Analyse: Fall des Magdeburg-Terroristen offenbart das Scheitern eines ganzen Systems
Noch vieles ist hinsichtlich des Attentats von Magdeburg unklar, noch viele Fragen offen. Und doch: Die ersten Erkenntnisse, die über den Täter Taleb Al-Abdulmohsen nach außen dringen, offenbaren ein Behörden- und Systemversagen, welches Warnungen und Hinweise ignorierte, statt ihnen nachzugehen. Eine Analyse von Jan A. Karon (NIUS).
Die unzureichende Gefahrenabwehr im Vorfeld der Tat zeigt dabei: Behörden fehlt es ebenso an Vernetzung untereinander wie an Handhabe im Umgang mit sich radikalisierenden Asylbewerbern, die idiosynkratisch sind, also: nicht die typischen, sondern spezifische Radikalisierungsmuster aufweisen. Dabei muss auch über Grundsätzliches nachgedacht werden.
Dies beginnt schon bei der sehr plumpen und einfachen Erkenntnis, dass der Täter einwandert ist, was vermutlich im Sinne einer tiefgreifenden Motivanalyse nicht befriedigend scheint, aber die Empfindung sein dürfte, die sehr viele Menschen haben: Ob der Täter islamkritische Inhalte teilte, welche Rolle das Aufwachsen in einer islamischen Gesellschaft spielte und weshalb er sich in einen Wahn reinsteigerte, an dessen Ende die Verachtung von und der Hass gegenüber Deutschland stand, – das mag bedeutend für Untersuchungsausschüsse und Investigativjournalisten sein. Vorangestellt steht aber die Erkenntnis, dass er zugewandert ist – und der Terror in diesem Sinne importiert wurde.
BAMF ahnungslos trotz Terror-Warnung?
Abdulmohsen kam dabei schon 2006 nach Deutschland, das heißt: Er wanderte lange vor der Migrationskrise im Jahr 2015 und den Folgejahren ein. Im März 2006 reiste er regulär mit Reisepass und Visum ein, um eine Facharztausbildung zu beginnen. Dabei hielt er sich zunächst in Hamburg und Bochum, Düsseldorf und Hannover auf, dann in Stralsund, bevor er nach Bernburg in Sachsen-Anhalt zog. Wie genau Al-Abdulmohsens Facharztausbildung verlief, ist noch unklar, vieles spricht aber dafür, dass an der medizinischen Laufbahn von „Dr. Google“ einiges nicht stimmt.
Eine Schlüsselrolle kommt dabei einem Ereignis aus dem Jahr 2013 zu. Damals drohte der Saudi der Ärztekammer, einen Terroranschlag zu verüben, dem Attentat auf den Boston Marathon nachempfunden. Im April 2013 ließe tschetschenisch-kirgisische Islamisten beim Stadtmarathon am St. Patrick’s Day Sprengsätze in Rucksäcken detonieren. Durch die Explosionen auf der Zielgeraden wurden drei Menschen getötet und 264 verletzt. Weil die Ärztekammer damals 2013 Prüfungsleistungen Abdulmohsens Leistungen nicht anerkennen wollte, verwies er in einem Telefongespräch auf diesen Anschlag, so berichtet es der Spiegel, „sowas passiert dann hier auch“ soll er gesagt haben. Daraufhin durchsuchten Behörden seine Wohnung und beschlagnahmten elektronische Medien. Später, im September 2013, verurteilte ihn das Amtsgericht Rostock wegen „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ zu einer Geldstrafe. Fraglich erscheint, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Kenntnis über die Drohung erlangte.
Für seinen Aufenthalt in Deutschland hatte die Nennung der Terrorattacke in Verbindung mit dem Satz jedoch keine Konsequenz. Ein Migrationssystem, in dem ein Mann 2013 der Ärztekammer gegenüber mit Anschlägen droht und ein islamistisches Attentat als Vorbild heranzieht, und der dann drei Jahre später trotzdem im Schnelldurchlauf Asyl bewilligt bekommt, ist aber ein System der Selbstzerstörung.
Gefahrenabwehr, aber als Papiertiger
Im Jahr 2016 gab der Saudi an, dass ihm in seinem Heimatland als Islam-Apostat und Kritiker der Religion die Todesstrafe drohe. Abdulmohsens beschäftigte sich, das zeigen Recherchen, etwa in Online-Foren ausführlich damit, wie man möglichst erfolgreich politisches Asyl in Deutschland bewilligt bekommen kann. Nachdem als Abdulmohsen persönliche Verfolgung und Gefahr gegen Leib und Leben geltend machen konnte, durfte er bleiben. Und, schreckliche Ironie, den Tod nach Deutschland bringen. Der positiv beschiedene Asylantrag binnen vier Monaten wirkt dabei rückblickend so, als sei die Bundesrepublik darauf konditioniert, Menschen aus aller Welt zu helfen, aber Gewalttäter nicht bekämpfen und ausweisen kann, die eine Gefahr darstellen. Stattdessen gesteht man ihnen in geradezu beeindruckender Naivität Aufenthaltsrechte zu.
