Ein Beitrag von Markus Brandstetter:

Die deutsche Wirtschaft wächst seit fünf Jahren nicht mehr. Das reale, um die Inflation bereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2020 bei 3.126 Mrd. Euro und wird in diesem Jahr bei 3.267 Mrd. Euro liegen. Über fünf Jahre hinweg ist die deutsche Wirtschaft pro Jahr real um 0,16 Prozent gewachsen. So etwas nennt man Nullwachstum. Wenn wir das BIP mit einem Kuchen vergleichen, dann ist dieser Kuchen in den letzten fünf Jahren nicht größer geworden, sondern exakt gleich groß geblieben.

Dafür ist im selben Zeitraum etwas anderes gewachsen, nämlich die Staatsausgaben. Und zwar ganz erheblich. Die haben sich zwischen 2020 und 2025 um 18 Prozent erhöht (von 1.693 Mrd. Euro auf 1.996 Mrd. Euro). Besonders stark gestiegen sind die Bundesschulden (von 1.303 Mrd. Euro auf 1.707 Mrd. Euro, plus 31 Prozent), die Verteidigungsausgaben (von 45,2 Mrd. Euro auf 86,4 Mrd. Euro, plus 91,1 Prozent), der Rentenzuschuss des Bundes (von 75,3 Mrd. Euro auf 100,2 Mrd. Euro, plus 33,1 Prozent), die Sozialausgaben insgesamt (von 1.115 Mrd. Euro auf 1.400 Mrd. Euro, plus 25,6 Prozent) und davon wiederum besonders heftig das Bürgergeld beziehungsweise die Grundsicherung (von 35,4 Mrd. Euro auf 50,3 Mrd. Euro, plus 42,1 Prozent).

OECD.Stat/

Der Staat greift ein immer größeres Stück vom Kuchen

Wenn wir beim Bild vom BIP als einem riesigen Kuchen bleiben, der jedes Jahr von der Privatwirtschaft und dem Staat (die Staatsquote am BIP liegt bei 49,5 Prozent) gemeinsam gebacken wird, dann ist dieser Kuchen in den letzten fünf Jahren zwar nicht größer geworden – einzelne Esser jedoch schneiden sich auf Kosten der anderen davon immer größere Stücke ab. Möglich ist das alles nur, weil die Kosten für den Kuchen schon seit vielen Jahren von seinem Hauptauftraggeber, dem Staat, zu mehr als der Hälfte (exakt 63,8 Prozent) mit Schulden finanziert werden.

Was würde nun passieren, wenn dieser Kuchen auch in den nächsten Jahren nicht mehr wachsen, sondern genauso groß bleiben würde, wie er heute ist (und es bereits 2020 war)? Anders ausgedrückt: Was passiert mit Deutschland, wenn die deutsche Wirtschaft weitere fünf Jahre oder sogar zehn Jahre lang nicht mehr wächst, sondern auf der Stelle tritt?

Nominales Wachstum ist kein reales Wachstum

Bevor wir diese Frage beantworten, ist ein Hinweis angebracht: Wir reden hier immer vom realen Wachstum, also dem Wachstum, aus dem die Inflation, sprich die jährliche Preissteigerung, wieder herausgerechnet wurde. Regierung, ARD und ZDF verbreiten gerne Zahlen, in denen das sogenannte nominale Wirtschaftswachstum genannt wird. Nominal wächst die Wirtschaft immer, weil alles immer teurer wird. Real wächst sie nur dann, wenn die Summe der produzierten Güter und Dienstleistungen steigt – und nicht nur deren Preise. Nominal ist das deutsche BIP von 2020 bis 2025 im Schnitt um 4,03 Prozent gewachsen, real nur um 0,16 Prozent. Zwischen beiden Werten liegen also Welten. Warum ist jetzt der nominale Wert so viel höher?

Die Unterschiede von realem und nominalem BIP kommen so zustande: Bei der Berechnung des BIP werden alle während eines Jahres in Deutschland erzeugten Produkte und Dienstleistungen mit Marktpreisen multipliziert. Beim nominalen BIP nimmt man dafür die Preise des Jahres, in dem das Produkt oder die Dienstleistung erzeugt wurde. Beim realen BIP hingegen nutzt man die Preise eines festen Zeitpunkts (dem sogenannten Basisjahr), um die reine Veränderung der Produktion ohne den Einfluss von Preisschwankungen bzw. Inflation zu messen. Seit einer Generalrevision im Jahr 2024 berechnet das Statistische Bundesamt Inflation und BIP auf der Basis des Jahres 2021. (Für Spezialisten: Genauer gesagt verwendet das Statistische Bundesamt heute einen Kettenindex, bei dem jedes Jahr die Preise des Vorjahres als Basis genommen und die Veränderungen verkettet werden – aber der Effekt ist derselbe: Die Inflation wird herausgerechnet.)

