Alaska entlarvt Europas Schwäche – Kerber fordert Militärallianz ohne Brüssel!
Der Alaska-Gipfel hat Europas dramatische Bedeutungslosigkeit in der Weltpolitik offengelegt: Trump und Putin verhandeln auf Augenhöhe, Europa bleibt politisch zersplittert, handlungsunfähig. Prof. Kerber warnt im exxpress-Interview: Europa braucht eine neue Militärallianz der Willigen – aber ohne EU-Bürokratie.
Machtspiele der Großmächte – Europa bleibt Zuschauer. Kerber verlangt eine Allianz der Willigen, ohne EU-Apparat.APA/AFP/POOL/Gavriil GRIGOROV
Im exklusiven exxpress-Interview analysiert Prof. Markus C. Kerber die sicherheitspolitische Lage Europas nach dem Gipfel in Alaska und fordert grundlegende Veränderungen. Der Verfassungsjurist und Ökonom lehrt an der Technischen Universität Berlin und ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Verteidigungstechnologie, Streitkräfteökonomik und Geopolitik. Er hatte mehrere Gastprofessuren und in und war unter anderem er Dozent an der Führungsakademie der deutschen Bundeswehr.
„Ein weiteres Bild des europäischen Niedergangs“
Wie bewerten Sie das Ergebnis von Alaska und was gerade geschieht?
Man soll nicht untertreiben: Es ist ein weiteres Bild des europäischen Niedergangs – begünstigt durch US-Präsident Donald Trump im Schulterschluss mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle würde jetzt nicht nach Washington reisen, sondern einen Gipfel in Europa einberufen. Der massenhafte Auftritt im Weißen Haus zeigte vor allem Uneinigkeit und Hilflosigkeit Europas.
„Eine handlungsfähige 27er-EU existiert politisch nicht“
Was sollte Europa denn tun?
Zuerst die Realität anerkennen: Eine handlungsfähige 27er-EU (inkl. Großbritannien) existiert politisch nicht. Der Präsident des EU-Rats António Costa, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas haben keine demokratische Legitimation, ein „europäisches Interesse“ zu definieren – auch nicht in der Ukraine-Frage; und ob Wolodymyr Selenskyj jemanden dabei wünscht, ist unerheblich. An dessen demokratischer Legitimation bestehen ja ebenfalls erhebliche Zweifel.
Handeln müssen die legitim gewählten Regierungschefs der großen Länder: Vereinigtes Königreich, Deutschland, Frankreich, Italien und Polen – ergänzt um Skandinavier und Balten. Inhaltlich braucht es Sicherheitsgarantien für die Ukraine, nötigenfalls mit militärischer Präsenz. Ein Friedensschluss wäre andernfalls ohnehin nur vorläufig. Ohne Deutschlands Ressourcen und militärische Fähigkeiten geht das nicht.
Strukturell fordere ich: weniger EU, dafür ein Verteidigungsdirektorium der Willigen – mit Großbritannien als Seemacht mit professioneller Armee und Einsatzerfahrung. Dazu gehört die glaubwürdige Bereitschaft, bei Grenzverletzungen militärisch einzugreifen; sonst kommen die nächsten russischen Tests.
„Wer gibt, der führt – Leistung ist der Prüfstein“
Und transatlantisch – was folgt aus Alaska?
Europa braucht einen eigenständigen Kanal zum Kreml. Donald Trump ist kein Treuhänder europäischer Interessen; spätestens seit Beginn seiner zweiten Präsidentschaft agiert er unabhängig von Europa. Das ist faktisch eine Aufkündigung des transatlantischen Verhältnisses und möglicherweise tatsächlich der Beginn einer neuen Epoche. Das ritualisierte Pilgern nach Washington, um nach getroffenen Entscheidungen beim Mittagessen dabeizusitzen, führt in die Irre – auch für deutsche Politiker.
Wer soll denn künftig in Europa führen, wenn es um die Verteidigung der eigenen Sicherheit und der eigenen Interessen geht?
Leistung muss die Devise sein. Der Prüfstein lautet: Wie viele Truppen, welche Fähigkeiten, welcher Zeitplan – für Sicherheitsgarantien und Übergangslösungen. Wer gibt, führt. Gegenwärtig leistet Deutschland vier mal so viel wie Frankreich, doch Präsident Emmanuel Macron spricht vier mal so viel, obwohl er nichts vorzuweisen hat. Er wechselte von Beschwichtigung zu Hardliner-Rhetorik, ohne tragfähige Strategie. Polen wird viel beitragen wollen, neigt aber zu Russophobie.
„Historisch falsch: Erst Friedensvertrag, dann Waffenstillstand“
Warum lehnen Sie Trumps Reihenfolge – erst Friedensvertrag, dann Waffenstillstand – ab?
Historisch ist das verkehrt herum: Im Ersten Weltkrieg kam zuerst der Waffenstillstand, danach der Vertrag. Das Umkippen der zeitlichen Abfolge ist nicht nur unlogisch, es ist auch kein bloßes Umfallen gegenüber den Forderungen des Kreml, sondern völlig widersinnig für die Herbeiführung einer kurzfristigen oder langfristigen friedensvertraglichen Regelung.
An dieser Stelle haben sich die Interessen der Russen nicht nur weitgehend, sondern vollständig durchgesetzt. Denn je länger der Krieg dauert – bei einer sich ermüdenden Ukraine und einer scheinbar ressourcenmäßig unerschöpflichen Russischen Föderation – umso mehr verschiebt sich das Kräftegleichgewicht zugunsten Russlands.
„200.000 wehrfähige Ukrainer bleiben untätig in Deutschland“
Deutschland hat nicht die Führung inne. Was läuft in Berlin falsch?
