Mehr Schutz gefordert: Frauen und Kinder leiden besonders in der Corona-Krise
In Österreich wird jede fünfte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Besonders ist das Thema zuletzt im Lockdown in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, Stichwort: häusliche Gewalt. Maria Rösslhumer, die Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, zieht im Interview mit dem eXXpress Bilanz nach einem Jahr Corona-Krise und fordert mehr Sensibilisierung für die Behörden.
„Frauen werden immer noch zu wenig geschützt“, bringt es Maria Rösslhumer auf den Punkt. Erst vor wenigen Wochen wurde eine 28-jährige Frau in Wien-Favoriten brutal ermordet – es ist der vierte Femizid in diesem Jahr, fünf weitere Frauen wurden Opfer von Mordversuchen bzw. schwerer häuslicher Gewalt. Zuletzt eine junge Trafikantin aus dem Wiener Gemeindebezirk Alsergrund. Sie wurde von ihrem Ex-Partner mit Säure überschüttet. Rösslhumer ist mehr als beunruhigt, weil auch die Schwere der Gewalttaten drastisch zunimmt. Bestätigt wurde diese Entwicklung kürzlich auch von der Polizei und den Gewaltschutz-Zentren Oberösterreich: Man betreut mittlerweile bis zu 20 Frauen pro Jahr, bei denen massive Gefahr besteht, dass sie durch ihren Partner schwer verletzt werden. Die Fälle von Betretungs- und Annäherungsverboten sind um 20 Prozent gestiegen. Das bereitet auch der Politik Sorgen: „Gerade in Zeiten einer globalen Pandemie, wenn das Leben sehr stark in den eigenen vier Wänden stattfindet, war es mir von Anfang an wichtig, alles dafür zu tun, dass die Gewaltschutz-Einrichtungen geöffnet bleiben“, betonte Frauenministerin Susanne Raab anlässlich des Europäischen Tags der Kriminalitätsopfer. Denn oft können Opfer häuslicher Gewalt aufgrund fehlender Sozialkontakte nicht auf ihr Problem aufmerksam machen. Im Interview mit dem eXXpress zieht Maria Rösslhumer Bilanz und fordert mehr Aufklärung und damit einhergehende Sensibilisierung für die Behörden.
Corona verschärft die Situation für Frauen massiv. Die aktuellen Entwicklungen sind mehr als beunruhigend. Wie fällt Ihre Bilanz nach einem Jahr Corona-Pandemie aus?
Rösslhumer: “Anfangs wurde noch kalmiert, fast verharmlost. Im Sommer hat man dann gesehen, dass die Zahl der Wegweisungen bereits um 22 Prozent angestiegen ist. Alleine bei unserer Helpline haben vor allem zwischen März und Juni um 71 Prozent mehr Frauen angerufen. Letzteres hat sicher auch mit allgemeiner Unsicherheit zu tun, aber die Spannung war auch das ganze Jahr über zu spüren, vieles hat sich zugespitzt. Die Zahl der gewaltbetroffenen Frauen, die sich bei uns gemeldet haben, stieg um 40 Prozent. Besonders die psychische Gewalt ist durch die Decke gegangen.”
Wie ist die Situation aktuell in den Frauenhäusern vor Ort?
“Ich habe erst kürzlich einen Rundruf gemacht: Die meisten sind fast voll. Vorarlberg ist seit Wochen ausgelastet, dort mussten mittlerweile Ausweichquartiere organisiert werden.”
Auch die Zahl der Wegweisungen ist gestiegen…
“Die hat sich zwar etwas erhöht, aber wir haben mitbekommen, dass es oft auch nicht zu Wegweisungen kam, sondern dass die Polizei mehr auf Streitschlichtung gesetzt hat. Das lag vermutlich daran, dass man aufgrund des Lockdowns nicht wusste, wohin mit den Männern, wenn sie weggeschickt wurden. Welche Tendenz wir auch beobachten: Dass Frauen, wenn sie Anzeige erstatten wollen, von der Polizei manchmal nicht korrekt behandelt werden, ihre Aussagen nicht aufgenommen werden. Das kann einfach nicht sein, das darf nicht passieren. Ich will da nicht alle anprangern, viele Polizisten leisten gute Arbeit. Ich glaube aber grundsätzlich, dass die Polizei wieder besser geschult werden müsste zum Thema häusliche Gewalt. Aber da braucht es die Unterstützung von oben – und wir brauchen die auch. Ich habe Innenminister Karl Nehammer die zehn gravierendsten Fälle übermittelt, wo der polizeiliche Opferschutz im vergangenen Jahr nicht ausreichend gelaufen ist. Er hat sich bedankt und versprochen, sie zu überprüfen. Wirklich Konkretes ist noch nicht passiert.”
Was fordern Sie von der Regierung?
“Zu handeln, damit die Exekutive im Bereich Opferschutz gut arbeiten kann. Dass wir als Frauenhäuser wieder in die Ausbildung eingebunden werden. Wir haben für Seminare in der Grundausbildung der Exekutive, wo früher ein Trainer von der Sicherheitsakademie, jemand vom Gewaltschutzzentrum und jemand von den Frauenhäusern dabei war, einfach keine Verträge bekommen. Wir haben diesen Wegfall der Frauenhäuser immer wieder beanstandet. Es braucht ein institutionelles Zusammenspiel beim Gewaltschutz, das gilt genauso für die Justiz. Und es muss mehr Aufklärung und Bewusstseinsarbeit passieren.”
Stichwort Aufklärung und Sensibilisierung: Kürzlich etablierte die „Canadian Women’s Foundation“ ein Handzeichen, mit dem Opfer von häuslicher Gewalt bei Videokonferenzen auf ihre Situation aufmerksam machen können. In Spanien und Frankreich gilt das Codewort „Maske-19“ in Apotheken als unauffälliger Hilfeschrei. Wie sinnvoll wäre es, auch in Österreich so etwas zu etablieren?
“Grundsätzlich ist das gut, aber es reicht nicht, ein Zeichen in die Welt zu setzen, wenn dann nur wenige wissen, was es bedeutet. Ich finde es auch wichtig, das Personal, das mit diesem Code konfrontiert wird, zu schulen, wie sie in weiterer Folge mit den Betroffenen umgehen. Das sind ja keine Expertinnen und Experten. Solche Initiativen müssen vom Staats kommen und gut gemeinsam mit Opferschutzeinrichtungen kampagnisiert werden.”
Wenn Sie von häuslicher Gewalt betroffen sind, bekommen Sie hier Hilfe:
Frauenhelpline: 0800/222 555
Männernotruf: 0800/246 247
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