Ursula von der Leyen will Europas Wirtschaft zur Kasse bitten: Die EU-Kommissionspräsidentin plant neue Abgaben auf große Unternehmen, Tabak und Onlinehandel – mitten in einer Phase hoher Zinsen und stagnierenden Wachstums. Ziel: frisches Geld für den EU-Haushalt 2028 bis 2034 – und offenbar auch zur Rückzahlung von Schulden aus dem Corona-Fonds.

Rund 2.500 Unternehmen in Österreich wären betroffen – darunter Handelsriesen und Industriebetriebe. Weitere Einnahmequellen: Gebühren auf Elektroschrott, Pakete aus Drittstaaten und ein Anteil an nationalen Tabaksteuern. Doch ist das rechtlich zulässig – und was bedeutet das für Europas wirtschaftliche Freiheit?

Verfassungsjurist Prof. Markus C. Kerber (TU Berlin) warnt im exxpress-Interview vor einer „Abgaben-Tyrannei“ – und einem Brüsseler Machtanspruch, der kaum noch mit den EU-Verträgen vereinbar sei.

Verfassungsjurist Prof. Markus C. Kerber (Bild) warnt im exxpress-Interview vor einem Brüsseler „Komplott gegen Bürger und Unternehmen“.EXXPRESSTV/EXXPRESSTV

Brüssel beansprucht immer neue Aufgaben für sich

Herr Professor, Brüssel plant eine neue Abgabe auf Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz – unabhängig vom Firmensitz. Ist das der Einstieg in eine neue Steuerpolitik der EU?

Die Vorschläge der Europäischen Kommission kommen nicht überraschend – wohl aber die Begründung, mit der sie präsentiert werden. Sie zeigen einen juristischen Offenbarungseid, weil die Kommission keine Rechtsgrundlage dafür hat.

Was ist Ihrer Ansicht nach der tiefere Hintergrund dieser neuen Abgabenpläne?

Die Kommission sieht sich nicht nur als Hüterin der Verträge, sondern zunehmend als Promotorin der Integration. Sie weitet die Aufgaben der EU immer weiter aus – auch ohne entsprechende vertragliche Grundlage. Der jüngste Vorstoß: Die Finanzierung gemeinsamer Verteidigungsausgaben und -programme über neue EU-Abgaben.

Schleichender Umbau zum zentralistischen EU-Staat

Gibt es überhaupt eine rechtliche Grundlage für solche Maßnahmen?

Nein. Die Aufgaben der EU sind im Vertrag abschließend geregelt. Die Kommission hat kein Mandat, sie nach Belieben auszuweiten – etwa mit dem Argument: „Wir haben Migration, wir haben die Ukraine, wir brauchen mehr Geld.“

Wird hier versucht, eine Art supranationaler Zentralstaat durch die Hintertür zu errichten?

Ja. Dahinter steht nichts anderes als die eiserne Hand eines sich herausbildenden Zentralstaats. Eine technokratische Verwaltung, die niemandem wirklich rechenschaftspflichtig ist – weder den nationalen Parlamenten noch in vollem Umfang dem Europäischen Parlament.

Die EU darf keine Steuern einheben – trotzdem plant sie es

Die Kommission will nun über „Eigenmittel“ wie Tabak- und Plastikabgaben Einnahmen generieren. Ist das legal?

Die EU hat keine Steuerhoheit. Sie darf keine Steuern erheben. Auch andere Abgaben darf sie nur mit einstimmiger Zustimmung aller Mitgliedstaaten einführen. Und da kommt Österreich ins Spiel – genauso wie Deutschland als größter Nettozahler. Sie müssen Widerstand leisten.

Wie versucht die Kommission, dieses Zustimmungsprinzip zu umgehen?

Sie will über Bande spielen – sich etwa Anteile an nationalen Verbrauchssteuern sichern, ohne über eigene Steuerhoheit zu verfügen. Das ist ein typischer Trick – rechtlich fragwürdig, politisch missbräuchlich.

