Wieder einmal zeigt sich, wie tief verwurzelt der antisemitische Reflex der Täter-Opfer-Umkehr in Teilen der deutschen Kommentarliteratur sitzt. In seinem Deutschlandfunk-Kommentar zur deutschen Israelpolitik stilisiert der Chefkorrespondent des Deutschlandradios, Stephan Detjen, Israel zum Tätervolk und legt dabei eine Denkfigur offen, die der antisemitischen Tradition deutscher Schuldabwehr treu bleibt.

Besonders deutlich wird dies, als Detjen die Tränen deutscher Spitzenpolitiker – von Friedrich Merz bis Joachim Gauck – als „blind für die Gegenwart“ abtut und sie in Kontrast zu „Kriegsverbrechen“ Israels setzt. Damit wird eine perfide Parallele aufgemacht: Die Deutschen seien einst Zuschauer beim Holocaust gewesen – heute sei Israel der Täter, und wer Solidarität mit dem jüdischen Staat zeigt, verschließe die Augen vor einem „Völkermord“.

Im September kamen Merz bei einer Rede in der Münchner Synagoge Reichenbachstraße die TränenAPA/AFP/Odd ANDERSEN

Das ist klassische Täter-Opfer-Umkehr: Der Nachfolgestaat der Shoah-Mörder delegitimiert Israel, indem er den jüdischen Staat selbst in die Rolle des nationalsozialistischen Vernichtungsregimes rückt.

Detjen unterstellt, Israel sei „auch zu einem Staat der Täter in seiner Regierung und Armee geworden“ und dass deutsche Politik deshalb „verdränge“, was internationale Experten angeblich bestätigt hätten – einen „Genozid in Gaza“.

Der Antisemit der Woche: Stephan DetjenGETTYIMAGES/Bernd Elmenthaler

Statt die eigene Geschichte ernst zu nehmen, inszeniert Detjen die moralische Notwendigkeit, Israel als Täter zu markieren. Damit kehrt er die historische Verantwortung in ihr Gegenteil: Deutsche sind nicht länger die Schuldigen von damals, sondern die vermeintlich „Wachsamen“, die das nächste Verbrechen verhindern müssten – diesmal angeblich begangen von Juden selbst.

Diese Form der „Aufarbeitung“ dient nicht der Erinnerung, sondern der Entlastung. Sie bietet den wiedergutgewordenen Deutschen eine bequeme Flucht aus ihrer eigenen historischen Verantwortung: Indem man Israel anklagt, stilisiert man sich selbst zum moralischen Wächter.

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