Terrornacht von Wien: Erste Anklage gegen jungen Dschihadisten (25)
Neun Monate nach der Nacht, in der ein bis an die Zähne bewaffneter Terrorist in der Wiener Innenstadt einen Anschlag verübte, haben die weiterführenden Ermittlungen nun zu einer handfesten Anklage geführt: Einem Tschetschenen (25) wird vorgeworfen, in St. Pölten an konspirativen Treffen radikaler Islamisten teilgenommen und Terrorpropaganda verbreitet zu haben.
Die Erinnerungen an den Terroranschlag in der Wiener Innenstadt von Anfang November 2020 sind auch neun Monate nach der Wahnsinnstat noch frisch, und sie flammen mit der ersten Anklage in dem Fall nun erneut wieder auf: Die seit November unermüdlich durchlaufenden Ermittlungen rund um das Terrornetzwerk des Attentäters, der schließlich von zwei Cobra-Beamten ausgeschaltet wurde, haben nämlich zu einem jungen Tschetschenen geführt, dem nun der Prozess gemacht werden soll. Der 25-jährige Ali K. befindet sich seit der Tatnacht in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Beweise für geheime Radikalisierungstreffen mehrerer IS-Anhänger in St.Pölten
Wie der “Standard” berichtet, weiß die Staatsanwaltschaft von Treffen mehrerer IS-Anhänger, die “zumindest” ab dem Sommer 2019 stattgefunden hätten. Diese hätten den Teilnehmern dazu gedient, “ihre radikalislamistische IS-Gesinnung und Überzeugung” zu teilen und zu bekräftigen sowie andere Anwesende zu beeinflussen und zu radikalisieren. An diesen konspirativen Treffen soll der Attentäter des 2. November 2020, K. F., mindestens zweimal teilgenommen hatten. Er wurde in der Tatnacht von der Polizei erschossen.
Für diese Zusammenkünfte soll ein weiterer Beschuldigter mit den Initialen A. G., zu dem der Erstangeklagte Ali K. eine enge Verbindung haben soll und der als Schlüsselfigur in der österreichischen IS-Szene gilt, ab Juli 2020 sogar eine Wohnung in der Birkengasse in St.Pölten angemietet haben. Nach der Terrornacht wurde ebendort “eine umfangreiche Bibliothek” gefunden, deren Inhalte eine “staats- und demokratiefeindliche Gesinnung widerspiegeln”, so der Bericht der Staatsanwaltschaft. Ali K. soll einen der insgesamt drei Wohnungsschlüssel besessen und “dauerhaft” sein Auto vor der Wohnung geparkt haben. In der Wohnung war es auch, wo regelmäßig jenes “Sonntagstreffen” stattfand, dass der spätere Attentäter am Wochenende vor dem Anschlag besucht haben soll.
Behördenpanne? Radikale Jihadisten waren amtsbekannt
Der Erstangeklagte Ali K. verweigerte großteils die Aussage, gab aber zu, bis zu zehnmal in dieser Wohnung gewesen zu sein – allerdings nur zum Beten und Essen. Andere Zeugen widersprechen dieser Behauptung, zudem soll K. von 2015 bis zur Terrornacht mehrfach IS-Propaganda in Gruppenchats auf Whatsapp geteilt haben. Der Beweis: direkt am Tag des Anschlags schickte er einem Freund ein Video mit einem sehr belastenden Text: “Es ist traurig, dass viele Menschen Muslimen nicht vertrauen. Und die Medien über Muslime immer schlecht berichten. Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber ich schon.” Ali K. wurde in den Stunden nach dem Anschlag als Kontaktperson von K. F. identifiziert und verhaftet.
An den Treffen in St.Pölten nahmen offenbar amtsbekannte Jihadisten teil, manche von ihnen waren sogar bereits verurteilt worden. Die Männer radikalisierten sich gegenseitig und bestärkten sich, doch den Verfassungsschutzbehörden fiel dies offenbar nicht auf. Diese Ermittlungsergebnisse lassen auch den Ruf nach Behördenpannen einmal mehr laut aufschreien.
Prozess gegen Ali K. verzögert sich
Am Donnerstag ist die Frist für einen Einspruch abgelaufen, das Verfahren gegen Ali K. verzögert sich aufgrund von Unklarheiten, welches Gericht für den Fall zuständig ist, allerdings. Laut Dem Anwalt des Anhgeklagten ist nämlich unklar, ob St.Pölten oder Wien als “erster Tatort” gilt – je nachdem wird auch entschieden, welches Gericht für den Fall zuständig ist.
Auf Nachfrage des “Standard”, der die Ermittlungslage in einem Bericht aus Eigenrecherche detailreich aufgerollt hat, bestätigte das Oberlandesgericht, dass aktuell eine Zuständigkeitsfrage und auch eine Haftbeschwerde in diesem Fall aufliegen. Nachdem es auch um Treffen an anderen Orten gehe, sei der zuständige Richter zur Entscheidung gekommen, das jenes Landesgericht zuständig ist, wo auch die ermittelnde Behörde sitzt, so das Landesgericht St. Pölten. Dass diese Fragen erst geklärt werden müssen, ist allerdings eine reine Formalität und nicht weiter ungewöhnlich oder gar einzigartig für diesen Fall.
Zweites Verfahren gegen Ali K. noch im Laufen
Dieses erste Verfahren gegen Ali K. ist allerdings nicht das einzige, das gegen den jungen Tschetschenen läuft. Tatsächlich läuft noch ein separates Ermittlungsverfahren rund um den Terroranschlag gegen K., dieses ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Im Juli 2020 soll es nämlich ein mehrtägiges Treffen deutscher, schweizerischer und österreichischer Islamisten in Wien gegeben haben, das von den Behörden auf Wunsch der deutschen Kollegen observiert wurde und an dem neben Ali K. auch der spätere Attentäter K. F. sowie IS-Schlüsselperson A. G. teilgenommen hat. Es gilt die Unschuldsvermutung gegen alle genannten Personen.
Kommentare