Umweltpolitik als Vorwand für Machtverschiebung

Sind Maßnahmen wie die Plastik- oder Elektroschrottabgabe zumindest umweltpolitisch sinnvoll?

Mag sein – aber sie liegen klar in der nationalen Kompetenz. Wenn Brüssel hier eingreift, verletzt es die Abgabenhoheit der Mitgliedstaaten. Das gilt auch für Paketgebühren auf Importe aus China.

Wird hier eine protektionistische Agenda verfolgt?

Natürlich. Die Kommission nutzt Argumente wie Klimaschutz oder Fairness, aber es geht ihr nur um Einnahmen. Protektionismus wird zur Einnahmequelle erklärt.

Die Schulden von morgen werden schon vorweggenommen

Was ist mit neuen EU-Schulden? Rechnet Brüssel bereits mit einem zweiten Corona-Fonds?

Die Kommission kann aktuell keine neuen Schulden aufnehmen – Deutschland hat klar Nein gesagt, auch Friedrich Merz. Hoffen wir einmal, dass das so bleibt. Doch die Kommission tut so, als sei ein neues Schuldenpaket längst beschlossene Sache.

Warum hat Brüssel diese Eile, neue Abgaben einzuführen?

Ein Grund könnte sein: Weil die 800 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds gar nicht vollständig ausgezahlt werden – es fehlen geeignete Projekte. Und wie sie zurückgezahlt werden sollen, weiß niemand genau. Deshalb sucht man neue Einnahmequellen – entweder illegal oder rein interessengeleitet.

Der Dammbruch: Brüssel finanziert sich mit Steuergeldern selbst – ohne Kontrolle

Was wäre die Konsequenz, wenn man diese Entwicklung nicht stoppt?

Dann erleben wir einen Dammbruch. Die Kommission definiert ihre Aufgaben selbst – und ihren Finanzbedarf gleich mit. Das wäre der Einstieg in eine EU, die sich aus eigener Machtfülle finanziert – ohne Kontrolle durch die Mitgliedstaaten.

Was bleibt dann noch vom föderalen Charakter der EU?

Nichts. Das wäre kein Staatenverbund mehr, sondern ein Staat mit eigener Einnahmen- und Ausgabenautonomie. Eine zentralistische Struktur, die den Vertragsrahmen sprengt.

Völlig falsches Signal für Wirtschaftsstandort inmitten einer Krise

Betrifft diese gefährliche Entwicklung auch andere Institutionen?

Ja, etwa das Europäische Parlament – ein überdimensionierter Apparat mit einer Milliarde Euro Werbebudget. Oder der Auswärtige Dienst der EU – ein diplomatischer Schattenapparat, den es laut Vertrag gar nicht geben dürfte.

Was bedeutet die geplante Abgabe konkret für Österreichs Unternehmen?

Die Idee, dass man alle Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz mit einer EU-Abgabe belastet, ist brandgefährlich. Die Wirtschaftskammern in Wien und Berlin werden das nicht akzeptieren. Gerade jetzt, in einer Phase wirtschaftlicher Schwäche, sind das völlig falsche Signale.

Letzte Hoffnung: Verfassungsgerichte und der Widerstand der Staaten

Was treibt die Kommission in dieser Frage Ihrer Ansicht nach wirklich an?

Diese Kommission kennt nur ein Ziel: mehr Geld. Sie will es von denen holen, die nicht laut genug protestieren – und es dann umverteilen. Ich nenne das den Marsch in eine EU-Abgaben-Tyrannei.

Kann diese Entwicklung noch gestoppt werden?

Die Mitgliedstaaten – und ansonsten nur noch Verfassungsgerichte. Die Kommission ist längst nicht mehr die Hüterin der Verträge – sie ist zu einer Verschwörerin gegen die Verträge geworden. Sie wurde zu einem Komplott gegen Bürger und Unternehmen.