Miami statt Brüssel, Geschäftsräume statt Diplomatenpaläste: Ein exklusiver Bericht des Wall Street Journal enthüllt, wie drei Männer abseits der klassischen US-Sicherheitsarchitektur an einem Ukraine-Friedensplan arbeiten. Nicht als Diplomaten, sondern als Geschäftsleute. Und Europa? Ist in dieser neuen Macht-Achse zwischen Washington und Moskau bestenfalls Statist.

Steve Witkoff in Miami: Frieden verhandeln wie Geschäfte.APA/AFP/Chandan Khanna

Frieden entsteht nicht in Ministerien – sondern durch Handelsbilanzen

Die drei Persönlichkeiten sind Steve Witkoff, Jared Kushner und Kirill Dmitriev – Schlüsselfiguren eines möglichen Deals zwischen Russland und den USA. Der erste agiert offiziell als Sondergesandter der US-Regierung im Ukraine-Konflikt. Kushner und Dmitriev wiederum fungieren als persönliche politische Gesprächskanäle: Sie verhandeln direkt für ihre Regierungen, jedoch ohne klassisches Diplomatenamt oder formelles Staatsmandat im Außenministerium.

Vom Milliardenfonds in die Krisenräume: Jared Kushner, Architekt der Abraham Accords, bastelt nun am Ukraine-Deal.APA/AFP/POOL/Nathan HOWARD

Alle drei kommen aus der Welt der Milliarden-Investitionen – Immobilien, Staatsfonds, Finanznetzwerke. Sie sprechen für Staaten, ticken aber wie Unternehmer, nicht wie Laufbahndiplomaten.

300 Milliarden auf Eis: der größte Köder einer neuen Weltordnung

Drei Männer, ein Plan, ein Hebel: In Witkoffs Anwesen in Miami formen sie ein Dokument, das Wladimir Putin und die USA miteinander verknüpft – nicht nur symbolisch, sondern auch wirtschaftlich. Dmitriev drängt darauf, dass US-Firmen Zugriff auf jene rund 300 Milliarden Dollar russischer Zentralbankreserven erhalten, die in Europa eingefroren sind. Diese Summe soll den Sockel bilden: Für gemeinsame US-russische Investitionen, für Wiederaufbau-Projekte, für einen US-geführten wirtschaftlichen Neustart der Ukraine. Für Moskau wäre das die Rückkehr in die Weltwirtschaft durch die Hintertür, bezahlt mit Kapital, das auf europäischem Boden blockiert ist.

Kirill Dmitriev in Peking: Putins Mann fürs große Geld – und einer der Architekten neuer Deals.APA/AFP/POOL/Maxim Shemetov

Witkoff wertet diese Konstruktion als historische Friedenschance. Seine Kernbotschaft bleibt simpel: Wohlstand ist die beste Kriegsbremse – und die stabilste Friedensversicherung. Ein Modell, das Europa irritiert, in der Trump-Ära jedoch tief verankert ist.

Arktisches Monopoly: Rohstoffe als Chip im geopolitischen Poker

Der Preis hinter dem Frieden ist größer als der Krieg, legt der Bericht nahe. Arktische Transportkorridore, Öl- und Gasprojekte, seltene Erden, Mineralien: Russlands Rohstoff-Reichtum wird zur Eintrittskarte in die nächste Weltordnung. US-Konzerne, Asset-Manager und Kreml-Netzwerke positionieren sich bereits für den Tag X: Manager sprechen mit Staatskonzernen über Gas-Beteiligungen, Investoren prüfen Öl-Assets und Pipeline-Fenster, Unternehmerlobbys verhandeln Rohstoff-Konzessionen. Das sind kein Gerüchte. Künftige Handels- und Lieferketten sollen schon jetzt besetzt werden.

Russisches Gas und Öl – Trump hofft auf lukrative Geschäfte.APA/AFP/Nikolay DOYCHINOV

Pipeline-Poker mit Sprengkraft: Comeback von Nord Stream?

Am brisantesten ist die Pipeline-Schiene. Laut Wall Street Journal loten Kreml-nahe Netzwerke aus, ob Nord Stream 2 mit US-Kapital erworben und reaktiviert werden könnte. Ein Trump-Großspender lobbyiert in Washington aktiv für den Kauf von Nord Stream 2 im Rahmen eines Insolvenzverfahrens – ein Schritt, der Europas Energiearchitektur neuzeichnen würde.

Möglicherweise hat Nord Stream eine Zukunft – Sanktionen hin oder her.GETTYIMAGES/Anadolu

Bedingung dieser Achse: Sanktionslockerung durch die USA und der europäische Glaube, dass „US-Ownership sicherer“ sei. Übersetzt: Washington würde zum Türsteher der EU-Gasversorgung – Europa wäre wieder enger an russische Energie gebunden, aber unter amerikanischer Mitkontrolle.

Diplomatie im Blindflug: Europas Sicherheitsarchitektur im Abseits

Besonders brisant: Teile des traditionellen Sicherheitsapparats sind laut dem Wall Street Journal kaum eingebunden: US-Nachrichtendienste wurden über die Inhalte und den Verlauf über europäische Kanäle informiert, nicht vice versa.

Selbst Trumps offizieller Ukraine-Sondergesandter Keith Kellogg wurde zunehmend aus dem Prozess gedrängt und wird im Jänner sein Amt niederlegen. Russland beschwerte sich: Er sei zu Ukraine-freundlich.

