„Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“ — 1997 ging Recep Tayyip Erdogan fürs Rezitieren dieses Gedichtes für zehn Monate wegen Verhetzung ins Gefängnis und verlor sein Amt als Istanbuler Bürgermeister. Mittlerweile arbeitet er als Staatschef an der Realisierung seiner Vision. Und die beschränkt sich nicht auf die Türkei. Sein Werkzeug: Die ihm direkt unterstellte Religionsbehörde und deren Chef Ali Erbas.

Diyanet arbeitet gerade den aktuellen Fünfjahresplan ab. Der „Stratejik Plan 2024-2028“ belegt Schwarz auf Weiß die von türkischen Behörden und islamischen Verbänden bestrittenen Versuche einer Indoktrination von außerhalb der Türkei lebenden Muslimen im Sinne von Erdogans islamistischer Ideologie.

Betreiben eine islamistische Auslandsoffensive: Türken-Präsident Erdogan (l.) und Diyanet-Chef Ali Erbas.Diyanet/Bild

Menschheit mit Koran und Sunna beglücken

Der 95-seitige Strategieplan soll, so Erdogan im Vorwort, „der gesamten Menschheit, insbesondere jungen Menschen, die Möglichkeit bieten, unter der Führung von Koran und Sunna die islamische Zivilisation kennenlernen und ein entsprechendes Bewusstsein zu entwickeln“. Behördenchef Erbas wiederum stellt eingangs fest, dass „der Islam die einzige Religion ist, die zufriedenstellende Antworten auf die Fragen der Menschheit gibt“.

Diese Sichtweise soll nun möglichst vielen Menschen nahegebracht werden. Auf Seite 16 sind ehrgeizige Zielvorgaben festgeschrieben: Die Anzahl der Menschen, die im Ausland durch Moscheen und religiöse Dienstleistungen erreicht werden, soll von 1,85 Millionen im Jahr 2024 binnen fünf Jahren auf 11,85 Millionen steigen, also mehr als versechsfacht werden.

Das soll sich auch in der finanziellen Abgeltung von Mitarbeitern niederschlagen. Das Jahresbudget der Behörde soll von heuer umgerechnet 3,2 Milliarden Euro bis 2028 auf 4,5 Milliarden Euro steigen. Über die ganzen fünf Jahre gerechnet sind knapp 19 Milliarden Euro veranschlagt. Als wichtigste Plattform für die Diyanet-Aktivitäten werden Moscheen und Religionskurse, aber auch der diplomatische Apparat sowie Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) genannt.

„Stratejik Plan 2024 – 2028“, der Islamisierungs-Masterplan der türkischen Religionsbehörde.Diyanet/Screenshot

Rekrutierung von Auslandstürken

Die Religionsbehörde kann auf vielfältige Strukturen zurückgreifen, was auf Seite 41 so beschrieben wird: „Die Auslandsorganisation der Präsidentschaft für religiöse Angelegenheiten (= Diyanet, Anm.) besteht in den Ländern, in denen sich unsere Bürger, Glaubensgenossen und Verwandte aufhalten, aus Religionsdiensten in den Botschaften und in den Generalkonsulaten.“ Die Zahl der in diesen diplomatischen Vertretungen für Diyanet arbeitenden Personen wird mit 586 angegeben. Der Plan fordert auch die Rekrutierung von Auslandstürken, die bereits eine neue Staatsbürgerschaft angenommen haben.

Ein zentrales Element des „Stratejik Plan“ ist die Islamophobie, ein Kampfbegriff, der jegliche Kritik am Islam, auch an dessen extremistischen Auswüchsen, im Keim ersticken und zugleich den muslimischen Opfermythos einzementieren soll. Konkret heißt es dazu auf Seite 33: „Die Kapazität der zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGOs) im Ausland zur Bekämpfung von Diskriminierung und Islamfeindlichkeit wird erhöht. … Zur Entwicklung der Kapazität von NGOs, die von unseren Bürgern im Ausland gegründet wurden, werden regelmäßige Gespräche durch unsere Auslandsvertretungen geführt….“ Des weiteren wird als Ziel ausgegeben, „Islamfeindlichkeit als Hassverbrechen in nationalen und internationalen Gesetzen anzuerkennen“.

Zwecks Kooperation nach Wien gereist

Genau darum ging es am Wochenende auch bei einem Wien-Besuch von Diyanet-Chef Ali Erbas, der damit deutlich machte, wie sehr Österreich im Fokus der türkischen Missionierungsoffensive steht. Über die IGGÖ sowie über muslimische NGOs will die Türkei ihren ohnehin schon beträchtlichen Einfluss auf die türkische Community verstärken.

