Wie Klimt Geschichte schreibt - und Kahlo vom woken Zeitgeist profitiert
Vor wenigen Tagen wurde in New York das teuerste moderne Kunstwerk verkauft, das jemals bei einer Auktion versteigert wurde. Es handelt sich um das Bildnis Elisabeth Lederer des österreichischen Malers Gustav Klimt (1862–1918). Die Taxe lag bei 236,4 Millionen US-Dollar (ca. 205,7 Millionen Euro), ein Preis, den kein Picasso, kein van Gogh und kein Andy Warhol bis jetzt erreicht hat.
Kommentar von Markus Brandstetter:
Allein Leonardo da Vincis Salvator Mundi war mit einem Auktionsrekord von 450 Millionen US-Dollar (ca. 391,5 Millionen Euro) überhaupt jemals teurer – aber das war eben auch ein echter Leonardo. Ein Österreicher und ein Mann dazu, könnte man sagen, hat es der ganzen Welt wieder einmal gezeigt. Was jetzt aber nicht so überraschend ist, da es ja eine ganze Menge von Männern aus Österreich gibt, die der Welt seit vielen Jahren beweisen, was dieses kleine Land und seine Bewohner draufhaben. Mir fallen da noch ein: Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Strauss II, Gustav Mahler und natürlich Falco.
Kurz zuvor Rekordpreis für Kahlo-Gemälde
Klimts riesengroßes (180 × 130 cm) und wunderschönes Meisterwerk war aber nicht das einzige Gemälde, das in den letzten Tagen zu einem Rekordpreis versteigert wurde. Nur drei Tage nach dem Klimt wurde, ebenfalls von Sotheby’s und auch in New York, ein Bild der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1907–1954) versteigert – und zwar für 54,7 Millionen US-Dollar (ca. 47,6 Millionen Euro), was die höchste Taxe ist, die jemals für ein Gemälde einer Frau bezahlt wurde.
Beide Versteigerungen haben sowohl ernste Kunstkenner als auch woke Feministen und Feministinnen auf der ganzen Welt entzückt – wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen. Der Klimt, weil er ein absolutes und fast unbekanntes Meisterwerk eines der größten Maler der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und des Symbolismus darstellt. Das Bild der Kahlo, weil hier das Werk einer zweitklassigen Malerin, die aber weltweit als Ikone der gequälten linken Schmerzensfrau gilt, unter den Hammer kam und eine unerwartet hohe Taxe erzielte, wie sie sonst nur Bilder von Männern erreichen. Bei beiden Auktionen war also für jeden Geschmack etwas dabei.
Klimt stammte aus Privatsammlung von Leonard Lauder
Wir beginnen mit Klimt. Seit der Rückkehr des Porträts der Elisabeth Lederer auf den Kunstmarkt galt dieses Werk als Sensation. Das Bild war jahrzehntelang verschwunden, weil es sich im Privatbesitz von Leonard Lauder befand, dem im Juni verstorbenen Erben des Estée-Lauder-Konzerns, bekannt für hochpreisige Kosmetika. Lauders Kunstsammlung war ursprünglich auf rund 400 Millionen US-Dollar (ca. 348,0 Millionen Euro) geschätzt worden.
Nach der jüngsten Auktion ist dieser Wert jedoch Makulatur: Das Lederer-Porträt erzielte 236,4 Millionen US-Dollar (ca. 205,7 Millionen Euro), und weitere Werke aus dem Lauder-Nachlass – darunter zwei weitere Klimts, ein schöner Edvard Munch und sechs Bronzen von Henri Matisse – wurden ebenfalls bereits versteigert. Insgesamt brachten die rund zwei Dutzend Lose aus Lauders Besitz 528 Millionen US-Dollar (ca. 459,4 Millionen Euro) ein. Die Kunstwelt hat damit erlebt, wie sich eine der bedeutendsten Privatsammlungen der vergangenen Jahrzehnte in kürzester Zeit noch als deutlich wertvoller erwiesen hat als angenommen.
