Bildungsreform vor dem Crash? Wiederkehr gegen mehr Länder-Kompetenzen
Der große Bildungsumbau soll Österreich modernisieren – doch schon vor dem Start knirscht es heftig, sagen Insider. Wiederkehr pocht auf Bundeskompetenz und bremst Pläne von Ländern und Gemeinden, mehr Verantwortung zu übernehmen. Der Kompetenzstreit droht zur ersten Bewährungsprobe zu werden.
Bildungsminister Wiederkehr (Bild, NEOS) setzt auf Zentralismus statt Föderalismus – und will überdies „von der Aufholjagd auf die Überholspur“, wie er in einem Clip verrät.APA/HANS KLAUS TECHT
Die Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden wurde im Juni als „historischer Schulterschluss“ gefeiert. In Leogang war vom großen Aufbruch die Rede: Verwaltung, Energie, Gesundheit und Bildung sollten in 18 Monaten neu geordnet werden. Ende 2026 sollte Österreich moderner, schlanker, effizienter sein.
Doch kurz vor der nächsten Runde gerät bereits vieles ins Rutschen, bevor der Umbau überhaupt Fahrt aufgenommen hat – vor allem im Bildungsbereich. Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) macht deutlicher denn je, dass er zentrale Bildungskompetenzen beim Bund bündeln will – also bei sich. Genau das stößt bei Ländern, Städten und Gemeinden auf wachsenden Widerstand, wie Insider bestätigen.
Große Pläne, „cooler“ Clip – offene Fragen
Für Donnerstag hat Wiederkehr die nächste große Präsentation angekündigt: „Von der Aufholjagd auf die Überholspur“. In einem Clip lässt der Minister die User wissen: „Ich will etwas ändern.“ Die Frage ist nur: Er allein? Und mit wem? Einen Tag später tagt die Landeshauptleutekonferenz, wo über Zuständigkeiten, Geld und Verantwortung im Bildungssystem verhandelt wird. Dort entscheidet sich, ob die Reformpartnerschaft mehr ist als ein starker Auftritt mit starken Worten.
Der exxpress hat das Ministerbüro gefragt, ob die Reformpartnerschaft Teil seiner Agenda sein wird, welche Kompetenzen er abzugeben bereit ist, wie Bund, Länder und Schulen künftig zusammenspielen sollen und wie viel echte Entscheidungsmacht die versprochene Schulautonomie bringt. Bis Redaktionsschluss kam keine Antwort – aber vielleicht folgt sie noch.
„Extreme Zumutung“ – und Zentralisierung
In der ORF-Pressestunde nannte Wiederkehr den Bildungsföderalismus „lähmend“, ja eine „extreme Zumutung“. Unterschiedliche Regeln, verrutschte Zuständigkeiten und die sogenannten 15a-Vereinbarungen – Verträge zwischen Bund und Ländern, die häufig zu Mischzuständigkeiten führen – hätten ein System geschaffen, in dem niemand mehr durchblickt.
Eine logische Konsequenz wäre mehr Verantwortung „nach unten“. Doch Wiederkehr fordert ein einheitliches Bildungssystem beim Bund – von der Elementarpädagogik bis zur Matura. Kurz: mehr Machtkonzentration in Wien.
Länder wollen auch gestalten
Die Länder, der Städtebund und der Gemeindebund drängen auf klare Verantwortlichkeiten und nachvollziehbare Finanzflüsse. Schulerhaltung und Pädagogik sollen sauber getrennt werden, das Assistenzpersonal nicht länger in einem Mischsystem hängen bleiben.
Vor allem aber fordert der Gemeindebund – im direkten Gegensatz zu Wiederkehr – eine echte Kompetenzverschiebung „nach unten“. Die Gemeinden wollen die Kinderbetreuung von der Krippe bis zum Hort vollständig verantworten, mit verbindlichen Qualitätsstandards und einer Finanzierung, die nicht von der Tageslaune des Bundes abhängt. Bei den bisherigen Gesprächen kommt man sich nicht näher, heißt es, weil Wiederkehr abblockt.
Nur Etikett?
Bis Ende 2026 soll die Reformpartnerschaft substanzielle Ergebnisse liefern. In Graz hat die Arbeitsgruppe „Verfassungs- und Verwaltungsbereinigung“ bereits den „Verfahrensturbo“ vorbereitet, der ab 1. Jänner 2026 schnellere Bewilligungen bringen soll. Hinter den Kulissen mehren sich dennoch die Zweifel, ob alle Partner tatsächlich aufeinander zugehen.
Parallel wirbt Wiederkehr mit Schulautonomie: Bei der Deutschförderung sollen Schulen mehr Freiraum bekommen, neue Modelle erproben und über einen Schulleitungsbeirat stärker eingebunden werden. Angesichts sehr unterschiedlicher Herausforderungen vor Ort klingt das plausibel – die zentrale Steuerung bleibt jedoch umstritten.
Am Ende steht die Kernfrage: Wer hält das Steuer? Ein Minister, der den Föderalismus eine Zumutung nennt und auf Bundeseinheit setzt – oder Länder und Gemeinden, die als gleichberechtigte Partner eigene Spielräume samt Ressourcen verlangen? Wiederkehr will Österreichs Bildung auf die Überholspur bringen. Doch bevor jemand überholt, muss geklärt sein, wer die Richtung vorgibt – und wer bereit ist, tatsächlich Kompetenzen abzugeben.
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