In Deutschland kommen schwere Versäumnisse hinzu: Rund 200.000 wehrfähige Ukrainer bleiben hier – auf Kosten der Steuerzahler –, anstatt Dienst zu leisten; das ist politisch und moralisch nicht akzeptabel. Gleichzeitig wird bei Fähigkeiten gezögert: Taurus-Marschflugkörper würden Russland strategisch unter Druck setzen. Die Scholz-Linie – Einhegung, keine Kriegspartei – ist spätestens seit dem Alaska-Treffen obsolet. Wladimir Putin nutzt im Übrigen die Zwietracht in Europa – er muss sie kaum erzeugen.
„Mehr Panzer sind kein Konzept: Uns fehlt nukleare Abschreckung“
Reicht es, konventionell aufzurüsten – oder fehlt Europa Grundsätzliches?
Seit Kosovo gab es ein Aufwachen, betreffend zentrale Kernfähigkeiten wie Aufklärung/ISR, Navigation, vernetzte Wirkung. Aber: Bloß mehr Artillerie und Panzer ist kein Konzept. Beim strategischen Rückgrat hapert es: Europa ist nicht nuklear abschreckungsfähig. Frankreich und das Vereinigte Königreich haben zu wenig, Deutschland hat sich durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag verpflichtet, auf jegliche nukleare Bewaffnung zu verzichten. Eine europäische Atomlösung ist zurzeit illusorisch – die französische Maxime lautet: Atomwaffen teilt man nicht.
Diese Politikergeneration wird das nicht lösen; Beschwichtigungen à la „Amerika bleibt unsere Lebensversicherung“ tragen unter Donald Trump nicht mehr. Europa muss selbst handlungsfähig werden – konventionell und strategisch.
„Russlands Verluste wären im Westen innenpolitisch nicht tragbar“
Im Ukraine-Krieg hat Russland seit vergangenem Sommer das Momentum. Offenbar gibt es kein Gegenrezept?
Das Momentum wird oft überschätzt: Es gibt keine russische Lufthoheit in der Ukraine, keine Bombenteppiche auf Städte; Russland setzt preiswerte Drohnen und Raketen ein, trifft militärische und zivile Ziele, und nimmt andererseits enorme Verluste in Kauf und zermürbt. Solche Verluste wären im Westen innenpolitisch nicht tragbar. Stellen Sie sich nur vor: In Deutschland müsste man tagtäglich mit ein paar Hundert Toten rechnen. Das würde die Bevölkerung nicht sehr lange mitmachen.
Darum spricht vieles für eine vorläufige Befriedung: Die Sanktionen wirken in Russland durchaus, Reisen und Zahlungen sind eingeschränkt, Wladimir Putin braucht innenpolitisch ein „erfolgreiches Ende“. Europa gewinnt so ein Zeitfenster, um Fähigkeiten aufzubauen – statt weiter nur zu verwalten.
„Putin hat nicht die Fähigkeit, ,bis zum Rhein' vorzustoßen“
Ist Europa einer konventionellen Angriffswelle Russlands gewachsen?
Derzeit nicht. Zugleich halte ich eine großangelegte Offensive über die Ukraine hinaus für unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sind „Sticheleien“ im Umfeld: Georgien, Moldau, Syrien sowie Druck über russischsprachige Minderheiten im Baltikum. Europa muss auf 15 Jahre Stabilisierung und Aufbau eingestellt sein: Personalien in Moskau wie Washington werden sich ändern, aber bis dahin braucht es eine militärische und militärpolitische Neuaufstellung – Fähigkeiten, Führungsstrukturen, Durchhaltevermögen.
Sollte Europa ein Zeitfenster jetzt nutzen?
Ja. Wenn Europa die Zeit nutzt, ist es in fünf Jahren deutlich besser gegen konventionelle Angriffe gerüstet. Parallel muss es sich der Frage gemeinsamer nuklearer Abschreckung stellen – nukleare Bedrohungen beantwortet man nicht konventionell.
Aber: Wladimir Putin hat nicht die Fähigkeit, „bis zum Rhein“ vorzustoßen.
„Trump entlarvt Dekadenz des Westens“
Was bedeutet dieser fehlende Wille konkret – vor allem für Deutschland?
Man ruft nach mehr Rüstungsbudget, doch die Rekrutierungsbereitschaft bleibt nahezu unverändert. Steuert Deutschland nicht um, ändert sich das Land – zum Negativen. Donald Trump hält dem Westen hier einen Spiegel vor: Seine These vom dekadenten Westen ist nicht vollständig falsch; der Westen scheut Opfer für die eigene Verteidigung. In den USA heißt es oft: Die Ukraine sei „weit weg“. Frankreich (teils auch die Niederlande) und vor allem Deutschland haben noch nicht begriffen, dass in der Ukraine ein Stück europäischer Freiheit mitverteidigt wird.
„Europa fehlt der Wille das zu tun, wovon es ständig redet“
Wer soll Europas Verteidigung organisieren?
Auf gar keinen Fall Brüssel. Es braucht wie zu Beginn gesagt ein Verteidigungsdirektorium der Regierungen, nicht der EU-Institutionen. Brüssel würde vor allem Geld einsammeln und „gemeinsam“ beschaffen.
Was fehlt Europa am meisten?
Der Wille, das zu tun, wovon man ständig redet. In Paris herrscht eine Stimmung wie 1939/40: Ein Krieg wurde erklärt, aber nicht als Krieg empfunden. Heute gibt es keine formale Kriegserklärung, faktisch aber eine grenzverschiebende Auseinandersetzung. Die Betroffenheit wird sehr unterschiedlich wahrgenommen: Portugal und Spanien sind distanzierter; Estland und Finnland (mit 1.000 km Grenze zu Russland).
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