Experte: Ohne Strukturreformen kippt das Wachstum ins Negative

Zurück zu unserer Frage: Was würde passieren, wenn das Wachstum der deutschen Wirtschaft weiter stagnierte, wenn es also auch in den nächsten fünf, zehn oder gar fünfzehn Jahren kein Wachstum mehr gäbe? So etwas ist in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie vorgekommen, trotzdem ist diese Frage keineswegs akademisch. Timo Wollmershäuser, der Prognose-Papst vom Münchner ifo-Institut, hält fünfzehn Jahre Stagnation für durchaus möglich: „Wenn wir keine Strukturreformen und keinen Zuwachs beim Arbeitskräftepotenzial bekommen, dann schrumpft das Potenzialwachstum bis Ende des Jahrzehnts gegen Null und kippt in den Dreißigerjahren ins Negative.“

Sozialausgaben werden weiter steigen

Aber ganz egal, ob das Wachstum in Deutschland irgendwann wieder anzieht und wie lange es bis dahin dauert, eines steht jetzt schon fest: Die Ausgaben steigen auf jeden Fall. Auch wenn der Kuchen nie mehr größer würde, die Esser werden immer mehr und sie verlangen immer größere Stücke. Der Rentenzuschuss des Bundes, die Debatte hatten wir gerade, muss weiter steigen, weil die Deutschen immer älter werden und die Regierung eine Ergänzung des Umlageverfahrens durch eine Aktienrente stur ablehnt. Die Verteidigungsausgaben steigen mit und ohne Ukraine-Krieg, bis sie fünf Prozent vom BIP erreicht haben, weil die Amerikaner das verlangen. Und die Sozialausgaben steigen ohnehin dauerhaft, weil Dauerarbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Migranten auch in den nächsten Jahren nicht weniger werden, aber auch nicht mehr arbeiten werden, da die Jobs, die diese Klientel erledigen kann, ständig abnehmen.

Und was im Hintergrund, wie das Rauschen im Wald, ebenfalls unaufhaltsam zunimmt, ist die Bundesschuld, weil der Haushalt schon lange nicht mehr allein aus den Steuereinnahmen zu finanzieren ist und sich diese Unterdeckung durch das ausbleibende Wachstum zudem weiter verschärfen wird. Wie sieht nun ein Deutschland aus, in dem die Staatsausgaben ständig steigen, die Wirtschaft aber nicht mehr wächst? Kurzantwort: ungemütlich.

Staatsquote und Neuverschuldung werden steigen

Das fängt bei jedem Einzelnen an, weil es bei Nullwachstum weniger zu verteilen gibt. Löhne und Gehälter, aber auch die Renten steigen nicht mehr, die Kaufkraft schwindet, der Wert von Immobilien, Industrie- und Gewerbebetrieben sinkt – breite Schichten der Bevölkerung, insbesondere Rentner und Mieter, verarmen. Durch die nachlassende Wirtschaftsleistung sinkt, trotz kontinuierlicher Steuererhöhungen, das Steueraufkommen, wodurch der ohnehin schon stark belastete Staat weiter unter Druck gerät. Die Ausgaben für Rente, Pflege und Gesundheit einer alternden Gesellschaft explodieren nun ausgerechnet zu jener Zeit, in der dem Staat ohnehin immer weniger Geld zur Verfügung steht.

Deshalb steigt die Staatsquote am BIP deutlich über 50 Prozent, was nicht gut ist, weil der Staat weder innovativ noch produktiv ist und seine Mittel immer stärker in Konsum, sprich Transferzahlungen (Grundsicherung, Rente), und immer weniger in Investitionen (neue Autobahnen, Brücken, Schienenstrecken) steckt. Parallel zur Erhöhung der Staatsquote am BIP wächst die Neuverschuldung kontinuierlich, was dazu führt, dass die Zinszahlungen des Bundes irgendwann so hoch sind wie der Verteidigungshaushalt.

