Die COP30 im brasilianischen Belém sollte eine historische „Konferenz der Wahrheit“ werden – ein Moment globaler Entscheidungen über Kohle, Öl und Gas. Doch stattdessen erlebt die Weltöffentlichkeit einen politischen Offenbarungseid. Die internationale Klimapolitik wankt – und Belém macht das deutlicher als jede Konferenz zuvor.

Die große Leerstelle: Weltmächte bleiben fern

Fritz Vahrenholt, ehemaliger SPD-Umweltsenator, Ex-RWE-Manager und heute einer der schärfsten Kritiker der deutschen Klimapolitik, sieht einen Epochenbruch: „Kein Staatschef der vier größten CO₂-emittierenden Nationen China, USA, Indien und Russland lässt sich in Belem sehen.“

Fritz Vahrenholt: Der Honorarprofessor für Chemie an der Uni Hamburg und ehemalige SPD-Politiker zählt seit Jahren zu den schärften Kritikern der grünen Energie- und Klimapolitk.Fritz Vahrenholt/Porträt

Besonders brisant: Die USA schicken – im Gegensatz zu Russland – nicht einmal eine offizielle Delegation – ein Vorgang, den internationale Medien als historischen Bruch bezeichnen. Belém beginnt mit einer Lücke, die kein Verhandlungstisch der Welt schließen kann.

Klimapolitik unter Druck: „Die ganze Welt hat genug“

Bereits vor der Konferenz meinte die New York Times: „Die ganze Welt hat genug von der Klimapolitik.“ Die Realität bestätigt es: Viele Delegationen sind nur symbolisch vertreten. Von der Aufbruchsstimmung der Pariser Jahre bleibt nichts.

Sogar Bill Gates dämpfte die Erwartungen und stellte plötzlich Wohlstand vor Klimadruck. Für Vahrenholt „ein Paukenschlag.“ US-Kommentator Glenn Beck kommentierte: „Es geht nicht um Wissenschaft, es geht um Trump.“ Vahrenholt erläutert dazu in seinem Newsletter: „Es geht nicht um Überzeugung, es geht um Schadensbegrenzung für das eigene Unternehmen, das milliardenschwere Investitionen in Rechenzentren in den USA und der Welt plant. Und die werden nach Lage der Dinge kurzfristig auf Strom aus neuen Gaskraftwerken zurückgreifen müssen“.

Nur ein Drittel liefert – und fast alle setzen auf Öl, Gas, Kohle

Die UNO verlangte neue Berichte über die fossile Zukunft der Staaten. Vahrenholt: „Nur ein Drittel gab überhaupt eine Erklärung ab.“ Und noch brisanter:„Die meisten Staaten meldeten weiter steigenden Einsatz von Kohle, Öl und Gas.“ Die Zahlen von 2015 bis 2030 zeigen einen deutlichen Anstieg: Plus 30 Prozent bei Kohle, plus 25 Prozent bei Öl und plus 40 Prozent bei Gas.

Damit ist klar: Während Belém über Ausstieg redet, läuft global längst der fossile Ausbau.

Auch Microsoft-Gründer Bill Gates lenkt ein. Im BIld: Gates (r.) bei einem Dinner im Weißen Haus – ihm zur Seite: US-Präsident Donald Trump (l.) und First Lady Melania Trump.APA/AFP/SAUL LOEB

Fossiler Turbo in Asien – Ausbau statt Ausstieg

Die Schwellenländer setzen auf Wachstum, nicht auf Verzicht: China baut Kohlekraftwerke im Rekordtempo. Indien meldet historische Höchststände in der Kohleförderung. Japan hält Gas und Kohle bis 2030 für systemrelevant.

Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft der Welt, meint dazu: „Die fossile Ära ist keineswegs zu Ende. Global findet keine Energiewende statt, eher Energie-Addition: Erneuerbare obendrauf, Fossile nicht weg.“

Europa bleibt allein – und sperrt sich selbst in die Falle

Vahrenholt schreibt: „Nur Europa hält unerschütterlich fest am Ziel, in 2050 Netto Null CO₂ auszustoßen.“ Deutschland geht noch weiter: Klimaneutralität bis 2045. Bojanowski analysiert das vernichtend: „Ein selbstzerstörerischer Plan.“ Und:
„Deutschlands Energiepolitik wurde als die ‚dümmste der Welt‘ bezeichnet.“

Sein Grund: Im EU-Emissionshandel werden deutsche Einsparungen automatisch in anderen EU-Ländern verbraucht. Deutschland spart – andere erhöhen.

Das Pariser Abkommen – Europa kämpft allein, der Rest hat sich verabschiedet

Das Pariser Abkommen entfaltet kaum noch Wirkung, schreibt Bojanowsk. Nach dem Ausstieg der USA stammen nur noch etwas mehr als 14 Prozent der globalen Emissionen aus Ländern, die sich zu verbindlichen Reduktionen verpflichtet haben. Das Abkommen existiert auf dem Papier weiter, aber der politische Kern ist leer.

