3,2-Millionen-Skandal erschüttert Brüssel: Rotes Netzwerk im Visier der Fahnder
Belgische Fahnder haben EU-Büros und das College of Europe durchsucht. Ex-EU-Außenchefin Federica Mogherini wurde zur Befragung festgenommen. Im Fokus stehen ein 3,2-Millionen-Kauf in Brügge und mutmaßliche Absprachen im roten Netzwerk. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Razzia & Gewahrsam: Ex-EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini wurde zur Befragung festgenommen. APA/AFP/JOHN THYS
Es ist ein Beben im Herzen der EU: Am 2. Dezember rückte die belgische Bundespolizei zeitgleich in Brüssel und Brügge an. Durchsucht wurden Büros des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS), das renommierte College of Europe sowie mehrere Privatwohnungen.
Festgenommen: Ex-Außenchefin und Top-EU-Diplomat
Bei der Aktion wurden drei Personen in Polizeigewahrsam genommen – darunter die frühere EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und langjährige Politikerin der italienischen Sozialdemokraten (PD). Heute ist sie – trotz geringer akademischer Erfahrung – Rektorin des renommierten College of Europe. Überdies wurden der italienische Spitzendiplomat Stefano Sannino verhaftet und ein administrativer Leiter des College of Europe, dessen Name nicht veröffentlicht wurde.
Verdacht: Unerlaubtes Insider-Wissen an Elite-Uni
Im Zentrum steht das prestigeträchtige postgraduale College of Europe. Die Elite-Hochschule gilt als Kaderschmiede für Brüssels politische Klasse. Vor wenigen Jahren bewarb sie sich als Träger der neuen European Diplomatic Academy, eines von der EU finanzierten Trainingsprogramms für Jung-Diplomaten. Dafür kaufte das College 2022 – trotz finanzieller Engpässe – ein Gebäude um 3,2 Millionen Euro in Brügge.
Der Verdacht: Das College soll schon vor diesem Kauf vertrauliche Details der EU-Ausschreibung gekannt haben. Mit diesem unerlaubten Insiderwissen hätte sich die Elite-Uni einen unfairen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern verschafft.
Mehrere schwere Straftatbestände stehen im Raum
Die Ermittlungen werden von der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) geführt, unterstützt von der Anti-Betrugsbehörde OLAF und der belgischen Polizei. Für mehrere Beschuldigte musste zunächst die dienstliche Immunität aufgehoben werden – womit deutlich wird: Es geh um hochrangige EU-Funktionäre. Die Fahnder prüfen nun nach eigenen Angaben mehrere mögliche Straftatbestände:
Vergabebetrug: Manipulation einer öffentlichen Ausschreibung, etwa durch Absprachen oder unzulässige Vorteile für einen Bewerber.
Korruption: Gewährung oder Annahme von Vorteilen, damit eine Amtsperson Entscheidungen im Sinne bestimmter Personen oder Institutionen trifft.
Strafbarer Interessenkonflikt: Verantwortliche entscheiden über EU-Gelder, obwohl sie persönlich von der Entscheidung profitieren könnten – und das nicht offenlegen.
Verletzung des Dienstgeheimnisses: Weitergabe vertraulicher Informationen aus einem laufenden Verfahren an Außenstehende, etwa an einen Bewerber in einer EU-Ausschreibung.
Wichtig: Offiziell angeklagt ist bislang niemand. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Zuvor ein aufwendiges Studentenwohnheim
Der sichtbarste Stein des Anstoßes ist das Gebäude in der Spanjaardstraat in Brügge. Das Haus, heute als Studentenresidenz „Huyze Cools“ bekannt, hat eine bewegte Geschichte: Ursprünglich von der Familie Cools errichtet, später von der Stadt Brügge übernommen und jahrelang als Finanzamt genutzt, 2011 an einen privaten Investor verkauft, der es aufeändig in ein Studentenwohnheim mit 49 Studios umbaute.
Im Jahr 2022 schlug das College of Europe zu – zum Preis von rund 3,2 Millionen Euro.
Verdächtiges Timing
Brisant ist das Timing: Das College befand sich laut Berichten in einer Phase finanzieller Schwierigkeiten, der EU-Außendienst arbeitete parallel an einer Ausschreibung für die neue Diplomatenschule, und die Ausschreibung verlangte ausdrücklich, dass der künftige Träger Unterkünfte für die Nachwuchsdiplomaten bereitstellen kann. Kurz nach dem Kauf erhielt genau dieses College den Zuschlag – samt 654.000 Euro EU-Fördermitteln für das Akademie-Programm.
Die zentrale Frage der Ermittler lautet: Hat das College dieses Millionen-Risiko nur eingegangen, weil aus Brüssel bereits interne Signale kamen, dass der Auftrag sicher ist?
Ermittler sprechen von „starken Verdachtsmomenten“
Die EU-Staatsanwaltschaft EPPO und die Anti-Betrugsbehörde OLAF versuchen nun, die entscheidenden Monate 2021/22 detailliert zu rekonstruieren. Es geht um Fragen wie: Wann entstanden im Europäischen Auswärtigen Dienst EEAS die Ausschreibungskriterien für die European Diplomatic Academy? Wer hatte Zugang zu den Entwürfen und vertraulichen Unterlagen? Wann wussten Mogherini, Sannino und das College of Europe, dass Unterkünfte ein zentrales Kriterium sein würden? Wurde parallel intern über die finanzielle Lage des College und die Notwendigkeit neuer Einnahmen gesprochen?
Die Ermittler sprechen bereits von „starken Verdachtsmomenten“: Wenn sich herausstellt, dass Insiderinformationen gezielt an einen Bewerber weitergereicht wurden, wäre das ein klarer Fall von Vergabebetrug – und im politischen Kontext ein Musterbeispiel für Vetternwirtschaft mit EU-Geldern.
Das rote Trio: Mogherini, Borrell, Sannino
Besonders explosiv ist, wer im institutionellen Hintergrund dieses Deals steht. Federica Mogherini von den italienischen Sozialdemokraten war von 2014 bis 2019 EU-Außenbeauftragte und damit Chefin des EEAS. 2020 übernahm sie die Leitung des College of Europe, später zusätzlich die Direktion der Diplomatenschule.
Josep Borrell, spanischer Sozialist (PSOE), folgte ihr 2019 als Außenbeauftragter und war während der Ausschreibungsphase 2021/22 politisch für den EEAS verantwortlich. Stefano Sannino, italienischer Karrierediplomat, arbeitete bereits früher im Umfeld Mogherinis in Brüssel und wurde Ende 2020 von Borrell zum Generalsekretär des EEAS befördert – dem mächtigsten Beamten im Auswärtigen Dienst.
Damit ergibt sich ein klar erkennbares sozialdemokratisches Dreieck: Mogherini an der Spitze des College und der Academy, Borrell an der Spitze des EEAS, der die Ausschreibung verantwortete, Sannino als oberster Verwalter im EEAS, der die Maschinerie der Ausschreibung mitsteuerte. Borrell wird derzeit nicht als Beschuldigter geführt – er taucht nur als politisch Verantwortlicher im relevanten Zeitraum auf. Trotzdem drängt sich politisch eine Frage auf: Hat hier ein vertrautes Netzwerk aus Sozialdemokraten ein Prestigeprojekt samt Geldströmen in den eigenen Kreis gelenkt?
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