Klimts großformatiges Bild stellt die achtzehnjährige Elisabeth Lederer dar, die Tochter von August Lederer, einem jüdischen Industriellen der k.u.k. Monarchie aus Böhmen, und dessen Frau Serena Pulitzer, die Gustav Klimt früh förderten und ihm über Jahrzehnte eng verbunden blieben. Diese besondere Nähe zwischen Künstler und Familie spürt man in jedem Zentimeter des Porträts – nicht als Intimität, sondern als souveräne Selbstverständlichkeit, mit der Klimt Elisabeth in seine späte ornamentale Welt hinüberführt.
Klimt macht aus Lederer eine Erscheinung im Raum
Elisabeth erscheint in diesem Bild nicht als junge Frau in einem realen Raum, sondern als Gestalt in einem schwebenden Ornamentuniversum. Sie steht aufrecht, elegant, in einem langen, hellen Kleid, das wie ein Ruhepol zwischen den vibrierenden Mustern wirkt. Hinter ihr öffnet sich kein realistischer Hintergrund, sondern ein dichtes Feld aus farbigen Symbolen, japanisch anmutenden Figuren und dekorativen Formen – eher ein leuchtender Paravent als eine Wand. Unter ihren Füßen befindet sich kein Boden, sondern ein farbig gemusterter Teppich ohne Tiefe und Perspektive. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Portraitierte weniger steht als vielmehr schwebt: eine ruhige, hochaufgerichtete Präsenz, eingebettet in ein flirrendes Geflecht aus Ornament und Farbe. Klimt macht aus ihr keine Figur im Raum, sondern eine Erscheinung – eine moderne Ikone, getragen von einem dekorativen Kosmos, der sie zugleich umrahmt, erhöht und aus der Realität herauslöst.
Das prächtige Porträt fällt bereits in Klimts Spätwerk und markiert einen ästhetischen Paradigmenwechsel, im Zuge dessen Klimt die europäische Tiefenillusion inklusive der Zentralperspektive aufgibt und seine Figuren in ein ornamentales Energiefeld aus Mustern, oft asiatischen oder floral fließenden Motiven und flächigen Farbzonen stellt. Inspiriert von byzantinischen Ikonen, der vorperspektivischen Strenge Giottos und den damals in Europa bekannt werdenden japanischen Farbholzschnitten, die auch van Gogh beeinflussten, gestaltet Klimt seine Porträts nicht als Bühnenräume, sondern als symbolische Flächen, auf denen die Dargestellten weniger stehen als erscheinen.
Raum wird Ornament, Hintergrund wird Bedeutungsträger, die Person wird zur ikonischen Präsenz – isoliert, schwebend, fast zweidimensional. Diese Rückkehr zur Flächigkeit ist jedoch kein Rückschritt, sondern ein bewusst modernes Statement: eine Neudefinition des Porträts als dekorativ-ikonisches Bildfeld, das die klassische Räumlichkeit hinter sich lässt und die Figur in ein ornamentales Universum überführt.
Klimt war die Spitze der Schönheit, Harmonie und kultivierten Repräsentation
Klimts späte Porträts bilden den glänzenden Endpunkt einer europäischen Bildtradition, in der ein Porträt nicht entlarven, sondern erheben sollte. In ihnen bündelt sich das letzte große Aufleuchten einer ornamental-dekorativen Ästhetik, die noch an Schönheit, Harmonie und kultivierte Repräsentation glaubt. Nur wenige Jahre danach bricht diese Welt weg: Der Expressionismus ersetzt die idealisierte Figur durch den schonungslos analysierten und malerisch sezierten Menschen; aus Erhabenheit wird Verzerrung, Zuspitzung und Karikatur.
Gerade deshalb besitzen Klimts Bilder bis heute eine derartige Strahlkraft. Sie zeigen die letzte große Geste eines verschwindenden Ideals – das schimmernde Finale des langen 19. Jahrhunderts, bevor der Erste Weltkrieg seine kulturelle Grundlage zerstörte.