In der IGGÖ-Zentrale unterzeichneten Erbas und IGGÖ-Präsident Ümit Vural am Samstag „ein Kooperationsprotokoll, um die Beziehungen im religiösen Bereich zu stärken und gemeinsame Aktivitäten zu intensivieren“, wie es auf der Diyanet-Webseite heißt. Das Abkommen sieht eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Kultur und Wissenschaft vor. Zum anderen ist ein Informations-, Erfahrungs- und Publikationsaustausch zwischen islamischen Institutionen sowie eine gemeinsame Haltung gegen extremistische Tendenzen und antiislamischen Rassismus geplant. Letzterer Punkt entspricht dem auf Seite 33 des Diyanet-Plans ausgegebenen Ziel, Muslimfeindlichkeit verstärkt zu thematisieren. Ob unter „extremistische Tendenzen” auch muslimischer Extremismus gemeint ist, wird nicht näher erläutert.

IGGÖ-Präsident Ümit Vural freute sich jedenfalls über den hohen Besuch aus der Türkei: „Der Austausch mit internationalen Partnern wie der Diyanet bereichert unsere Arbeit und eröffnet neue Perspektiven für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“.

Diyanet-Chef Ali Erbas und IGGÖ-Präsident Ümit Vural unterzeichnen ein Kooperationsabkommen.Diyanet/Screenshot

Nach der Unterzeichnungszeremonie traf sich Präsident Erbaş mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, die sich für die muslimischen Gemeinden in Österreich einsetzen. Laut „Stratejik Plan“ spielen die NGOs ja eine zentrale Rolle in der Islamisierungsoffensive, und ebenso die türkischen Botschaften. Das fand am Wochenende auch darin seinen Ausdruck, dass Erbas in Wien vom türkischen Botschafter Gürsel Dönmez und dem Wiener Religionsattaché Selahaddin Celebi begleitet wurde.

Wie viele der 586 Diyanet-Mitarbeiter in diplomatischen Vertretungen der Türkei in Wien stationiert sind, ist eine Frage, die der exxpress der türkischen Botschaft mehrfach vergeblich gestellt hat. Auch im Außenministerium von Beate Meinl-Reisinger (NEOS) scheint man sich für die Islamisierungsaktivitäten türkischer Diplomaten in Wien nicht sonderlich zu interessieren: Ihr Büro erklärt sich für nicht zuständig und verweist auf das Bundeskanzleramt, das eine (noch nicht eingelangte) Stellungnahme in Aussicht stellte.

Keine Antwort auf eine Anfrage zum Diyanet-Treiben in Österreich gab es von SPÖ-Chef und Vizekanzler Andreas Babler. Die Wiener Islamismus-Expertin Nina Scholz überrascht dies nicht angesichts der „Zusammenarbeit der SPÖ mit AKP-nahen Kreisen im Wiener Wahlkampf“.

Warum kein Einreiseverbot?

Die Politologin fragt sich, „warum ein Hassprediger wie Ali Erbas, der als bekannter Prediger und Funktionär der staatlichen türkischen Religionsbehörde ganz offen seine Haltung kundtut, kein Einreiseverbot in Österreich hat?“ Bei anderen Hasspredigern sei das durchaus schon praktiziert worden. Erbas würde die Kriterien für ein solches Verbot mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllen, so Scholz mit Verweis auf „viele Statements von ihm, die unter Extremismus, Hassrede und gröbsten Antisemitismus fallen“.

Die Politologin hält es „auch sicherheitspolitisch für bedenklich, dass die IGGÖ mit einem solchen Mann kooperiert“. Auch aus diesem Grund sollten sich die politisch Verantwortlichen damit befassen. Denn die Kooperation beeinflusse Muslime, die sich in den verschiedenen Kultusgemeinden unter dem Dach der IGGÖ organisieren bzw. deren Moscheen besuchen.

Entschärfte Freitagspredigt

Seine Freitagspredigt in der Wiener Zentralmoschee der Türkisch Islamischen Union für Kulturelle und soziale Zusammenarbeit (ATIB) hatte Ali Erbas allerdings etwas entschärft, nachdem die türkische Original-Fassung schon in der Heimat für Widerspruch säkularer Kreise gesorgt hatte.

In der am Freitag in den türkischen Moscheen verlesenen Predigt hieß es nämlich: „Es ist verboten, dass ein unverheirateter Mann und eine Frau zusammen sind oder zusammenleben.“ Ausdrücke wie „Liebesbeziehung“, „verbotene Liebe“, „jugendliche Leidenschaft“ oder „respektvolle Beziehung“ öffneten der Sünde Tür und Tor. Auch was als „Flirt“ bezeichnet werde, sei Unzucht.

In der Wiener Version von Erbas’ Predigt fehlten diese Passagen. Da waren vielmehr Sätze zu hören, die niemanden stören können. Etwa: „Machen wir jeden Ort, an dem wir leben, zu einem Ort des Friedens und des Wohlergehens.”

Entschärfte Freitagspredigt: DIyanet-Chef Ali Erbas in der Wiener ATIB-Zentralmoschee.Diyanet/Screenshot

Jesus ein Muslim?

