Es ist ein digitaler Käfig – gebaut mit westlicher Technik: Die Associated Press (AP) zeichnet ein dichtes Bild von Chinas digitalem Überwachungs- und Repressionsapparat – und der maßgeblichen Rolle US-amerikanischer Technologie. Zehntausende interne E-Mails, Datenbanken und vertrauliche Regierungspläne belegen: Polizei, Behörden und Überwachungsfirmen in China setzten in großem Stil auf US-Hard- und -Software. Ab 2019 bremsten Sanktionen zwar Neulieferungen, doch Wartung, Ersatzteile und Legacy-Systeme halten den Apparat bis 2025 am Laufen.

Golden Shield, scharfe Augen

Nach dem Tiananmen-Massaker – der Niederschlagung von Studenten-Protesten im Jahr 1989 – und nochmals befeuert durch 9/11 digitalisierte Peking die Polizeiarbeit. Herzstück: der „Goldene Schild“. Unterlagen zeigen eine Zusammenarbeit des Staatskonzerns Huadi mit IBM beim Ausbau – inklusive „Predictive Policing“ (Präventive Polizeiarbeit).

Ein Leitmotiv in Huadis Plan: „Die Herrschaft der Kommunistischen Partei festigen“. Marketing- und Pitch-Dokumente im Ökosystem greifen Schlagworte wie „Stabilitätswahrung“, „Schlüsselpersonen“ und „abnorme Zusammenkünfte“ auf.

Allsehende Augen: Überwachungskameras am Tian’anmen-Platz – Symbol für Chinas digitalen Kontrollstaat.APA/krazykreatives

Predictive Policing: Alles wird Daten

Kommunikation, Bewegungen, Zahlungen, DNA, Netzaktivität bis hin zu Wasser- und Stromverbrauch fließen in Datenpools, die Personen identifizieren, Risiken scoren und Alarmketten starten.

In Xinjiang wurden Menschen auf 100-Punkte-Skalen als Hoch-, Mittel- oder Niedrigrisiko eingestuft – mit Abzügen etwa für Bartwuchs, Alter 15 bis 55 oder die Zugehörigkeit zu Uiguren. Ergebnis: Vorab-Festnahmen, Druck auf Familien, langjährige Inhaftierungen.

Xinjiang: Zentrale Plattform, zentrale Macht

Die „Integrated Joint Operations Platform“ (IJOP) fusionierte Bank-, Bahn-, Telekom- und weitere Register – inklusive Verwandtschaftsbeziehungen bis in die dritte Generation. Millionen Kameras, mehr als 7.000 Polizeiposten, Rekrutierung von rund 100.000 Kräften: Der Aufbau ab 2015/2016 war rasant. In nur einer Woche 2017 flaggte die IJOP 24.412 Personen. Fehler und Bugs führten zu Falschklassifikationen – dennoch galt intern: „Computer können nicht lügen.“

US-Technik als Fundament – Stimmen und Statements

„Alles basierte auf amerikanischer Technik“, sagt der DGAP-Forscher Valentin Weber. Ein Ex-Polizist in Xinjiang fasst zusammen: „Diese Konzepte kamen alle aus dem Westen.“ Firmen wie IBM, Cisco, Oracle, Microsoft, Dell/VMWare, Intel, Nvidia, Thermo Fisher, Seagate oder Western Digital tauchen in Systemen, Verträgen, Präsentationen oder Marketing auf.

Überall im Blick: Kameracluster in PekingIMAGO/Pond5 Images

Mehrere Konzerne betonen die Einhaltung von Exportkontrollen; Microsoft erklärte, keine Hinweise auf bewusstes Mitwirken an „Golden Shield“-Updates zu haben. IBM verwies auf „alte, überholte Interaktionen“; zu heutigen Nutzungen älterer Systeme habe man keine Kenntnis.

Bei Cisco sagte die damalige Chefjuristin Katie Shay auf einer Menschenrechtskonferenz: „Viele Menschen haben unter ihren Regierungen gelitten, und ich möchte diesen Schmerz anerkennen“ – zugleich betonte sie: „Cisco bestreitet jedoch die behauptete Beteiligung.“ In der politischen Debatte um KI-Chips warnten 20 Ex-Beamte und Sicherheitsexperten jüngst vor Risiken bei Nvidia-H20-Lieferungen nach China; Nvidia entgegnete, man stelle keine Überwachungssysteme her und arbeite nicht mit der Polizei in China zusammen.

Fall Yang: Repression als Routine

Die Familie Yang aus Jiangsu illustriert, wie der Apparat außerhalb Xinjiangs greift: Hausumstellung mit mehr als einem Dutzend Kameras, Weiterleitung von Reise-, Buchungs-, Kauf- und Kommunikationsdaten, blockierte Fahrten nach Peking, Festnahmen und Übergriffe. „Jede meiner Bewegungen in meinem eigenen Zuhause wird überwacht“, sagt Yang. „Diese Überwachung lässt mich überall und jederzeit unsicher fühlen.“

2024 wurden Ehefrau und die jüngere Tochter Yang Caiying festgenommen; der Strafrahmen: bis zu zehn Jahre. Laut Anklagekostenliste (April 2025) gaben Behörden rund 37.000 US-Dollar zur Unterdrückung der „abnormen Petitionierung“ aus.

Zahlen, die bleiben

Schätzungen zufolge standen in den vergangenen zehn Jahren mindestens 55.000 bis 110.000 Menschen unter „Wohnungsüberwachung“. Analysten verorten Chinas Kameradichte bei etwa einer für zwei Personen – mehr als im Rest der Welt zusammen. In Xinjiang und Tibet gelten weitreichende Reiserestriktionen fort. Die technische Basis: US-Komponenten für Server, Speicher, Virtualisierung, Datenbanken und Chips – vielfach weiterhin gewartet.

Yang Caiying lebt heute in Japan. Sie hält fest: „Wegen dieser Technologie … haben wir überhaupt keine Freiheit.“