„In zehn Jahren wird man Merkel dankbar sein“

Das sagte Migrationsforscher Rainer Bauböck am 27. Oktober 2015 im Standard. Wörtlich erklärte der Professor am Europäischen Hochschulinstitut (Florenz): „In zehn Jahren wird man einer Kanzlerin Merkel wahrscheinlich dankbar sein. Nicht nur, weil sie humanitär richtig gehandelt hat, sondern auch, weil sie etwas getan hat, was zum Vorteil des Wirtschaftsstandorts Deutschlands war.“ Probleme sah er nur „kurzfristig“, weil die Sozialsysteme auf weniger Ankünfte ausgelegt seien.

Realität: Eher nicht. Der anhaltende Zuzug in attraktive Sozialsysteme überfordert Staat und Akzeptanz vielerorts. In Deutschland wie anderswo gewinnen rechte Parteien an Stärke. „Dankbarkeit“ beschreibt das Mehrheitsgefühl kaum.

„Die Zuwanderung wird Deutschlands wirtschaftliche Vorreiterrolle in Europa über Jahrzehnte festigen“

Überschwänglich äußerte sich 2015 in der Zeit der Deutsche-Bank-Chefökonom David Folkerts-Landau. Der Zustrom werde Deutschlands Vormacht „auf Jahrzehnte festigen“, das Land könne wieder wissenschaftliches und kulturelles Zentrum werden. Merkels Politik sei „nach der Wiedervereinigung das Zweitbeste, was Deutschland passieren konnte“.

Realität: Heute wirkt die Prognose weltfremd. Weder kam ein Aufschwungschub, noch wurde die ökonomische Position automatisch gestärkt; bei den Wachstumsraten rangiert Deutschland im europäischen Vergleich unten.

„Viele Flüchtlinge werden die Renten der Babyboomer zahlen“

Der Ökonom Prof. Marcel Fratzscher (Humboldt-Universität zu Berliner) sagte im März 2016 der Welt: Der Arbeitsmarkt biete eine Million offene Stellen; bis 2030 gingen fünf Millionen Babyboomer in Rente: „Viele der Geflüchteten werden die Renten der Babyboomer zahlen.“

Realität: Die Integration verlief deutlich langsamer – und teurer. Nur rund 55 Prozent der damals Eingereisten fanden eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Die Kosten für die Allgemeinheit bleiben hoch; von einer „Rentenentlastung“ kann bisher keine Rede seit

Marcel Fratzscher (Bild) war sich sicher: Die Migranten werden Engpässe bei den Renten verringern.HOGAST/dietlb.de

Fratzscher räumte in der Berliner Zeitung kürzlich ein: „Meine Aussage war provokativ.“ Er präzisierte, Geflüchtete leisteten immerhin „einen Beitrag“ – nicht mehr, und das sei auch noch richtig.

Nebenbei forderte er jüngst im Spiegel ein verpflichtendes soziales Jahr für Pensionisten. Ohne Reformen drohten „katastrophale“ Folgen, warnte er gegenüber dem MDR: schwächere Sozialsysteme, steigende Lasten für die Jüngeren, geringere Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Von Flüchtlingen, die das Rentenproblem entschärfen, spricht Fratzscher nicht mehr.

„Die Flüchtlingshilfe ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in den Wirtschaftsstandort“

Post-Chef Frank Appel erklärte im Herbst 2015 in der Zeit: „Die Flüchtlingshilfe, die heute geleistet wird, ist kein Kostenfaktor, sondern eine langfristige Investition in die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“

Realität: Die fiskalischen Folgekosten (Sozialleistungen, Integrationsprogramme etc.) blieben hoch; die erhoffte Rendite dieser „Investition“ realisierte sich nur sehr begrenzt.

„Was die Flüchtlinge uns bringen, ist wertvoller als Gold“

SPD-Politiker Martin Schulz, damals EU-Parlamentspräsident, sagte: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.“ Er verwies dabei auf den „unbeirrbaren Glauben an den europäischen Traum“, den die Migranten mitbrächten.

Realität: Nüchtern betrachtet lockten vor allem Europas Sozialsysteme – das zeigt die Verteilung innerhalb der EU. Schulz’ romantisierender Blick verfing politisch nicht; als Kanzlerkandidat scheiterte er. Und die Sicherheitsdebatte, deren Ende er energisch forderte, ebbte nie ab: Mehrere Syrer und Afghanen verübten in den Folgejahren tödliche Anschläge und Messerattacken – bis heute.

Martin Schulz (SPD) sah die Einwanderung durch die rosarote Brille – die Wähler nicht.APA/AFP/Behrouz MEHRI

„Wir schaffen das!“

Der Satz der damaligen Kanzlerin Angela Merkel vom August 2015 wurde zum Mantra der Willkommenskultur.

Realität: Zehn Jahre später wirkt er wie ein nicht eingelöstes Heilsversprechen. Kritiker warnten schon damals: Europa werde sich jahrzehntelang mit den ungelösten Spätfolgen beschäftigen. Tatsächlich haben wir das alles bis heute nicht geschafft. Merkels Nachfolger und jüngere Generationen müssen sich mit den ungelösten Problemen, mit Integrationsmaßnahmen einerseits, und Abschiebungen andererseits herumschlagen.

Unklar blieb, warum Deutschland das „schaffen“ sollte. Viele „Flüchtlinge“ waren nicht einmal Syrer, sondern Afghanen oder Syrer, die schon lange in der Türkei lebten. Zahlreiche Not leidende Menschen vor Ort konnten sich Schlepper hingegen nicht leisten. EU-Spitze und Berlin hatten zuvor jahrelang die wachsenden Flüchtlingsprobleme an den EU-Außengrenzen ignoriert. Hilfsprogramme für Syrer im Libanon, in Jordanien und der Türkei wären für Deutschland deutlich günstiger und womöglich effizienter gewesen.

Als der Flüchtlingszustrom bis Anfang 2016 ungebrochen anhielt, wollte Merkel von ihrem Satz nicht abrücken, ohne gleichzeitig ein Rezept für einen Stopp zu liefern. In Österreich stiegen kurz vor Schließung der Balkanroute die Waffenkäufe auf Rekordwerte.

Viel Zuversicht bei NGOs

Auch viele Hilfsorganisationen setzten 2015 auf Optimismus. Die Caritas Deutschland warb mit: „800.000 Flüchtlinge – 800.000 Chancen.“ Michael Landau von der Caritas Österreich erklärte die Krise bei europäischer Solidarität für „bewältigbar“ und betonte Chancen und Potenziale. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, lehnte Obergrenzen strikt ab: Asyl sei ein Menschenrecht. Auch die UNO-Flüchtlingshilfe/UNHCR schaltete sich ein, um die positiven Aspekte herauszustreichen.

Realität: Seither floss sehr viel Geld – auch an NGOs. Integration kann gelingen, aber nicht im Überflug. Sprache, Bildung, Arbeit, Rückführungen und klare Regeln bleiben die harte, teure Langstrecke. Langfristig entscheidet eben nicht die Euphorie. „Der Maßstab für Politik ist, wie sie endet, nicht wie sie beginnt“, erklärte einst der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, freilich in einem anderen Zusammenhang.