Dokustelle Politischer Islam warnt: „Das Feindbild ist die westliche Gesellschaft“
Der neue Jahresbericht der Dokumentationsstelle Politischer Islam lässt aufhorchen: Nahost-Kriege überschwappen nach Europa, immer jüngere Teenager radikalisieren sich online. Islamistische Influencer und „Lifestyle-Salafisten” geben sich oft modern. Die Mitarbeiter warnen: „Extremismus ist kein Randthema – wir finden ihn mitten in unserer Gesellschaft.“
Zwei bekannte Gesichter des deutschen Influencer-Islamismus: Hanna Hansen und Sven Lau. Hansen war bei der MIss Germany-Wahl 2004 Zweitplatzierte.IMAGO/Hanno Bode
Der Westen als gemeinsames Feindbild, ein Hinüberschwappen der Nahost-Konflikte nach Europa und ein Erstarken des Online-Islamismus: Das sind die drei großen Haupterkenntnisse des neuen Jahresberichts 2024 der Dokumentationsstelle Politischer Islam (DPI). „Dieser Bericht ist nicht nur eine wissenschaftliche Analyse, er ist auch ein Warnsignal“, sagt Ferdinand Haberl, der stellvertretende Direktor der DPI.
Der Bericht zeige, wie stark „Extremismus, Ideologien und globale Konflikte unser Land“ berühren. „Extremismus ist kein Randthema, denn wir finden ihn in unserer Gesellschaft“, fährt Haberl fort. Der Jahresbericht mache deutlich, dass religionsmotivierter Extremismus ein Teil „transnationaler Dynamiken“ geworden ist.
Nahost-Konflikte werden nach Europa getragen
Die erste Kern-Erkenntnis ist, dass Konflikte, beispielsweise in Syrien oder Afghanistan, nach Europa überschwappen und auch hierzulande Auswirkungen haben. Der Grund dafür sind Online-Communitys, die in Minutenschnelle über die Ereignisse berichten. Der Sturz des Assads-Regime in Syrien und die Regierungsübernahme durch das islamistische Bündnis HTS, an deren Spitze der Ex-Dschihadist Ahmed al-Schaara steht, führten etwa auch in Österreich zu Demonstrationen und Anfeindungen unter unterschiedlichen syrischen Minderheiten (der exxpress berichtete).
„Das hat Auswirkungen auf das Zusammenleben und kann von Akteuren des politischen Islams bewusst zur Polarisierung der Gesellschaften hier vor Ort führen. Es führt auch dazu, dass Minderheiten aus diesen Regionen hierzulande unter Druck kommen“, sagt Lisa Fellhofer, Direktorin der Dokumentationsstelle, während der Pressekonferenz. Islamistische YouTuber und Influencer befeuerten den Krieg in Gaza, beispielsweise. Dadurch schwappe extremistische Propaganda auch nach Österreich und Europa, sagt Haberl. Extremistische Gruppen nutzten internationale Konflikte gezielt, um hierzulande junge Menschen zu mobilisieren.
Gemeinsames Feindbild: Der Westen
Das zweite Ergebnis ist, dass es eine zunehmende ideologische Verschränkung gibt zwischen islamistischen Akteuern wie Vereine, Moscheen oder Influencern gibt. Der Westen und die säkulare Gesellschaft sei das gemeinsame Feindbild aller islamistischer Gruppierungen. Es gebe einen „Widerstand gegen den Westen“ über „verschiedene Grenzen hinweg“, betont Fellhofer.
Als dritten Hauptpunkt nannte die Direktorin eine Erstarkung des Islamismus in den Online-Welten. „Influencer mit radikalen Botschaften überscheiden differenzierte Stimmen“, sagt Haberl dazu. Die Namen einzelner Kanäle: „Generation Islam“, „Realität Islam“ oder „Muslim Interaktiv“. Hier werden einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen gegeben. Seit neuester Zeit präsentieren sich die „Lifestyle-Salafisten“ auch zunehmend modern. Sie bieten Merchandise wie Kleidung, Literatur oder Körperpflege-Produkte an.