So wird sich die Zinslast in Deutschland in den kommenden Jahren entwickeln.Bundesfinanzministerium, Eckwerte Bundeshaushalt/

Unternehmen wandern ins Ausland

Durch den Verfall der Infrastruktur, die exorbitanten Energiepreise, die hohen Lohnnebenkosten und die Verschlechterung von Schulen und Universitäten gehen mittelmäßige und schlechte Unternehmen in die Insolvenz oder werden billig aufgekauft, während die verbleibenden Spitzenunternehmen und erstmals auch die die großen, innovativen Mittelständler, die sog. „Hidden Champions“, ihre Produktions-, Forschungs- und Designabteilungen zunehmend ins Ausland verlagern. Dadurch steigt die Arbeitslosigkeit der Minderleister, während die klugen Köpfe dorthin ziehen, wo es Wachstum und bessere Chancen gibt, nämlich ins Ausland. All das verstärkt die seit Jahren ohnehin nur mühsam zugekleisterten Spannungen in der Gesellschaft. Die Linke, insbesondere aber die AfD als die neuen Arbeiterparteien gewinnen weiter an Zuspruch, während Grüne, SPD und CDU Wählerstimmen und Einfluss verlieren.

Bevor wir uns fragen, wie realistisch diese dystopische Projektion der deutschen Zukunft ist, werfen wir einen Blick auf die BIP-Prognosen der führenden deutschen Wirtschaftsinstitute, der Wirtschaftsweisen und der Bundesregierung. Die sehen so aus: Laut der Deutschen Bundesbank wird das BIP 2026 (real) um 0,9 Prozent wachsen, laut ifo-Institut um 0,8 Prozent, das IfW Kiel sieht ebenfalls ein Wachstum von 0,8 Prozent, das IW Köln eines von 0,9 Prozent, und der Sachverständigenrat (die Wirtschaftsweisen) ist mit 0,9 Prozent dabei. Nur die Bundesregierung rechnet im Moment noch mit einem höheren Wachstum von 1,3 Prozent – aber was weiß die Bundesregierung schon von der Wirtschaft?

Der BDI erwartet für das laufende Jahr einen Rückgang der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe um zwei Prozent. Damit würde die Industrie bereits das vierte Jahr nacheinander schrumpfen.BDI/

2026 nur Wachstum wegen weniger Feiertage

Wenn wir die Prognose der Bundesregierung ignorieren, dann rechnen alle anderen dieser durchaus reputierlichen Institutionen mit einem Minimalwachstum von unter einem Prozent – und selbst dieser Wert kommt nur zustande, weil das Jahr 2026 zwei Feiertage weniger als 2025 hat (9 statt 11) und damit zwei Arbeitstage mehr (250 statt 248).

Wenn wir jetzt noch einmal zu unserem Bild vom Kuchen zurückkehren, dann stellen wir fest: Im Jahr 2026 wird der Kuchen nach Ansicht der Experten nur minimal größer sein als 2025 (und 2020). Aber die Kuchenesser wollen wie jedes Jahr mehr und immer größere Stücke: 2026 wollen sie einen Kuchen, der statt 503 Mrd. Euro 524 Mrd. Euro kostet, also um 4,2 Prozent teurer ist – während die Wirtschaft, die das alles erwirtschaftet, praktisch nicht wächst.

Nun sagen die Berufsoptimisten unter Volkswirten, Politikern und Fernsehexperten: Aber 2027, da geht es dann wirklich aufwärts, da kehrt das Wachstum zurück. Dann greifen die milliardenschweren Investitionen aus den Sondervermögen für Infrastruktur, Klimaneutralität und die Bundeswehr.

Was aber, wenn das nicht so ist? Was, wenn der Prognoseexperte vom ifo-Institut recht behält? Wenn tatsächlich zehn oder gar fünfzehn verlorene Jahre kommen, praktisch ohne Wachstum? Wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario?

Steuern wie auf eine volle Dekade der Krise zu?

Wir sind hier im Bereich der Spekulation angekommen, denn mathematisch seriös lässt sich eine solche Entwicklung nicht vorhersagen. Deshalb spekuliere ich jetzt einmal – was mir umso leichter fällt, da ich davon überzeugt bin, dass wir auf zehn verlorene Jahre zusteuern. Hier sind neun Gründe, warum die Bundesrepublik vor zehn Jahren ohne echtes Wachstum beim BIP steht:

  • Eine massive Bürokratie: Deutschland ist ein Dickicht aus Gesetzen, Verordnungen, Zuständigkeiten, Berichtspflichten und Genehmigungsvorbehalten, das Investitionen verzögert, Innovationen ausbremst und der Wirtschaft schadet. Laut ifo-Institut gehen Deutschland durch Bürokratie jedes Jahr 145 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung verloren.
  • Keine künstliche Intelligenz: Die künstliche Intelligenz ist die Technologie, die die laufende Kondratieff-Welle trägt und für das Wachstum der nächsten zehn bis zwanzig Jahre sorgt. Deutschland hat auf diesem Gebiet nichts zu bieten: keine Unternehmen, keine Patente, keine Verfahren, keine Technologien, keine Datenzentren und keine Hersteller von Hochleistungschips.
  • Die höchsten Energiepreise der Welt: Deutschland hat die höchsten Preise beim Privatstrom auf der Welt, die dritthöchsten beim Industriestrom und die höchsten Preise beim Industriegas der Welt. Kleinere energieintensive Produktionsbetriebe treibt das in die Insolvenz, alle anderen verlagern ihre Produktion in Länder wie z.B. Polen, wo die Energie viel billiger ist.
  • Eine sterbende Vorzeigeindustrie: Die Autoindustrie ist der singulär wichtigste Industriezweig in Deutschland, aber eine gnadenlose EU-Klimapolitik, der Verlust des chinesischen Absatzmarktes und eine zu hohe Kostenbasis in Deutschland führen dazu, dass die deutsche Lieblingsindustrie auf Jahre hinaus mit niedrigem Wachstum und enttäuschenden Gewinnen, die bald in Verluste übergehen werden, zu kämpfen hat.
  • Eine marode Infrastruktur: Deutschland hat Autobahnen, Straßen, Brücken und einen Schienenverkehr wie ein Drittweltland. Bürokratie, fehlende Mittel, extrem lange Genehmigungsprozesse, klagebegeisterte NGOs und fehlende Mittel sorgen dafür, dass sich daran in den nächsten Jahren trotz schuldenfinanzierter Investitionspakete kaum etwas ändern wird.
  • Eine rapide alternde Bevölkerung: Heute kommen auf 100 Personen im Erwerbsalter 33 Rentner, in zehn Jahren werden es 48 Rentner sein. Das führt nicht nur zu immer größeren Steuerzuschüssen zur Rente, sondern auch zu einem massiven Arbeitskräftemangel, weil pro Jahr fast 900.000 Menschen das Rentenalter erreichen, aber viel weniger in den Beruf eintreten, was dazu führt, dass bereits heute eine Million Stellen unbesetzt sind.
  • Die falschen Migranten: Seit 2015 sind zwei Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert, aber leider die falschen. Gekommen sind nicht junge, leistungsfähige, gut ausgebildete Betriebswirte und Naturwissenschaftler, die hier Tech-Unternehmen gründen, Mehrwert erzeugen und die Wirtschaft voranbringen (wie Chinesen in den USA), sondern hauptsächlich junge Männer aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, fast alle ohne Ausbildung, höheren Schulabschluss oder Studium, die Staat und Gesellschaft nichts bringen, aber viel kosten.
  • Zu wenig Investitionen: Kein Unternehmen investiert in einem Land, in dem die Züge nie mehr pünktlich fahren, wo vor jedem Anbau 32 Genehmigungen einzuholen sind, NGOs mitentscheiden, wer wann wo wie was bauen darf, Ämter und Verwaltung nichts digitalisiert haben und jedes Provinzbauamt Jahre braucht, bis es einem Bauantrag zustimmt. In Südkorea, wo alles längst digital läuft, liegt die Investitionsquote bei 35 Prozent vom BIP, in Deutschland bei 21 Prozent, was bedeutet: Während Südkorea massiv in Zukunftstechnologien investiert (Halbleiter, KI, Batterien), wird in Deutschland der Altbestand mühsam erhalten.
  • Eine der höchsten Steuer- und Abgabenquoten auf der Welt: In Deutschland liegen Steuern und Sozialabgaben zusammen bei rund 41 bis 42 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in den meisten anderen OECD-Staaten liegt der Wert bei etwa 34 Prozent. Das heißt: Von jedem zusätzlich erwirtschafteten Euro fließt in Deutschland deutlich mehr an Staat und Sozialkassen als in den USA, der Schweiz oder Südkorea. Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag belasten Unternehmensgewinne mit rund 33 Prozent, in Irland sind es 12,5 Prozent, in Polen 10 Prozent und in den USA 25 Prozent.

Wer sich diese Fakten anschaut, der merkt sofort: Das sind massive Standortnachteile, die nie weggehen. Selbst wenn zukünftige deutsche Regierungen den Standort Deutschland attraktiver machen möchten – was ich bezweifle –, wird das nicht gelingen, weil wir es hier mit einer über Jahrzehnte gewachsenen Wirtschafts- und Sozialstruktur zu tun haben, die a) keiner abschaffen will und b) es auch niemand könnte, weil das Politik- und Geschäftsmodell der Bundesrepublik vom Grund auf zu ändern wäre.

Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass Deutschland eine lange Phase ohne Wachstum bevorsteht, mit all den zuvor bereits unter dem Stichwort „ungemütlich“ diskutierten Nachteilen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei unserem Partnerportal Nius.