft erst erkennt, wenn es zu spät ist.

Angehörige nehmen Abschied von Rabbi Eli Schlanger bei der Beerdigung in Sydney.APA/AFP/POOL/Kate Geraghty

Online-Aufwiegelung statt Terrornetzwerke

Der IS beschreibt seine Strategie als effizient, ressourcenschonend und schwer zu bekämpfen. Über digitale Propaganda würden Unterstützer weltweit mobilisiert, Hindernisse umgangen und Sicherheitsbehörden in einen Zermürbungskrieg gezwungen. Der Anschlag von Sydney dient dabei als Beweisstück: Zwei ideologisch radikalisierte Täter, keine formale Mitgliedschaft, keine sichtbare Steuerung – aber maximale Wirkung.

Polizei patrouilliert zu Weihnachten am Bondi Beach – nach dem Anschlag vom 14. Dezember.APA/AFP/DAVID GRAY

Nach Berichten der internationalen Nachrichtenagentur Reuters fanden Ermittler bei den Tätern Hinweise auf IS-Symbolik. Kontakte oder Reisen wurden geprüft, ohne dass eine direkte operative Anbindung nachgewiesen werden konnte.

„Juden bluten auf den Straßen Australiens“

Besonders drastisch ist die Sprache, mit der der IS den Anschlag verherrlicht. In dem Text heißt es, Juden würden nun „auf den Straßen Australiens bluten“, Chanukka sei in ein „Begräbnis“ verwandelt worden. Mord wird nicht nur gerechtfertigt, sondern als religiöser Erfolg gefeiert.

Sargträger bei der Beerdigung von Boris und Sofia Gurman in Sydney.APA/AFP/Saeed KHAN

Gleichzeitig brandmarkt der IS jeden Muslim, der Juden schützt oder sich dem Terror widersetzt, als Verräter. Wer Leben rettet, gilt als Feind. Wer tötet, als Vorbild. Es ist ein offen formulierter antisemitischer Vernichtungswille – strategisch, ideologisch und propagandistisch ausgearbeitet.

Europa im Fadenkreuz: Aufruf zu Anschlägen in Belgien

Besonders brisant ist der europäische Teil des Leitartikels. Der IS ruft muslimische Flüchtlinge in Belgien explizit dazu auf, Juden und Christen anzugreifen – „in jeder Straße“. Belgien wird als von Flüchtlingen „überflutet“ beschrieben, die laufende Feiertagssaison als günstiger Zeitpunkt.

Synagogen und Kirchen werden ausdrücklich als legitime Ziele genannt. Der Text stellt klar: Europa soll folgen. Der Terror von Sydney ist kein Abschluss, sondern ein Auftakt.

Gedenkfeier für die Opfer des Anschlags am Bondi Beach in Sydney.APA/AFP/Saeed KHAN

Digitaler Resonanzraum nach dem Anschlag

Wie die britische Tageszeitung The Guardian berichtet, verbreiteten sich nach dem Anschlag zahlreiche Postings in sozialen Medien, die das Massaker verherrlichten oder ideologisch aufgriffen. Mehrere dieser Beiträge seien über einen längeren Zeitraum sichtbar geblieben, bevor sie entfernt wurden; einzelne Konten seien an Behörden gemeldet worden.

Das Bild ist eindeutig: Juden bleiben ein zentrales Ziel, Christen werden ausdrücklich ebenfalls genannt, Europa rückt sichtbar ins Visier. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob diese Strategie bekannt ist. Die Frage ist, warum westliche Gesellschaften weiterhin von Einzelfällen sprechen – obwohl der Terror selbst längst von einer neuen Phase spricht.