Brunners EU-Migrationspakt: Warum der Plan gegen illegale Migration scheitert
EU-Migrationskommissar Magnus Brunner feiert den Rückgang der illegalen Migration – doch der ist nicht sein Verdienst, sondern Folge harter Abschottungsmaßnahmen in Nordafrika. Der EU-Migrationspakt, den Brunner umsetzen soll, droht an Ausnahmen und Uneinigkeit zu scheitern – und stoppt die illegale Migration ohnehin nicht.
EU-Migrationskommissar Magnus Brunner will den Migrationspakt bis 2026 realisieren – die Erfolgsaussichten sind gering. APA/AFP/Nicolas TUCAT
EU-Migrationskommissar Magnus Brunner trat in Brüssel mit einer Erfolgsbotschaft vor die Presse: Die Zahl der illegalen Ankünfte in der EU ist in den vergangenen zwölf Monaten um 35 Prozent gesunken. Doch genau dieser „Erfolg“ ist nicht sein Verdienst. Die gesunkenen Zahlen sind in Wahrheit Folge der konsequenten Abschottungspolitik von Tunesien, Ägypten und Libyen, die Migranten mit Militär, Milizen und Gewalt von der Weiterreise nach Europa abhalten. Brüssel rühmt sich fremder Erfolge – und hat selbst kaum Kontrolle.
Auch der EU-Migrationspakt, den Brunner bis 2026 umsetzen will, hat mit diesem Rückgang nichts zu tun. Er soll vor allem die Folgen der illegalen Migration verwalten – und selbst das ist fraglich. Denn ob der Pakt tatsächlich umgesetzt wird, ist näher besehen höchst unwahrscheinlich.
Bisher nur auf dem Papier
Der Migrationspakt ist längst beschlossen – seit 2024 steht er auf dem Papier, doch funktionieren soll das neue System erst ab 2026. Er verspricht schnellere Asyl- und Grenzverfahren an den Außengrenzen, deutlich härtere Regeln für Abschiebungen abgelehnter Asylwerber und einen neuen Solidaritätsmechanismus, bei dem Staaten mit wenig Ankünften Ländern an der Außengrenze helfen müssen – entweder indem sie Migranten übernehmen oder mit Geld- und Sachleistungen einspringen.
Brunner präsentierte dazu sein „Umsetzungspaket“: einen detaillierten Fahrplan, wer in der EU wen aufnehmen, wie viel zahlen oder welche Ausnahme bekommen soll. An diesem Vorhabenskatalog wird sich entscheiden, ob der Pakt Realität wird – oder nur ein politisches Versprechen bleibt.
Österreich erhält, was lange überfällig war
Österreich zählt seit Jahren zu den am stärksten belasteten Ländern Europas. Brunners Paket bestätigt nun – endlich – offiziell, dass Österreich im Verhältnis zur Bevölkerung am meisten Asylanträge bewältigen musste. Möglicherweise will Brunner bei seinen Landsleuten zumindest als Migrationskommissar in guter Erinnerung bleiben, nachdem er als Finanzminister ein Rekordminus hinterlassen hat.
So soll Österreich – gemeinsam mit Kroatien, Polen, Tschechien, Estland und Bulgarien – von der Solidaritätspflicht teilweise oder vollständig ausgenommen werden. Das bedeutet konkret: Österreich muss vorerst keine Asylwerber aus anderen Mitgliedsstaaten übernehmen und kann seine Pflichtbeiträge reduzieren oder streichen. Es ist die späte Anerkennung einer jahrelangen Überlastung, die andere EU-Länder zuvor ignorierten. Beobachter sprechen von „nachgeholter Fairness“.
Brunner: Ein Finanzminister im schwierigsten Ressort Europas
Dass Magnus Brunner heute die europäische Migrationspolitik verantwortet, war nie vorgesehen. Als früherer Finanzminister wollte er eigentlich das Finanzressort in Brüssel übernehmen. Nach parteiinternen und internationalen Absprachen landete er jedoch im politisch explosivsten Dossier der EU. Tatsächlich vertritt Brunner nun Positionen, die der österreichischen Linie entsprechen – etwa die Unterstützung von Abschiebungen nach Syrien, Afghanistan oder Somalia, die Akzeptanz des Stopps beim Familiennachzug sowie die klare Priorisierung von Außengrenzschutz vor Umverteilung.
Sein Problem: Er muss ein System verteidigen, das auf Kompromissen, Ausnahmen und politischen Widersprüchen aufgebaut ist.
Der Solidaritätsmechanismus – ein System voller Schieflagen
Das Kernstück des neuen Pakts ist der Solidaritätsmechanismus, der jährlich 30.000 Geflüchtete aus südlichen EU-Staaten auf andere Länder verteilen soll. Wer keine Menschen übernehmen will, kann alternativ Personal entsenden oder rund 20.000 Euro pro nicht aufgenommener Person zahlen. Kritiker bezeichnen dieses Modell als „Nimm-Migranten-oder-zahl“-System.