Dabei ignorierte Deutschland im Sinne seines Wertekompass Warnungen der saudischen Regierung, die ihn unter anderem des Menschenschmuggels bezichtigten und als radikalisiert beschrieben. Wie CNN berichtet, stellte Saudi-Arabien schon im Jahr 2007/2008, also kurz nach der Einreise nach Deutschland, einen Auslieferungsantrag an die Bundesregierung, weil der spätere Attentäter bei den Saudis als Straftäter gesucht wurde und vor Gericht gestellt werden sollte für Delikte, die im Zusammenhang mit Menschenhandel und Schleusung stehen. Später, im Jahr 2022, wurde er dann in Deutschland als Beschuldigter in einem Strafverfahren wegen des Verdachts der Schleusung geführt.
Zum allzu laxen Umgang mit Menschen, die sich als Zeitbomben herausstellen, passt auch die schriftliche Gefährderansprache, die der 50-Jährige wenige Monaten vor dem Attentat erhielt. Wie der MDR exklusiv berichtet, heißt es darin in bestem Behördendeutsch: „Auch wenn Sie in diesem Fall keine konkreten Konsequenzen angedroht haben, werden Sie hiermit eindringlich aufgefordert, Schreiben in dieser Form zu unterlassen. Diese könnten unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen.“ Mit „solches Schreiben“ meinen die Sicherheitsbehörden dabei einen Tweet des Saudis aus dem August 2023, in dem Abdulmohsen implizit Gewalt androht. Eine richtige Gefährderansprache wurde dabei nicht umgesetzt, wie der leitende Oberstaatsanwalt bei einer Pressekonferenz am Samstag mitteilte. Man muss kein Law & Order-Fanatiker sein, um zum Schluss zu kommen, dass diese Art von Gefahrenabwehr einem Papiertiger gleichkommt – und niemanden abschreckt, der wirklich Schlimmes im Sinn hat.
Trotz jener Gefährderansprache und der Drohungen gegenüber Ärztekammer kamen LKA und BKA im vergangenen Jahr bei einer „Gefährdungsbeurteilung“ zu dem Ergebnis, dass von Al-Abdulmohsen „keine konkrete Gefahr“ ausgehe, schreibt Welt. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt war beteiligt, leitete aber keine eigenen Ermittlungen ein.
Abgerundet wird das Bild eines wehrlosen Staates von einer Vielzahl von Gefahrenhinweisen, die Privatpersonen an Behörden wie BAMF und Polizei adressiert haben, die ohne Konsequenzen blieben. Darunter der Fall einer saudischen Frau, die sich per Direktnachricht an das Bundesamt richtete – und das persönliche Vorsprechen einer Frau in Nordrhein-Westfalen, das vermutlich bereits sieben Jahre zurückliegt. NIUS sind dabei zwei weitere Personen bekannt, die ihre Sorgen angesichts Abdulmohsens Radikalisierungsprozess an Behörden wie das BAMF herangetragen haben. Passiert ist in all den Fällen: nichts.
taleb openly threatened the lives of germans on his account. i reported him to the police and @bamf_dialog, but the police only took screenshots of his tweets. they didn’t arrest him or take any action. this could have been prevented if the police had done their job properly! pic.twitter.com/g32bFfvJLm
— 🕯️ (@i401x) December 21, 2024
Ein System der Selbstaufgabe
Alles in allem demonstriert der Fall schon jetzt die Dysfunktionalität eines Landes, das Gewalt einwandern und Teil von sich werden lässt. Dabei wird insbesondere deutlich, dass die Migrationspolitik hierzulande nicht dafür ausgelegt ist, dass sich Behörden und Institutionen systematisch austauschen, um frühzeitig präventiv tätig zu werden gegenüber Personen, die später Gewaltdelikte verüben. Der eingewanderte Terror Abdulmohsens ist damit in letzter Konsequenz auch das Ergebnis einer Kultur der Nicht-Zuständigkeit, bei der Verantwortung abgewälzt wird, staatliche Stellen überfordert sind und es keine Handhabe für Phänomene wie Abdulmohsen gibt, der sich über Monate radikalisierte und wiederholt gewaltbereit zeigte.
Angesichts der strafrechtlichen Verfolgung von Meinungsäußerungen, Volksverhetzungen und Beleidigungen stellt sich dabei auch eine Frage, ob es nicht eine grundlegend andere Priorisierung im Sicherheitsapparat braucht. Überspitzt gesagt: Wenn „Schwachkopf“-Memes und die Durchsetzung von Messerverbotszonen zur priorisierten Aufgabe werden, gleichzeitig aber Attentate trotz Vorzeichen nicht verhindert werden können, nährt dies den Verdacht, dass der Staat ohnmächtig ist und den Bürgern Sicherheit nicht garantieren kann. Dieses System offenbart dabei Merkmale einer Selbstaufgabe, die darauf abzielt, Menschen aus der ganzen Welt zu helfen, aber sich selbst nicht schützen zu können.
Diese Analyse ist ursprünglich auf unserem Partner-Portal NIUS erschienen.
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