Den USA und Europa gehen die Waffen für die Ukraine aus
Die Waffenbestände der NATO-Mitgliedsländer gehen im Zuge des Ukraine-Krieges zur Neige. Nun sollen sie wieder aufgefüllt werden. Doch die Produktion von Kriegswaffen hochzufahren, ist weder schnell noch einfach zu bewerkstelligen.
Die 155-Millimeter-Haubitze ist eine schwere Langstreckenwaffe, die zurzeit auf den Schlachtfeldern der Ukraine eingesetzt wird. In Friedenszeiten produziert die US-Waffenindustrie um die 30.000 Schuss pro Jahr. Die ukrainischen Soldaten verbrauchen diese Menge innerhalb von zwei Wochen, sagt Dave Des Roches, leitender Militärwissenschaftler an der U.S. National Defense University. Er ist beunruhigt.
Gegenüber dem TV-Sender CNBC warnt er: „Solange wir keine neue Produktion haben, die Monate braucht, um hochzufahren, werden wir nicht in der Lage sein, die Ukrainer zu versorgen.”
„Die Vorräte der meisten EU-Staaten sind aufgebraucht“
Nicht anders ist die Lage in Europa. „Die militärischen Vorräte der meisten [europäischen NATO-] Mitgliedstaaten sind, ich würde nicht sagen erschöpft, aber zu einem großen Teil aufgebraucht, weil wir den Ukrainern viele Kapazitäten zur Verfügung gestellt haben“, sagte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hielt daher am Dienstag eine Sondersitzung der Rüstungsdirektoren des Bündnisses ab, um zu erörtern, wie die Waffenbestände der Mitgliedsländer wieder aufgefüllt werden können.
Militäranalysten sehen ein grundlegendes Problem: Die westlichen Länder haben in Friedenszeiten viel weniger Waffen produziert, da sich die Regierungen dafür entschieden haben, die sehr teure Produktion zu reduzieren und nur bei Bedarf Waffen herzustellen. Einige der Waffen, die nun zur Neige gehen, werden nicht mehr produziert, und für ihre Herstellung sind hochqualifizierte Arbeitskräfte und Erfahrung erforderlich – Dinge, die im gesamten US-Produktionssektor seit Jahren Mangelware sind.
Einige Waffen aus den USA von entscheidender Bedeutung
Die USA sind mit Abstand der größte Lieferant von Militärhilfe für die Ukraine und haben seit dem Einmarsch Moskaus Ende Februar Waffenpakete im Wert von 15,2 Milliarden Dollar bereitgestellt. Einige der in den USA hergestellten Waffen waren für die Ukrainer von entscheidender Bedeutung, neben der bereits erwähnten 155-mm-Haubitzen auch die schwere Langstreckenartillerie wie das von Lockheed Martin hergestellte System HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System).
Nun haben die USA im Wesentlichen keine 155-mm-Haubitzen mehr, die sie der Ukraine zur Verfügung stellen könnten. Um weitere zu liefern, müssten sie auf ihre eigenen Bestände zurückgreifen, die aber für US-Militäreinheiten reserviert sind, und die sie für die Ausbildung und Bereitschaft nutzen. Das ist No-Go für das Pentagon, sagen Militäranalysten.
Reichweite ist in einem Artilleriekrieg entscheidend
Für die ukrainischen Streitkräfte bedeutet dies: Einige ihrer wichtigsten Kampfmittel – wie die 155-mm-Haubitze – werden durch ältere und weniger optimale Waffen wie die 105-mm-Haubitze ersetzt werden müssen, die eine geringere Nutzlast und eine kürzere Reichweite hat.
„Und das ist ein Problem für die Ukrainer“, sagt Des Roches, denn „die Reichweite ist in diesem Krieg entscheidend. Dies ist ein Artilleriekrieg.“
Engpässe bei sämtlichen Waffen
Zu den anderen Waffen, auf die die Ukraine angewiesen ist und die im US-Bestand als “begrenzt” eingestuft sind, gehören HIMARS-Raketenwerfer, Javelin-Raketen, Stinger-Raketen, die Haubitze M777 und 155-mm-Munition.
Auch hier gibt es Engpässe. Die von Raytheon und Lockheed Martin hergestellte Javelin etwa hat in der Ukraine eine ikonische Rolle erlangt: Die von der Schulter abgefeuerte, präzisionsgelenkte Panzerabwehrrakete war bei der Bekämpfung russischer Panzer unverzichtbar. Die Produktion in den USA ist jedoch mit etwa 800 Stück pro Jahr gering, und Washington hat nach Angaben der Denkfabrik Center for Strategic and International Studies in der Zwischenzeit etwa 8500 Stück in die Ukraine geliefert – mehr als die Produktion eines ganzen Jahrzehnts.
„Müssten Verteidigungsindustrie auf kriegstaugliche Basis stellen“
Das Pentagon hat neue Javelins im Wert von Hunderten von Millionen Dollar bestellt, aber das Hochfahren braucht Zeit. „Wir müssen unsere Verteidigungsindustrie auf eine kriegstaugliche Basis stellen“, sagte Des Roches. „Und ich sehe keine Anzeichen dafür, dass wir das getan haben.“
Das US-Verteidigungsministerium wies die Behauptung zurück, dass die Waffenvorräte der USA für die Ukraine zur Neige gehen würden. „Das Ministerium hat der Ukraine einen Mix von Fähigkeiten zur Verfügung gestellt – wir und sie sind nicht übermäßig abhängig von einem einzigen System“, sagte Jessica Maxwell, Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Das Pentagon arbeitet nun mit der Industrie zusammen, um die erschöpften Bestände „beschleunigt wieder aufzufüllen“.
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