Billig, schnell, tödlich: Wie Drohnen die Kriegsführung revolutionieren
Drohnen sind die neuen Marschflugkörper. Was einst Millionen kostete, gibt es heute zum Preis eines Autos. Die Ukraine wurde zum Raketenlabor, auch Russland setzt auf Serienproduktion – und der Westen hinkt hinterher. Der Paradigmenwechsel bringt die Weltordnung ins Wanken.
Drohnen im Kriegseinsatz: Billige Systeme werden zur Massenwaffe – und stellen selbst modernste Luftabwehr vor kaum lösbare Probleme.GETTYIMAGES/Anton Petrus
Was einst das exklusive Arsenal von Supermächten war, wird heute auf Alibaba bestellt. Für rund 16.000 Dollar ist ein Modellflugzeug-Triebwerk erhältlich, mit dem sich ein Marschflugkörper mit 500 Kilometern Reichweite bauen lässt. Die russische Rüstungsindustrie macht es vor: Der neue S8000 BanderoL, entwickelt vom Konzern Kronstadt, trägt einen 150-Kilogramm-Sprengkopf und fliegt mit einem handelsüblichen Triebwerk aus China. Ein radikaler Bruch mit der Tradition millionenschwerer Hightech-Waffen.
Vom „Tomahawk“ zum Massenartikel
Der amerikanische Tomahawk oder der deutsch-schwedische Taurus galten lange als Maßstab für Präzisionswaffen – zum Preis mehrerer Millionen Dollar pro Stück. Diese Zeiten sind vorbei. Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Drohne und Marschflugkörper, schreibt Telepolis in einem ausführlichen Artikel: technisch ähnliche Systeme, doch nun in Serie produzierbar und dramatisch günstiger. Militärs setzen nicht mehr auf wenige, präzise Angriffe, sondern auf Massenstarts billiger Flugkörper, die jede Abwehr überfordern sollen.
Ukraine: Innovation unter Beschuss
Nirgends ist der Innovationsdruck größer als in der Ukraine. Innerhalb von nur 16 Monaten entstand dort der Peklo-Marschflugkörper: Entwicklung ab August 2023, erste Auslieferungen im Dezember 2024. Mit 700 Kilometern Reichweite und 700 km/h Geschwindigkeit ist er weniger stark bewaffnet als westliche Systeme – dafür aber deutlich günstiger.
Am 9. September demonstrierte Kiew seine Schlagkraft: Innerhalb von 30 Sekunden schlugen mindestens fünf Peklo-Flugkörper im russisch genutzten Topaz-Elektronikwerk in Donezk ein. Die Luftabwehr war chancenlos, berichtete die Kyiv Post.
Auch Deutschland investiert kräftig: Laut Euromaidan Press finanziert Berlin nicht nur Peklo-ähnliche Raketen, sondern auch die An-196 Liutyi-Drohne. Diese kostet etwa 200.000 Dollar, fliegt 800 Kilometer weit und wird mit einem Motor aus deutscher Produktion angetrieben. Präsident Selenskyj kündigte Produktionsziele von 30.000 Langstreckendrohnen und 3.000 Raketendrohnen für 2025 an – eine achtfache Steigerung gegenüber dem Vorjahr.
Russlands Massenstrategie
Auch Moskau setzt bereits systematisch auf Masse. Die Geran-3, eine Weiterentwicklung der iranischen Shahed-Drohnen, greift seit Februar regelmäßig ukrainische Ziele an. Mit 600 km/h Geschwindigkeit und 9.000 Metern Flughöhe ist sie doppelt so schnell wie ihre Vorgänger.
Parallel arbeitet der Flugzeugbauer Sukhoi an einer neuen Drohnenfamilie: Die S-71M „Monochrome“ kann eigenständig Ziele suchen und identifizieren, während die S-71K „Carpet“ als klassischer Marschflugkörper fungiert. Beide nutzen Triebwerke, die Geschwindigkeiten von Mach 0,6 ermöglichen – und sind kompatibel mit der Kampfdrohne Suchoi S-70.
Westen im Rückstand
Während Russland und die Ukraine ihre Systeme längst im Einsatz haben, hinkt der Westen hinterher. Auf der Rüstungsmesse DSEI in London stellten Lockheed Martin und BAE Systems ein neues Drohnensystem vor – Einsatzbereitschaft frühestens 2026, so The War Zone.
Auch der US-Rüstungskonzern L3Harris testet seit 2020 seine „Wolf“-Drohnen. Ziel: ein Stückpreis von 300.000 Dollar bei 1.000 Stück pro Jahr. Doch trotz über 40 Testflügen ist das System noch nicht serienreif. Europas Rüstungsgigant MBDA will bis 2027 auf 1.000 Drohnen monatlich kommen, gemeinsam mit einem Autohersteller.
Masse statt Präzision
Die Kriegsführung erlebt einen Paradigmenwechsel: Schwärme billiger Systeme ersetzen teure Einzelwaffen. Statt einzelner millionenschwerer Marschflugkörper können Armeen nun Dutzende oder Hunderte Billigdrohnen starten. Jede zwingt den Gegner zum Einsatz teurer Abwehrmittel – ein asymmetrisches Kostenverhältnis, das die Balance kippt.
Ein Schwarm von 50 Drohnen zu je 50.000 Dollar kostet weniger als ein einziger westlicher Marschflugkörper – und kann dennoch größere Wirkung entfalten.
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