Die Berühmtheit von Klimts Bildern speist sich aus dieser doppelten Energie: einerseits aus ihrer technischen Meisterschaft, andererseits aus dem melancholischen Wissen, dass sie die Schönheit einer Welt festhalten, die nur wenige Jahre später unwiederbringlich unterging. Beides zusammen ist der Grund für den nie versiegenden Sog, der von seinen Bildern ausgeht, und ihre enorme Beliebtheit, die über hundert Jahre nach Klimts Tod immer noch zunimmt und auf Auktionen für einen Rekord um den anderen sorgt.
Frida Kahlo malte sich selbst
Völlig anders verhält es sich hingegen mit dem Bild der mexikanischen Malerin Frida Kahlo. Das Werk stammt aus dem Jahr 1940 und trägt den Titel El Sueño (La Cama). Zu sehen ist ein in den Wolken schwebendes Holzbett mit Baldachin, in dem die Malerin selbst liegt, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen, umrankt von Zweigen und Blumen. Auf dem Baldachin über ihr liegt, überdimensional groß, ein mit Zündschnüren und den dazugehörigen Dynamitstangen umschlungenes Skelett, das aussieht wie jene Kostüme, die die Mexikaner am Día de los Muertos tragen, dem Tag der Toten.
Da, wo bei Klimt malerische Meisterschaft, geheimnisvoller Symbolismus und eine dekorative Kosmologie sich kunstvoll verschränken, dominiert bei Kahlo ein primitiver Surrealismus, der eine platte Aussage – im Traum erscheint mir ein fruchtbarer Tod – durch eine flache Symbolik offensiv an den Betrachter heranträgt.
Kahlos Malerei folgt stets demselben Muster: technisch schlicht, ohne eigentliche malerische Verfahren, mit verzerrter Perspektive und flächiger, kindlich wirkender Raumbehandlung. Eine solide künstlerische Ausbildung hatte sie nie, entsprechend fehlen räumliche Konstruktion, Anatomie, Modellierung und jede Form handwerklicher Raffinesse. Im Zentrum ihrer Bilder stehen fast immer Tod, Krankheit und ihr persönliches Leiden, grell übersteigert durch eine vordergründige Symbolik aus blutenden Herzen, offenen Wunden, Narben, Tränen und anderen plakativen Signalen, die sich unmittelbar entschlüsseln lassen.
Diese autobiografische Direktheit macht ihre Werke jedoch kulturell überaus verwertbar und für Feministinnen und die politische Linke ganz allgemein wunderbar anschlussfähig, besonders in Diskursen, die nach klaren, sofort lesbaren Ikonen suchen.
Kahlo malte Doppelportrait von sich und Stalin
Weiß man jetzt noch, dass sie mit dem nach Mexiko vertriebenen Leon Trotzki 1937 eine kurze, aber heftige Affäre hatte, nach Stalins Tod ein Doppelporträt von sich und Stalin gemalt hat und mit dem Maler Diego Rivera, dem Schöpfer von Wandbildern, auf denen Marx, Lenin und Trotzki prominent zu sehen sind, verheiratet war, dann begreift man besser, warum sie und ihre Malerei globalen Kultstatus erlangt haben.
Dieses Standing erklärt sich jedoch weit stärker aus biografischem Mythos und identitätspolitischer Aufladung als aus ästhetischer Innovationskraft. Innerhalb des Surrealismus, dem Frida Kahlo zuzurechnen ist, bleibt ihr Beitrag entsprechend begrenzt: erzählerisch eindringlich, aber formal und handwerklich zweitrangig. Frida Kahlos Malerei wäre ohne das Vorbild von Henri Rousseau, den sie ihr Leben lang kopiert hat, nicht denkbar, kann aber mit den Werken der großen Surrealisten wie Salvador Dalí, Max Ernst und René Magritte nirgendwo mithalten.
Nun ist aber die Kunst auch ein Markt, und Kunstwerke werden nicht anders gehandelt als Gebrauchtwagen. Deshalb darf jeder für ein Kunstwerk, das ihm gefällt und das er unbedingt haben will, so viel zahlen, wie er will. Egal ob es ein Meisterwerk von Gustav Klimt oder der Typ von Bleeding-Heart-Art ist, den Frida Kahlo herstellte.
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Partner-Portal NIUS.
Kommentare