Welche Denke aber tatsächlich aus der Istanbuler Diyanet-Zentrale auf die „gesamte Menschheit“ ausstrahlen soll, erschließt sich durch die Äußerungen ihres Chefs und dessen Wegweisungen auf der Webseite.

So erklärte Ali Erbas im Dezember 2023 bei einer Konferenz an der Recep Tayyip Erdogan Universität in Rize: „Wir wissen, glauben und müssen glauben, dass andere Religionen als der Islam falsch sind. Islam ist der Name der Religion, die von allen Propheten vom Propheten Adam bis zum Propheten Mohammed  verbreitet wurde.“ Da die Muslime in Jesus Christus nicht wie die Christen den Sohn Gottes, sondern nur einen von vielen Propheten sehen, bedeutet Erbas’ Aussage nicht anderes, als dass Jesus zum Muslim erklärt wird.

Diyanet-Chef Ali Erbas in der Wiener ATIB-ZentraleDiyanet/Screenshot

Christen noch besser als Juden

Welche Perspektiven eine engere Anbindung der IGGÖ an die Diyanet bietet, bleibt rätselhaft – zumal der islamische Dachverband ATIB bereits einen Fuß in der Tür hat. Denn Diyanet und ihr Vorsitzender vertreten einen exklusivistischen Islam, der keine anderen Religionen als gleichberechtigt akzeptiert. Diyanet lehrt zudem, dass Freundschaften von Muslimen mit Juden oder Christen grundsätzlich verboten seien.

Auf ihrer Webseite findet sich eine lange Abhandlung zur Koransure 5, Vers 51, in der es heißt: „Oh, die ihr glaubt, nehmt nicht die Juden und die Christen zu Freunden.“ Demnach sei die Mehrheit der islamischen Gelehrten der Meinung, dass jemand, der aufrichtige Freundschaft mit Nicht-Muslimen schließt, zwar nicht abtrünnig werde, es sei denn, er stimme dem Unglauben zu, aber er begehe einen Fehler, wenn er sich mit jemandem anfreunde. Tatsächlich heiße es, so die Abhandlung, im Heiligen Koran, dass sich die Christen den Muslimen gegenüber besser verhielten als die Juden (Sure 5/82). Da diese jedoch nicht an den Koran und den Propheten glaubten, sei es möglich, dass die Christen die Freundschaft, die Muslime mit ihnen schließen, missbrauchten.

Immer wieder fiel Erbas in der Vergangenheit mit antisemitischen Äußerungen auf. Im Oktober 2023, kurz nach dem Hamas-Terrorangriff auf Israel, hatte Erbas in einer Freitagspredigt Israel als „rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Welt“ bezeichnet. Die Terrororganisation „Hamas“ nannte er „Befreiungsbewegung“ und „Glaubenskrieger“. Außerdem sprach Erbas der jüdischen Bevölkerung Israels indirekt die Existenzberechtigung ab: „Jerusalem gehört den Muslimen. Palästina und Gaza sind Heimatländer der Muslime und werden es bis ans Ende der Zeit bleiben.“

DIyanet-Chef Ali Erbas in der Wiener ATIB-Buchhandlung, wo das Buch eines Holocaust-Leugners gerade ausverkauft ist. Foto: DiyanetDIyanet/Screenshot

Dazu passt, dass in der ATIB-Buchhandlung im zehnten Gemeindebezirk, die Erbas während seiner Wien-Visite besuchte, das Buch „Der Islam und die Zukunft der Menschheit“ des französischen Holocaust-Leugners Roger Garaudy im Angebot war – wenn auch derzeit ausverkauft.

Der 2012 verstorbene Konvertit war 1998 in Frankreich zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden, weil er in seinem Buch „Die Gründungsmythen der israelischen Politik“ den Holocaust als „Mythos“ bezeichnet und die Zahl der sechs Millionen jüdischen Opfer sowie die Existenz von Gaskammern in Frage gestellt hatte.

Ein Buch des französischen Holocaust-Leugners Roger Garaudy im Online-Angebot der Wiener ATIB-Buchhandlung.Viyana Kitabevi/Screenshot

Mit Erbas empfing ATIB übrigens keinen einfachen Besucher, sondern einen ihrer Chefs. Denn der türkische Regierungsvertreter ist wie der Religionsattaché der Botschaft und weitere Diyanet-Funktionäre ATIB-Ehrenmitglied. Wie dem „Forschungsbericht Moscheen in Wien“ des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) zu entnehmen ist, handelt es sich dabei keinesfalls um Ehrenpositionen: Laut Statuten  (§ 6, Abs. 7) haben Ehrenmitglieder, also auch die genannten Beamten des türkischen Staates, dieselben Rechte wie aktive Mitglieder, sind also stimmberechtigt. Zudem besteht der ATIB-Aufsichtsrat aus zwei Rechnungsprüfer und den sieben Ehrenmitgliedern