Während sich weltweit ein pragmatischerer Klimakurs durchsetzt – von China bis Kanada, von Australien bis Japan –, hält nur die Europäische Union stur an strikten Vorgaben fest. Bojanowski schreibt, die COP30 sei zu einer „Demütigung“ Europas geworden, weil die EU als einziger Industrieraum an Zielen festhalte, die außerhalb Europas niemand mehr verfolgt.

Deutschland macht weiter wie bisher

Deutschland wiederum verschärft diesen Kurs sogar noch, als wäre die Welt unverändert auf Pariser Linie. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, was Bojanowski als „selbstzerstörerischen Plan“ bezeichnet. Die Emissionsreduktionen, die Deutschland teuer durchsetzt, tauchen über den europäischen Emissionshandel in anderen EU-Ländern sofort wieder auf. Deutschland spart – und andere verbrauchen.

Fritz Vahrenholt kritisiert Kanzler Friedrich Merz (Bild): Die Regierung verkenne die dramatische Lage der deutschen Industrie und halte stur an der grünen Klimapolitik fest.APA/AFP/Mauro PIMENTEL

Im Ergebnis bleibt die europäische Klimapolitik nicht nur folgenlos, sie richtet wirtschaftlichen Schaden an: Die Industrie wandert ab, energieintensive Produktion bricht ein, und Deutschland steckt seit drei Jahren in einer Rezession. Die Klimapolitik entfalte, wie er schreibt, „Wirkung – aber nicht fürs Klima, sondern gegen die eigene Wirtschaft“.

Chinas Vorteil – Deutschlands Fehler

Während Deutschland seine eigenen Kernkraftwerke abschaltete, hat China eine völlig entgegengesetzte Strategie gewählt. Bojanowski beschreibt sie mit einem Satz, der zum geopolitischen Leitmotiv geworden ist: „Erst Neues errichten, dann Altes abbauen.“

Dieses Prinzip macht China weltweit zur Energie-Supermacht: Es baut erneuerbare Kapazitäten aus, produziert Solar- und Windtechnologie im industriellen Maßstab – und tut dies auf Basis billiger fossiler Energie. Deutschland hingegen hat „erst Altes abgebaut“ und versucht nun, eine neue Energieinfrastruktur unter hohem Zeitdruck aufzubauen. Der Unterschied tritt deutlicher denn je zutage.

Brasilien: Grüne Rhetorik – fossile Realität

Der Gastgeber Brasilien zeigt selbst ein Beispiel für die global veränderte Prioritätensetzung. Offiziell präsentiert das Land sinkende Entwaldungszahlen. Gleichzeitig genehmigt Präsident Lula neue Offshore-Ölprojekte und große Infrastrukturvorhaben im Amazonasgebiet.

Brasiliens Präsident Lula da Silva (Bild) spielt als Gastgeber den Klima-Vorreiter. Die Realität sieht anders aus.APA/AFP/Pablo PORCIUNCULA

Dieser Widerspruch ist kein Einzelfall, sondern steht stellvertretend für die weltweite Entwicklung: Umweltpolitik bleibt kommunikativ relevant, aber ökonomische Interessen dominieren die Praxis.

Der globale „Greenlash“ – Widerstand gegen Klimapolitik wächst

Parallel dazu erleben westliche Staaten eine neue politische Gegenbewegung. Bauernproteste in der EU richten sich offen gegen neue Umweltauflagen. In vielen Ländern versterkt sich der Rückhalt für Parteien, die strikte Klimapolitik ablehnen. Die Menschen sorgen sich um Energiepreise, Inflation, Migration und soziale Sicherheit – und nicht um ein abstraktes Klimaziel für 2040 oder 2050.

Belém zeigt näher besehen vor allem eines: Die Zeit des grünen Konsenses ist vorbei.

Das CBS-Blutbad: Auch Medien ändern den Kurs

Ein weiteres Signal kam aus der Medienbranche. CBS News streicht fast 100 Stellen. Bei dem Kahlschlag trifft es ausgerechnet die Klima-Redaktion mit voller Wucht: CBS hat fast die komplette Klima-Einheit zerschossen – es bleibt nur der Umweltkorrespondent David Schechter zurück – praktisch ohne Team. Auch die bisherige Chefin des Klimadesks, Tracy Wholf, ist draußen. Damit ist die organisierte Klimaberichterstattung von CBS News de facto ausgelöscht – übrig bleibt ein einzelner Reporter im Trümmerfeld.

Dass diese massiven Einschnitte kurz vor dem Klimagipfel stattfinden, wirkt wie eine symbolische Fußnote: Auch in den Medien verlagern sich die Prioritäten weg von der teuren globalen Klimapolitik. Nur Europa kämpft weiter – die Welt jedoch kämpft längst andere Kämpfe.