Die Lage im Gazastreifen befinde sich an einem historischen Wendepunkt, erklärt General Amir Avivi, Gründer und Präsident des sicherheitspolitischen Thinktanks IDSF. Überall herrsche Nervosität – in Washington, bei den Vereinten Nationen, in Europa wie auch in der arabischen Welt.

Avivi, der jahrzehntelang im Geheimdienst- und Operationsbereich der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) diente, macht im Interview auf dem IDSF-YouTube-Kanal deutlich: „Wir sind nur Wochen, vielleicht ein bis zwei Monate, von einem entscheidenden Sieg entfernt.“

Soldaten sichern einen Tunnel – Sinnbild für das unterirdische Netzwerk der Hamas.GETTYIMAGES/Noam Galai

80 Prozent des Gazastreifens unter IDF-Kontrolle

„Israel kontrolliert rund 80 Prozent des Gazastreifens. Parallel übernehmen lokale Clans in Städten wie Rafah oder Beit Hanun bereits Verwaltungsaufgaben unter IDF-Kommando“, berichtet Avivi. Schon bald werde auch Gaza-Stadt, die Hauptfestung der Hamas, fallen. „Das ist offensichtlich fast das Ende von Hamas.“

Historische Parallele: Jalta 1945

Um die Tragweite der Situation zu verdeutlichen, zieht Avivi eine historische Parallele: Wie Roosevelt, Churchill und Stalin 1945 in Jalta schon vor der Kapitulation der Nazis über die Nachkriegsordnung entschieden, gehe es auch jetzt um den „Tag danach“ in Gaza – eng verbunden mit Donald Trumps Gaza-Plan. „Wir diskutieren, wie wir diesen Kuchen namens Gaza aufteilen.“

Vormarsch: IDF bereitet Panzer am nördlichen Gazastreifen vor.GETTYIMAGES/Elke Scholiers

Mehr als ein Geisel-Deal

Für Avivi ist das geplante Abkommen weit mehr als ein gewöhnlicher Geiseltausch. Zwar sei die sofortige Freilassung aller 48 israelischen Geiseln vorgesehen, doch im Mittelpunkt stehe das größere Bild: die vollständige Eliminierung von Hamas und die Einbettung in ein regionales Friedensarrangement. Trumps Ultimatum sei zugleich eine diplomatische Vision, die Staaten wie Saudi-Arabien oder den Libanon einbeziehe.

Katar und Ägypten im Dilemma

Nach Avivis Einschätzung trifft Hamas die zentralen Entscheidungen gar nicht mehr selbst – vielmehr lägen diese bei Katar und Ägypten. Beide hätten nur zwei Optionen: Ablehnung des Plans: Die IDF setzt den Krieg fort, zerstört Hamas vollständig und übernimmt den Gazastreifen. Zustimmung: Reste von Hamas könnten ins Ausland – etwa auf die Sinai-Halbinsel oder nach Katar – verlagert werden, während Israel den Weg für regionale Abkommen freimacht.

Silhouetten an der Grenze: Israelische Soldaten bewachen eine Barriere im Gegenlicht.GETTYIMAGES/Joel Carillet

Israels unverrückbare Kriegsziele

Die israelischen Ziele seien unabhängig vom Ausgang klar, so Avivi:

Hamas wird in Gaza weder politisch noch militärisch weiterexistieren.
Alle Geiseln kehren zurück.
Der Gazastreifen bleibt entmilitarisiert.

Israel werde zudem die Freiheit behalten, jederzeit gegen neue Bedrohungen militärisch vorzugehen. „Es wird nie wieder eine Terrorarmee im Gazastreifen geben“, unterstreicht Avivi.

Brigadegeneral a.D. Amir Avivi war jahrzehntelang in Spitzenfunktionen der israelischen Armee tätig: als Gaza-Kommandant, Stabschef-Vertrauter, Divisionenführer an der Grenze zu Ägypten. Heute berät er Regierungen.IDSF/Amir Avivi

Die Rolle Trumps – und das Dilemma der arabischen Staaten

Besonders wichtig ist die Rolle von Donald Trump: Sein Plan verschafft den arabischen Regierungen ein politisches Narrativ, mit dem sie ihre Zustimmung rechtfertigen können. Der US-Präsident koppelt Sicherheits- und Entwaffnungsforderungen an umfassende wirtschaftliche und humanitäre Pakete sowie an einen Fahrplan zur palästinensischen Reform.

Während Israel durch das Abkommen faktisch alles erhalte – Sicherheit, Entwaffnung und die Rückgabe der Geiseln – benötigen arabische Regierungen verwertbare Formulierungen zur palästinensischen Frage, um den Deal ihren Bevölkerungen verkaufen zu können. „Sie wollen eine vage Formulierung zur palästinensischen Frage, um das ihren Bevölkerungen verkaufen zu können“, sagt Avivi. Dieses Narrativ gibt den Staatschefs politisches Rückgrat, wenn sie zustimmen.