„Antiwestliche, emotional aufgeladene Inhalte"
Islamistische Influencern, Imamen und Gruppen, die stark in den sozialen Medien präsent sind, schließen sich zunehmend auch zu gemeinsamen Aktivitäten zusammen, wie beispielsweise Demonstrationen gegen angebliche Diskriminierung und Unterdrückung von Muslimen im Westen. Auch Netzwerktreffen finden statt. Das zeigt: Es gibt eine Verschränkung zwischen Online- und Offline-Welten.
Darüber hinaus beobachte die DPI, dass sich das „Phänomen Islamismus“ wandle. Er entwickle sich weg von religiöser Sprache, aber auch von theologischen Inhalten. Stattdessen nehme Emotionalisierung zu und eine Verschränkung des Politischen Islams mit Nationalismus und Fragen der Identität. „Heute geht es um antiwestliche, emotional aufgeladene Inhalte, Erzählungen, die antiwestlich sind, die emotional vor allem jungen Menschen erreichen“, sagt Mouhanad Khorchide, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der DPI.
Immer Jüngere radikalisieren sich
Das Phänomen verschiebe sich von einer rein intellektuellen, religiösen Debatte hin zu einer emotionalen Identität. Auch werden die Personen, die sich radikalisieren immer jünger – oft sind sie erst 13 oder 14 Jahre alt. Soziale Medien sind spielen eine entscheidende Rolle bei der Rekrutierung, ist eine Erkenntnis des Berichts.
Khorchide ein strukturelles Problem beim Namen: „Es gibt über 100 Lehrstühle im deutschsprachigen Raum zum Thema Rechtsextremismus, aber keinen einzigen zum Thema Islamismus oder zum Thema Politischen Islam“. Deshalb existiere in deutschsprachigen Ländern eine große Forschungslücke über den Islamismus-Komplex. Laut Khorchide würde die neue deutsche Regierung unter Friedrich Merz (CDU) die Arbeit der DPI beobachten und politische Stimmen laut werden, die eine ähnliche Einrichtung auch in Deutschland wünschen.
Muslimbruderschaft verbieten?
Mit politischen Handlungsempfehlungen hält sich das DPI zurück. Der exxpress wollte während der Schluss-Fragerunde von den Mitarbeitern wissen, ob sie eine europäische Einstufung der islamistischen Muslimbruderschaft als Terrororganisation begrüßen würde. Unlängst äußerte US-Außenminister Marco Rubio, dass in den USA diese Einstufung derzeit im Gange sei.
„Es wird wahrscheinlich eine Schwierigkeit darstellen“, antwortet Fellhofer. Die Muslimbruderschaft operiere legal und setze bewusst auf nicht-gewalttätige Erreichung ihrer Ziele. Haberl ergänzt aber: „In Jordanien beispielsweise, oder in Gaza, vertreten durch die Hamas, ist Gewalt sehr wohl eine Option, auch für die Mulimbruderschaft. Das muss bei so einer Erwägung mitbedacht werden“. Khorchide sagte zur Frage von exxpress, dass das Gedankengut sich weiter verbreite trotz Einschränkungen und Einstufungen und längst außerhalb von Gruppen wie die Muslimbruderschaft Fuß gefasst habe.
Thema „definitiv" relevant auf europäischer Ebene
Fellhofer ergäntzte gegenüber dem Onlinemedium: „Man muss sich juristisch bewusst sein, dass eine Einstufung der Muslimbruderschaft als Terrororganisation schwieriger sein wird als bei einer Organisation, die zu physischen Terror wie Mordanschlägen in Europa aufruft. Eine Organisation, die am rechtlichen System partizipiert und so ihren Weg durch die Institutionen macht – das wird schwieriger, da muss man sich ansehen, ob gegen Grundrechte verstoßen wird oder versucht wird, die Europäische Menschenrechtskonvention auszuhebeln“. Das Thema sei „definitiv“ relevant auf europäischer Ebene, weil der Politische Islam grenzübergreifende Akteure und Netzwerke habe.
Kommentare