Selenskyjs Ansprechpartner sind künftig wohl eher US-Investoren als US-Diplomaten und Nachrichtendienste.APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Kurz: Die Verhandler-Schiene hat die Diplomaten-Schiene überholt. Geschäftslogik schlägt klassischen Diplomatenapparat. Die Macht wandert vom Außenamt in die Chefetagen der Verhandler.

Oberst Markus Reisner: Mehr Händler als Friedensstifter

Der österreichische Militärexperte Oberst Markus Reisner kommentiert im Interview mit n-tv: Trump will raus aus dem Krieg – „schließlich sagt er selbst immer wieder: Das ist nicht mein Krieg.“ Für Reisner ist der Ansatz klar: Trump verhandelt wie ein Kaufmann und will das Maximum an strategischem und wirtschaftlichem Output.

Oberst Markus Reisner: Donald Trump geht es um einen Deal und um viel Geld – nicht um Territorium.YouTube/ntv Nachrichten/Screenshot

Kiew hat zunächst versucht, Washington mit künftigen Explorationsrechten im Donbass zu ködern – vergeblich. Jetzt kommt Moskau mit demselben Angebot, aber aus einer viel stärkeren Position: Russland hat große Teile des Gebiets bereits in der Hand. Die Idee: Russen und Amerikaner könnten dort gemeinsam nach Gas und Rohstoffen bohren. Reisners eiskalte Schlussfolgerung: Wenn Russland diese Rechte anbietet, machen die USA eben mit Moskau den Deal. Die Ukraine bleibt draußen – weil sie über diese Gebiete nichts mehr zu sagen hat. Wer das Territorium hält, verteilt die Rechte. Wer das Territorium verliert, verliert auch die Ansprüche – und geht am Ende leer aus.

In Alaska hat Trump für Putin den roten Teppich ausgerollt, sagt Oberst Markus Reisner.APA/AFP/POOL/Sergey Bobylev

Brüssel verliert nicht an Argumenten – sondern an Einigkeit

Wenn Frieden als Wirtschaftspaket direkt zwischen Washington und Moskau geschnürt wird, tritt Europas Ohnmacht in aller Deutlichkeit zutage.

Erstens: Washington hat die Nase vorn. US-Konzerne sind als Erste am Tisch und sichern sich Rohstoffrechte und Wiederaufbauprojekte, lange bevor Europa überhaupt in die Gänge kommt.

Zweitens: Ziemlich peinlich ist das Schauspiel rund um Europas Kapitalhebel: Die EU friert Milliarden russischer Zentralbankreserven ein, ist sich aber bis heute nicht einig, wie sie dieses Geld nutzen will. Am Ende könnten genau diese Milliarden US-russische Investitionen finanzieren. Europa blockiert – und andere kassieren.

Außenminister im Vorraum, Präsidenten am Tisch: Amtskollegen Sergej Lawrow (l.) und Marco Rubio (r.) im Gespräch.APA/AFP/Andrew CABALLERO-REYNOLDS

Drittens: Brüssel wirkt zunehmend wie ein Papiertiger. Selbst bei der Energiepolitik hat es immer weniger mitzureden. De facto entscheidet Washington, welche Energie-Schachzüge Europa macht – und nicht umgekehrt.

Viertens: Bei Rohstoffen und Lieferketten sitzt die EU ebenfalls nicht am Steuer. Derjenige, der die großen Pakete schnürt, bestimmt später die Handelsströme – und das sind derzeit nicht die Europäer.

Fünftens: Europa bleibt am Ende der Abnicker, nicht der Entscheider. Man fordert „volle Einbindung“, während über den Köpfen der Europäer Fakten geschaffen werden, die Brüssel nur noch absegnen kann.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bleibt Statistin. APA/AFP/Gints Ivuskans

Sechstens: Die EU ist bis heute zerstritten. Sie schafft es nicht, gemeinsame europäische Interessen klar zu definieren – weil es sie in vielen Fragen schlicht nicht gibt. Die Mitgliedsstaaten sind sich längst nicht überall einig und verfolgen unterschiedliche wirtschaftliche Ziele. Vetos einzelner Länder blockieren Entscheidungen, neue Lager bilden sich. Diese Uneinigkeit öffnet die Tür für Deals von außen.

Kurz gesagt: Europa zahlt – aber andere bestimmen.

Moskau und Washington schreiben die nächste Weltordnung – Brüssel unterschreibt sie

Eine neue Nachkriegsordnung entsteht. Und sie wird weniger in Brüssel entworfen als in den Büros amerikanischer Investoren und in den Korridoren des Kreml. Der Dialog zwischen den USA und Russland folgt knallharter Wirtschaftslogik: Geschwindigkeit und Ergebnis zählen mehr als diplomatische Protokolle. Bietet Moskau die bessere strategische Währung, wird dort der Deal gemacht. Europa steht daneben – und verliert Einfluss, Mitsprache bei Energiefragen sowie die Hoheit über Rohstoffe, Lieferketten und Kapital.

Der Grund: Aus Trumps Sicht steht Brüssel vor allem im Weg. Es stört. Nutzen sieht er darin kaum. Für ihn bringt die EU am Ende wenig, was ihm wirklich etwas einbringt.