Der frühere deutsche EU-Abgeordnete Nicolaus Fest (ehemals AfD) warnte: Der Pakt werde „kaum etwas ändern“, da Rückführungen weiterhin nicht funktionieren und die EU die illegale Migration nur verwaltet, statt sie einzudämmen. Ungarn und Polen sprechen sogar offen von politischer Nötigung. Das strukturelle Problem: Wohlhabendere Länder können sich freikaufen, während ärmere Staaten unter politischen Druck geraten.
Neue EU-Kategorien schaffen mehr Verwirrung als Ordnung
Die Kommission teilt die EU-Staaten nun in drei Gruppen ein: Länder wie Italien, Griechenland oder Zypern gelten als Staaten mit „hohem Migrationsdruck“. Länder wie Österreich, Polen oder Kroatien werden als Staaten mit „signifikanten Problemen“ bezeichnet. Deutschland und Frankreich wiederum gelten als „gefährdet“ und erhalten prioritäre Unterstützung, müssen aber grundsätzlich solidarisch beitragen.
Diese Kategorisierung wirkt weniger wie ein strukturiertes System und mehr wie ein politisches Flickwerk, das Europas Uneinigkeit überdeutlich macht. Der slowakische Premier Robert Fico bezeichnete den Mechanismus als „Diktat aus Brüssel“, während Tschechiens Wahlsieger Andrej Babiš von einem „Verrat an nationalen Interessen“ spricht.
Ein Pakt, der die EU spaltet statt eint
Die Liste prominenter Kritiker ist lang. Ungarns Premier Viktor Orbán nennt den Pakt einen „Nagel im Sarg der EU“. Außenminister Péter Szijjártó bekräftigt: Ungarn werde die Grenzsicherung nicht aus der Hand geben, egal was Brüssel beschließt. Polens Ex-Premier Mateusz Morawiecki hält das Modell für „ein Desaster“. Auch sein Nachfolger Donald Tusk will den Migrationspakt nicht in Form von Umverteilungsquoten umsetzen, schließlich habe Polen bereits sehr viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und werde deshalb keine zusätzlichen Kontingente akzeptieren.
Selbst interne EU-Dokumente warnen, dass der Pakt politisch fragil ist und die Unterstützung der Mitgliedsstaaten brüchig bleibt. Die Migration ist und bleibt eines der am stärksten polarisierenden Themen Europas – und der neue Pakt verstärkt diese Bruchlinien eher, als dass er sie schließt.
Stoppt der Pakt die Migration – oder sortiert er sie nur neu?
Einer der einflussreichsten Migrationsexperten Europas, der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus – Architekt des EU-Türkei-Deals und Leiter der European Stability Initiative – warnt vor überzogenen Erwartungen an den neuen Pakt. Er erklärt in mehreren Interviews und Gastbeiträgen, dass der Pakt die illegale Migration kaum reduzieren werde: Die Grenzverfahren seien auf begrenzte Kapazitäten ausgelegt, viele Ankommende würden weiterhin gar nicht erfasst, die Zentren wären schnell überlastet, und Rückführungen scheiterten nach wie vor an Herkunftsstaaten, die niemand zurücknehmen wollen. Knaus spricht in diesem Zusammenhang von einer „illusionären Kontrolle“, weil der Pakt die entscheidenden Hebel gar nicht bediene.
Der aktuelle Rückgang der illegalen Migration hat daher andere Gründe als den Migrationspakt: Tunesien will kein Transitland mehr sein, Ägypten nutzt Migrationskontrolle als politisches Druckmittel und libysche Milizen verhindern mit Gewalt, dass Boote ablegen. Dabei werden sie von einzelnen EU-Staaten – vor allem Italien, aber auch Deutschland und Frankreich – unterstützt, und Brüssel hat strategische Partnerschaftsabkommen mit diesen Regimen geschlossen. Europa wird dadurch entlastet, doch die eigentliche Kontrolle liegt klar außerhalb der EU.
Ein Pakt, der schon wackelt, bevor er startet
Brunners Modell ist strukturell fragil. Die neuen Kategorien wirken konstruiert und kaschieren tiefe politische Gräben. Der Solidaritätsmechanismus schafft neue Konflikte, anstatt alte zu lösen. Ein weiterer entscheidender Punkt bleibt: Der Pakt stoppt die illegale Migration nicht – er verwaltet sie nur. Und: Die EU hat schon in den Jahren 2015 und 2016 versucht, Flüchtlinge innerhalb Europas zu verteilen – das Ergebnis war ernüchternd. Polen nahm 2015 eine kleine Gruppe syrischer Christen auf, doch schon nach kurzer Zeit war rund die Hälfte weiter nach Deutschland gezogen. Wer solche Erfahrungen gemacht hat, glaubt nicht mehr daran, dass sich Menschen per EU-Beschluss „festhalten“ lassen.
Bis 2026 muss Brunner beweisen, dass dieser Pakt mehr ist als ein Hoffnungsprojekt. Derzeit spricht vieles dafür, dass das System zu schwach, zu widersprüchlich und zu kompliziert ist, um echte Wirkung zu entfalten. Wenn der Trend hält, dann wird Europas illegale Migration nicht durch Brunners Pakt sinken – sondern durch die Politik anderer Staaten außerhalb der EU.
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